Leistung durch Vielfalt

Mesut Özil und seine Teamkollegen repräsentieren nicht nur das multikulturelle Deutschland, sondern fungieren gleichzeitig als Sympathieträger und Identifikationsfiguren der deutschen Gesellschaft. Das verdient Anerkennung. Der Fußballsport sollte daher verstärkt als Motor der Integration begriffen werden, meint Shohreh Karimian.

Von Shohreh Karimian

In der oft hitzig geführten Debatte um Integration und gesellschaftliche Anerkennung von Mitbürgern mit Migrationshintergrund werden immer noch viel zu selten die positiven Aspekte der Integration von deutschen Mitbürgern mit ausländischen Wurzeln gewürdigt. Dass heute viele Deutsche mit Migrationshintergrund als Lehrer, Wissenschaftler, Journalisten, Geschäftsleute und Sportler erfolgreich tätig sind – um nur einige wenige Berufsgruppen zu nennen –, wird in den Medien leider noch immer eher am Rande erwähnt. Das ist schade, sind es doch genau diese positiven Beispiele, die junge Zuwanderer oder Jugendliche mit Migrationshintergrund dazu motivieren, sich gesellschaftlich zu integrieren.

Beispiel Mesut Özil: Für türkischstämmige Jugendliche ist er nicht nur ein Held, mit dem sie möglicherweise eine ähnliche Herkunftsgeschichte teilen, sondern auch ein Vorbild. Das stellte der DFB allerdings erst vor gut 14 Jahren fest und schuf neue Talentenprogramme, die vor allem Kinder aus Migrantenfamilien ansprechen sollten.

Während in den 1990er Jahren die deutsche Nationalmannschaft mit Spielern wie Klinsmann, Matthäus, Möller und Völler ein urdeutsches Gebilde darstellte, begannen also die DFB-Maßnahmen parallel zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts und brachten später neue Spieler in die deutsche Nationalmannschaft, die ein anderes Bild Deutschlands repräsentierten. 

Die deutsche Fußballmannschaft als Spiegelbild der Nation

Gruppenfotos deutsches Team vor dem Ghana-Spiel der FIFA-WM-Gruppe G
Integration als gelebte Selbstverständlichkeit im Mannschaftssport: Im WM-Kader zählen neben Klose und Podolski auch Özil (Türkei), Khedira (Tunesien), Jérôme Boateng (Ghana) und Shkodran Mustafi (Albanien) mit ihren internationalen Wurzeln zur deutschen "Multi-Kulti-Fraktion" bei der diesjährigen WM.

Ein bunteres Team ließ sich bereits bei der Fußballweltmeisterschaft 2006, die in Deutschland stattfand, deutlich erkennen: David Odonkor, Jens Nowotny und Lukas Podolski gehörten damals zu den neuen Gesichtern der deutschen Nationalelf. Doch erst die WM von 2010 markierte den Höhepunkt des deutschen Fußballs mit Migrationshintergrund: In Südafrika hatten elf der 23 deutschen Nationalspieler ausländische Wurzeln. Klose, Podolski, Trochowski, Özil, Taşçı, Gómez, Khedira, Aogo, Boateng, Cacau und Marin spiegelten das multikulturelle Deutschland auch im Fußballsport wider – ein Sinnbild für interkulturelles Zusammenleben und Zusammengehörigkeit in einer modernen deutschen Gesellschaft.

Man könnte meinen, diese Entwicklung sei nur allzu selbstverständlich. Deutsche mit Migrationshintergrund, die rund 16 Prozent der rund 82 Millionen Einwohner in Deutschland ausmachen, sollten sich schließlich auch in unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen und somit in der Nationalmannschaft wiederfinden. Doch so selbstverständlich schien das bis Ende der 1990er Jahre noch nicht zu sein. Erst im Laufe der Jahrtausendwende begann sich die deutsche Gesellschaft überwiegend als Einwanderungsland zu begreifen. Dementsprechend lange dauerte es, bis sich das multikulturelle Selbstverständnis auch in der Nationalmannschaft durchsetzte.

Fußball – ein Sport für Dumme?

Kaum war dieses Bild etabliert, begann man das Verhalten dieser Spieler beim Spielen der Nationalhymne argwöhnisch zu beäugen. Die Frage etwa, warum Mesut Özil nicht mitsingt, beschäftigte Boulevard-Zeitungen und Sportzeitschriften gleichermaßen. Ebenso intensiv wurde in den Medien die Frage diskutiert, warum gerade im Fußball die Quote der deutschen Spieler mit Migrationshintergrund so hoch ausfalle.

Und wie sooft lautete die pauschalisierende Begründung: Der Fußball sei eben nur ein Sport für Dumme. Kinder mit Migrationshintergrund würden sich aufgrund ihres vergleichsweise geringeren Bildungsniveaus auf den Fußball konzentrieren – und dafür bräuchte man ja kein Köpfchen.

Deutsche Nationalelf bekommt Besuch beim Training im brasilianischen Campo Bahia; Foto: Getty Images
"Unsere Gesellschaft muss auch damit beginnen, die Stärken der deutschen Mitbürger mit Migrationshintergrund zu würdigen. Im Fußball scheint genau das funktioniert zu haben: Vorbehalte wurden hier durch Stärke, Talent und Teamgeist überwunden", schreibt Karimian.

Mit diesem ignoranten Blick übersieht man jedoch die Tatsache, dass Spitzenspieler wie Özil oder Khedira, die heute zweifelsohne zu den besten Kickern der Welt zählen, in ihrer Jugend mehr Leistung und Talent gezeigt haben, als so mancher Deutscher. Fußballprofi im internationalen Maßstab zu sein, setzt eine große Konkurrenz- und Leistungsfähigkeit voraus, aber auch Druckresistenz sowie eine persönliche und kollektive Sensibilität – Eigenschaften also, die mit jenen gängigen Klischees über Sportler mit Migrationshintergrund restlos aufräumen.

Identifikationsfiguren der Gesellschaft

Özil und seine Teamkollegen repräsentieren nicht nur das multikulturelle Deutschland, sondern fungieren gleichzeitig als Sympathieträger und Identifikationsfiguren der deutschen Gesellschaft. Somit muss der Fußballsport als eine wichtige und wirksame Integrationskraft innerhalb unserer Gesellschaft begriffen werden.

Dass laut aktuellem Bildungsbericht Menschen mit Migrationshintergrund es immer noch im deutschen Bildungswesen nicht leicht haben, macht den deutschen Fußball als Musterbeispiel für gelungene Integration ja nicht wertlos. Vielmehr müsste man die genauen Ursachen für die Bildungsdefizite klären, als pauschal vorbildliche Integrationsbeispiele abzuwerten.

Unsere Gesellschaft muss auch damit beginnen, die Stärken der deutschen Mitbürger mit Migrationshintergrund zu würdigen. Im Fußball scheint genau das funktioniert zu haben: Vorbehalte wurden hier durch Stärke, Talent und Teamgeist überwunden. Dieses positive Beispiel sollte nicht nur für den Sport, sondern auch für andere Bereiche, für die Wirtschaft oder das Bildungswesen, als Vorbild gelten. Wir müssen endlich begreifen, dass Leistung vor allem durch Vielfalt erzielt wird.

Shohreh Karimian

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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de