Der Blick auf den Terror

Welchen Gefahren und Zwängen sind Reporter und Dokumentarfilmer in Krisengebieten ausgesetzt? Hierauf haben Regisseure mit ihren Filmen auf dem Dokumentarfilmfestival in Amsterdam sehr unterschiedlich geantwortet. Von Arian Fariborz und Petra Tabeling

Von Petra Tabeling

Mehdi Army Resistance Fighter, Filmszene; Foto: www.http://www.storytellerinc.com
Können Journalisten unter Kriegsbedingungen überhaupt objektiv berichten? Szene aus dem Film The blood of my brother </i> von Andrew Berends.

​​Einer der Themenschwerpunkte des diesjährigen Internationalen Dokumentarfilmfestivals in Amsterdam lag auf den Auswirkungen des Terrors globaler extremistischer Netzwerke und den Ideologien ihrer Akteure. Filme wie Zarqawi – the terrorist issue von Patrice Barrat und Ranwa Stephan oder Hamas behind the mask von Shelley Saywell überzeugten vor allem durch ihre tiefgründigen Analysen radikalislamischer Organisationen im Nahen Osten.

Dabei sind es nicht so sehr die spektakulären Aufnahmen und Archivbilder vermummter, bewaffneter Dschihadisten, als vielmehr die detailliert recherchierten Strukturen der Organisationen und Interviews mit militanten Islamisten, die besonders aufschlussreich für die Zuschauer waren. Doch auch weniger Hintergründiges kam im Verlauf des Amsterdamer Festivals auf die Leinwand. Die Dokumentation Shadow of Afghanistan von Suzanne Baumann und Jim Burroughs sollte einen Rückblick auf zwanzig Jahre Bürgerkrieg am Hindukusch geben – zumindest aus Sicht ihrer Filmemacher.

Doch heraus kam ein historisch verzerrter Blick auf die tatsächlichen Ursachen und Hintergründe des Afghanistankonflikts: Während die Menschenrechtsverletzungen der sowjetischen Besatzer nach der Invasion Afghanistans 1979 über eine Stunde lang akribisch genau aus der Perspektive eines islamischen Rebellenführers geschildert werden, findet die Ausbildung der islamistischen Mudschaheddin durch den US-amerikanischen und pakistanischen Geheimdienst, die den blutigen Bürgerkrieg und den Aufbau der Taliban förderte, überhaupt keine Erwähnung.

Der Krieg der Mudschaheddin wird als Freiheitskampf des afghanischen Volkes verklärt, Bürgerkrieg und Talibanherrschaft als ein allein von "Fremden" und "Arabern" nach Afghanistan importiertes Phänomen dargestellt. Die US-Angriffe auf Afghanistan als Folge des 11. Septembers und die Rolle Bin Ladens in der afghanischen Tragödie finden kaum Eingang in diese fragwürdige historische Bestandsaufnahme von fast zweistündiger Dauer.

Amerikanische Medien als PR für Bin Laden?

Maziar Bahari mit einer Protagonistin seines Films, Hannah Allam; Foto: Petra Tabeling
Maziar Bahari, Regisseur des Films Targets: Reporters in Iraq</i> mit Hannah Allam, einer Protagonistin seines Films

Ganz anders dagegen die iranische Regisseurin Samira Goetschel, die in ihrem Film Our own private Bin Laden einen Zusammenhang zwischen der US-Außenpolitik im Kalten Krieg und der Instrumentalisierung des politischen Islam gegen die Sowjets am Beispiel Afghanistans herstellt. Auch kritisiert die Filmemacherin in ihrer Dokumentation den Umgang tagesaktueller Medien mit Terrorismus und extremistischen Organisationen: "Die konstante Wiederholung der Bilder über terroristische Angriffe ist fast wie Werbung für Terrororganisationen, und das ist doch genau das, was sie wollen", meint Goetschel. "Ich sage nicht, dass Medien terroristische Anschläge ignorieren sollten, aber sie müssen auch gleichzeitig vorsichtig sein, diese zu benutzen. Derzeit handeln die amerikanischen Medien fast als PR für solche Charaktere wie Bin Laden!" Eine sehr persönliche filmische Auseinandersetzung mit dem Terrorismus wählte die schwedische Filmautorin Lina Makboul.

In ihrem dokumentarischen Debüt Hijacker - Leila Khaled nähert sich die palästinensischstämmige 32-jährige Journalistin ihrem einstigen Idol Leila Khaled, die in den siebziger Jahren als erste Frau und Aktivistin der PFLP versuchte, zwei Passagierflugzeuge in ihre Gewalt zu bekommen, um auf die Situation der Palästinenser nach dem Sechs-Tage-Krieg aufmerksam zu machen. Makboul schafft es schließlich, dass Vertrauen Leila Khaleds zu gewinnen.

