Triff dein Vorurteil!

Die neue Zeitschrift "Mikses" will der deutschen Medienlandschaft neue Impulse verleihen und als Sprachrohr der jüngeren interkulturellen Community fungieren. Nimet Seker hat das Redaktionsteam besucht.

​​Köln Hauptbahnhof, Pressebuchhandlung Ludwig. Am Eingang kämpft man sich durch ein Gewirr von Menschen und Stimmen. Die Fülle von in- und ausländischen Zeitungen sowie Zeitschriften ist kaum zu überschauen. Hier muss man wissen, was man sucht.

Doch sticht eine Zeitschrift aus diesem "Blätterwald" hervor: "Mikses" – das "Magazin für Interkulturelles". 86 Seiten Hochglanz mit professionellen Fotos, eigenwilligem Layout und einem interessanten Themen-Mix wecken Neugier und Lust aufs Lesen. Ob Berichte über Mandatsträger, Unis, Schriftsteller, Städtepartnerschaften, Modedesignerinnen: Fast alle Themen sind "türkisch" – genau wie der überwiegende Teil der Redakteure.

Doch haben wir es hier mit einem türkischen Magazin zu tun? Nein: "Mikses" versteht sich als Magazin für eine neue deutsche Generation, in der sich die verschiedenen Kulturen vermischt haben, nicht als etwas "Fremdes" sondern als etwas Selbstverständliches betrachtet werden.

Mousse T. meets AC/DC

Das Titelthema der ersten Ausgabe ist zugleich Programm. In einem Ranking der 30 "wichtigsten jungen neuen Deutschen" präsentiert "Mikses" "Menschen, die bestimmend für Deutschland geworden sind". Sie heißen zum Beispiel Feridun, Joy, Tarek oder Aiman. Oder Ikbal. "Wir meinen, dass die Medienlandschaft ein neues Gesicht braucht", sagt Ikbal Kilic. Sie ist die Chefredakteurin und Initiatorin von Mikses und gehört zur so genannten zweiten Generation.

Die 30 jungen "neuen Deutschen" mit interkulturellen Identitäten sind erfolgreiche Künstler, TV-Gesichter, Politiker und Unternehmer. Sie sind nicht am Rande der Gesellschaft zu finden und gänzlich unbekannt. Vielmehr haben sie eine Stimme und ein Gesicht.

Auf dem ersten Platz thront DJ und Produzent Mousse T. lässig auf einem Hotelbett liegend, sein Schmunzeln umrahmt ein T-Shirt von AC/DC.

"Leitkültür" statt Leitkultur

In vier Rubriken mit den eigenwilligen Namen "StreitKültür", "LebensKültür", "LeitKültür" und "CampusKültür" will "Mikses" ein umfassendes, authentisches Bild der jungen Deutschen zeigen. Damit stellt es ein Gegenkonzept zu den Massenmedien dar, die gern und ausschließlich Extreme und Integrationsprobleme von Menschen mit "Migrationshintergrund" zeigen. "Mikses" will nicht nur authentisch und unverfälscht sein. Mikses macht regelrecht Werbung für Vielfalt.

An provokanten Fotos und ebenso provokanten Texten mangelt es nicht: "Hilfe, ich habe einen Migrationshintergrund" schreibt etwa ein deutscher Redakteur. "Triff dein Vorurteil" stellt ein Projekt gegen Diskriminierung der Stadtbibliothek Malmö vor, das "lebende Bücher" – Menschen, die einer Minderheit angehören einmal im Jahr ausleiht. Die Leihfrist dieser "lebenden Bücher", wie z.B. ein Imam, beträgt 45 Minuten – solange wie man sich im normalen Leben wohl nie begegnen würde.

Die "Edelmigranten"

In ihrer zweiten Ausgabe wirft "Mikses" ein Scheinwerferlicht auf "Little Tokio" in Düsseldorf: Japaner werden als die "Edelmigranten" beschrieben. Doch kaum einer der porträtierten Personen spricht Deutsch, noch nicht einmal die jungen Leute. Die meisten besuchen japanische Schulen, nicht deutsche.

Cover Mikses
"Integration muss beidseitig funktionieren. Man muss sich Akzeptanz verschaffen, aber man muss auch akzeptiert werden", sagt Ikbal Kilic.

​​Parallelgesellschaft, Abschottung, Integrationsprobleme: Das sind gern benutzte Begriffe, wenn über Migranten in deutschen Medien berichtet wird. "Ich würde da nicht von Parallelgesellschaft sprechen. Es ist so, dass in bestimmten Stadtteilen bestimmte Kulturen konzentriert zusammenleben. Das muss nicht unbedingt negativ sein", sagt Ikbal Kilic.

Elvin Türk, Redakteurin bei "Mikses", sieht das ein wenig anders: "Es ist nicht negativ, dass man sich in bestimmten Vierteln zusammenfindet, das zeichnet die Parallele nicht aus. Sondern vielmehr, dass sie eine eigene Infrastruktur besitzen. Es gibt eigene Schulen und Kindergärten. Und tatsächlich können sie kein Deutsch."

"Wir können alle viel mehr"

Angesichts dieser "Ausnahme" will "Mikses" nicht über Integration, sondern Post-Integration reden. Der Begriff Integration baut Barrieren auf, die bei der jungen Generation gar nicht existieren.

Für die Macher von "Mikses" ist das Problem der Integration schon lange überwunden: Man trinkt Bier zu Döner und hört Mustafa Sandal in deutschen Diskos. Begegnungen verschiedener Kulturen sind alltäglich und normal. Doch diese Normalität wird in den Medien kaum reflektiert.

"Es wird viel in den Medien über Integration gesprochen, aber wo sind die türkischstämmigen Journalisten? Wo sitzen sie in den Redaktionen? Integration muss beidseitig funktionieren. Man muss sich Akzeptanz verschaffen, indem man Teil der Gesellschaft wird, aber man muss auch akzeptiert werden", sagt Ikbal Kilic.

Die Medien bilden nicht ausschließlich die gesellschaftliche Realität ab und wirken damit "gekünstelt", so Kilic. Zwar gibt es starke Stimmen in den Medien wie Necla Kelek, sie wird aber von der jungen Generation als alles andere als authentisch empfunden. "Ich kenne keine einzige Deutschtürkin, die sich durch Frau Kelek repräsentiert fühlt", so Kilic.

An Journalisten mit Migrationshintergrund mangelt es eigentlich nicht. Die Frage ist nur, wo sie zu finden sind und welche Themen sie behandeln: "Als türkischstämmiger Journalist wird man in die Integrationsecke gedrängt und muss lediglich über Integrationsthemen berichten, sodass man von diesem Thema gar nicht mehr weg kommt", meint Kilic und fügt mit Nachdruck hinzu: "Aber wir können alle viel mehr!"

Nimet Seker

© Qantara.de 2008

Dieser Artikel entstand im Rahmen des gemeinsamen Projekts "Meeting the Other" mit dem Online-Magazin babelmed.net im Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs. Mehr Informationen zu diesem Projekt finden Sie hier

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