Ingrid Wecker, 05. Juli 2011

zu Profiteure der autoritären Fäulnis von Khalil al-Anani

Zeit für Bildung

Der Autor beschreibt den bisherigen Erfolg der Revolution in Ägypten in sehr düsteren Farben. Nun gut, sicherlich ist es noch ein sehr sehr langer Weg. Aber wie soll sich denn bitte schön die Grundhaltung einer Gesellschaft, die seit Tausenden von Jahren stetig bevormundet, unterdrückt und kleingehalten wurde, innerhalb von wenigen Monaten durchgängig ändern??? Dies ist schlichtweg unmöglich. Es gibt indes viele hoffnungsvolle Ansätze, die der Autor in meinen Augen übersieht.

Wenn Sie sich die Probleme beispielsweise nach der ostdeutschen Revolution und der daraus folgenden deutschen Wiedervereinigung ansehen, eine Wiedervereinigung die dazu noch zwei Länder mit durchgängig sehr hohem Bildungsniveau betraf, dann können Sie daran ermessen, wie unendlich schwierig und auch schmerzlich der Prozess einer veränderten Geisteshaltung innerhalb einer Gesellschaft sein kann. Der in Deutschland bis heute andauert. Wieviel schwieriger wird es dann erst in Ägypten werden, wo auf dem Land immer noch 70 bis 80 Prozent der alten und mittelalten Menschen analphabet sind, viele junge Menschen trotz Schulpflicht gerade mal ihren Namen schreiben und lesen können, und wo große Teile der Bevölkerung viel mehr ihren traditionellen und religiösen Strukturen und Denkweisen verhaftet sind als allem anderen. Es wird ein langer Weg und er beginnt (und kann nur beginnen) mit einer Verbesserung der allgemeinen Bildung in der breiten Bevölkerung. Die Notwendigkeit dieser Verbesserung als Ägyptens nachrevolutionäre Priorität Nr. 1 hat nicht nur Mohamed El Baradei erkannt, sondern viele andere mit ihm. Also bitte nicht das Kind mit dem Bade ausschütten! Zeit, viel Zeit und Geduld sind vonnöten, auch wenn es vielen nicht schnell genug geht. Alles andere wäre absolut unrealistisch. Und es würde wieder nur der Mehrheit des Volkes eine Denkstruktur "übergestülpt", der diese Mehrheit nicht gewachsen ist und noch gar nicht gewachsen sein kann.