2004 besucht sie die radikale Palästinenserin und ihre Familie in Amman, wo sie versucht, in zahlreichen Gesprächen mehr über Khaleds Beweggründe und ihre heutigen Ansichten über politische Gewalt zu erfahren. "Wann wird Freiheitskampf zu Terrorismus?" – so lautet eine zentrale Frage in ihrer Dokumentation.

Medien im politischen Spannungsfeld

Bei vielen Dokumentarfilmen des Festivals, die Gewalt und Extremismus als Thema behandelten, stellte sich die Frage nach Wahrnehmungen sowie Deutungen von Medien und der Wirklichkeit. Können Medien überhaupt ein Bild von der Realität in Ländern wie dem Irak wiedergeben, ohne dabei parteiisch zu wirken oder politisch instrumentalisiert zu werden? ​​Der iranische Filmautor Maziar Bahari behandelt in seinem Dokumentarfilm Targets: Reporters in Iraq die gefährlichen Arbeitsbedingungen von Journalisten im Irak, insbesondere seit der amerikanischen Offensive in Falluja im Jahr 2004. Er skizziert die restriktiven Sicherheitsbedingungen für westliche Journalisten, stellt die Entführungsfälle der italienischen Reporterin Sgrena, des französischen Journalisten Chesnot sowie des kanadischen Korrespondenten Taylor vor.

Journalisten im Visier radikaler Islamisten, als Faustpfand für Rebellen, als unfreie Akteure, die bei der Ausübung ihres Berufes im Irak oft ihr Leben riskieren. Bahari, der seit 2004 mehrmals in den Irak gereist war, macht dabei deutlich, dass keine Recherche ohne scharfe Sicherheitsvorkehrungen möglich sei. Nur irakische Journalisten könnten sich freier bewegen, nicht aber unbedingt kritisch berichten, und bestenfalls arabischstämmige westliche Korrespondenten. Schade nur, dass der Film darauf nicht weiter eingeht. Mit blonden Haaren und blauen Augen habe man als Journalist kaum eine Chance im Irak zu arbeiten, so Bahari nach dem Debüt seines Films in Amsterdam.

Blond und blauäugig als journalistisches Ausschlusskriterium?

Andrew Berends; Foto: Petra Tabeling
Der amerikanische Regisseur Andrew Berends läßt in seinem Film The blood of my brother. A story of death in Iraq</i> den Krieg aus Sicht der Opfer erzählen

Doch genau das hat ihm der Filmemacher Andrew Berends aus New York vorgemacht. Der blonde und blauäugige amerikanische Staatsbürger ​​reiste im April 2004 für ein halbes Jahr in den Irak. Nur mit einer Filmkamera im Gepäck und ohne einen schwer bewaffneten Begleitschutz, den etwa der iranische Regisseur Bahari für seine Arbeit im Irak in Anspruch nahm. War das nicht tatsächlich blauäugig?

"Vielleicht", meint Berends, "aber für mich war der Weg ohne Bodyguards, Waffen und umfassende Ausrüstung der sicherste und effektivste. Ich weiß nicht, wie ich mit all diesen Lasten sonst einen authentischen und guten Film hätte machen können. Ich wollte einen Film, bei dem ich so nah wie möglich an den Menschen bin. Das wichtigste dabei ist, offen und ehrlich zu sein und sich wie ein normaler Mensch zu verhalten." Vielleicht ist Berends' Dokumentation The blood of my brother. A story of death in Iraq, in dem es um das Leben eines jungen Irakers geht, dessen älterer Bruder in Bagdad von US-Truppen versehentlich erschossen wird, deshalb so authentisch.

Der Film eröffnet dem Zuschauer tiefe Einblicke in die schwierigen Lebensverhältnisse der Familie des Opfers und zeigt auf, welchen Herausforderungen sich der junge Iraker stellen muss, um fortan für den Unterhalt der Familie zu sorgen. Es sind bewegende Bilder, die das Leben der Opfer des Krieges im Irak schonungslos zeigen, ohne dass hierbei Bewertungen oder Kommentierungen einfließen.

"The blood of my brother" ist wohl deshalb einer der besten Dokumentationen, die in diesem Jahr auf dem Festival liefen. Es ist ein Film der deutlich macht, dass Journalismus in Kriegsgebieten jenseits tendenziöser Berichterstattung, uniformem Agenturjournalismus, mangelnder Informationsfreiheit oder "eingebettetem Journalismus" möglich ist. Und es ist einer der ganz wenigen Filme, die Krieg und Terrorismus aus Sicht der irakischen Zivilbevölkerung erzählen.

Arian Fariborz, Petra Tabeling

© Qantara.de 2005