Protestsymbol oder Zeichen der Loyalität?

Das Kopftuch ist seit den 80er Jahren auch in Indonesien populärer geworden. Doch obwohl der Inselstaat die weltweit größte muslimische Bevölkerung hat, liegt die Deutungsmacht über den Hijab vor allem in der Sphäre der Politik, wie Lies Marcoes-Natsir meint.

Das Kopftuch erfreut sich seit den 80er Jahren auch in Indonesien wachsender Popularität. Doch obwohl der Inselstaat die größte muslimische Bevölkerung der Welt hat, liegt die Deutungsmacht über den Hijab vor allem in der Sphäre der Politik, wie Lies Marcoes-Natsir berichtet.

Foto: Arian Fariborz
Lies Marcoes-Natsir

​​Die Frage, ob der Hijab (das auch "Jilbab" genannte Kopftuch muslimischer Frauen) getragen werden muss oder nicht, breitet sich in Indonesien allerorten geradezu aus wie eine Epidemie. Ein eklatantes Beispiel dafür bot eine Meldung in der überregionalen Presse, nach der einige - der "Befreiungsfront Aceh" (LSM) angehörende Frauen - angeblich belästigt wurden, weil sie den Hijab in der Öffentlichkeit nicht trugen.

Echo der iranischen Revolution in Indonesien

In den frühen 80er Jahren war es eine mehr oder weniger direkte Folge der erfolgreichen islamischen Revolution im Iran, dass das Tragen des Hijab immer beliebter wurde. Davor sah man andächtige Frauen in einer Vielzahl unterschiedlicher Outfits, manchmal stark religiös geprägt, manchmal aber auch nur mit oder ohne irgendeine Art von Schleier. Ein solcher Schleier war oft ein langes, meist dunkel gefärbtes Stück Stoff (kerudung genannt), häufig getragen von den weiblichen Studenten der islamischen Perguruan (Pädagogische Hochschulen).

Doch allmählich wurde es auch bei Frauen anderer Universitäten zur Mode, den Hijab zu tragen, wobei sie sich auf die häufig zitierte 24. Sure des Koran (An-nur, das Licht, 30-32) beriefen, in der der Hijab explizit erwähnt wird.

Politischer Kampf um ein Stück Stoff

Seit den dramatischen Entwicklungen im Iran aber wurde der Hijab von Seiten des indonesischen Staates zunehmend als Symbol des Protestes, als Zeichen der Herausforderung der Macht angesehen, da er auf gewisse Weise ein klassisches Muster islamischer Kultur, das des Widerstandes gegen das Establishment, wieder aufnimmt.

Gewöhnliche religiöse Zusammenkünfte, wie die regelmäßig donnerstags Lies Marcoes-Natsir ist Program Officer der Asia Foundation und Rechtsanwältin in Jakarta für reproduktive Rechte islamischer Frauen. Der Text ist ein Auszug aus ihrem Essay "Staatliche Politik und die theologische Debatte zur Rolle der Frauen in Indonesien". stattfindenden Treffen von Studenten, zu denen sehr viele Frauen im Hijab kamen, wurden zuweilen von der Geheimpolizei überwacht.

Dabei waren die Diskussionen auf diesen Treffen tatsächlich von recht toleranter Natur, ging es doch auch um Fragen gerechterer Verteilung der Macht im Staate.

Andererseits diente das Tragen des Hijab aber als starker Ausdruck der persönlichen Identität, auch der eigenen Entscheidungsfreiheit. Nur allzu häufig waren deshalb diskriminierende oder gar repressive Maßnahmen gegen junge Frauen zu beklagen.

Ein berüchtigtes Beispiel ist der vor Gericht verhandelte Fall einer das Kopftuch tragenden Gymnasiastin (in Bogor, 50 km südlich von Djakarta), deren Direktor sie vor die Wahl stellte, auf den Hijab zu verzichten oder aber die Schule zu verlassen.

Auch auf privater Ebene sorgte das Tragen des Kopftuches für Konflikte, insbesondere in Familien von Beamten oder Armeeangehörigen. Denn selbst wenn die meisten Familien durchaus stolz auf ihre Tochter sein mochten, dass diese ihrer Frömmigkeit und ihrem Glauben derart Ausdruck verlieh, blieb der Hijab zu allererst ein Symbol der Auflehnung. Selbst wenn sie also aus einer Familie von Staatsbediensteten kamen, wurde den Frauen unterstellt, sich mit dem Tragen des Kopftuches offen gegen den Staat zu stellen.

Suhartos religiöser Wandel

All dies änderte sich schlagartig, als der frühere Präsident Suharto damit begann, Einfluss zu nehmen auf die religiösen Symbole, Formen und Zeremonien des Islam. Kritische Stimmen waren laut geworden, und einige der aufrechteren Politiker und Ökonomen deuteten an, dass Suharto und seine Familie in Korruptionsskandale verwickelt seien.

Foto: AP
Proteste in Indonesien gegen Frankreichs Kopftuchverbot

​​Zur Lösung des Problems einer einerseits schmaler werdenden politischen Basis und einer andererseits kritischeren Öffentlichkeit, begann Suharto damit, sich den moderateren unter den religiösen Führern anzunähern und machte Gebrauch von zahlreichen islamischen Symbolen. Immer mehr präsentierte er sich und seine Angehörigen so, wie sie gesehen werden sollten – nämlich als fromme islamische Familie.

Und immer häufiger nahm auch seine Frau, Tien Suharto, an islamischen Feiern und Staatsakten teil, wie dem Maulid Nabi (Geburtstag Mohammeds), Isra-Mi’raj oder an den Festlichkeiten im Vorfeld des Lebaran (dem Ende des Fastenmonats). Schließlich begab sich die gesamte Familie sogar auf die Hadj (Wallfahrt nach Mekka), einschließlich des Besuchs der Kaaba.

Damit nicht genug: Auch in der Bevölkerung wurde es in der Folge immer populärer, diese Wallfahrt zu unternehmen und damit die Pflicht der "fünften Säule des Islam" zu erfüllen.

Zahlreiche Finanzierungsangebote wurden nun aufgelegt, spezielle Sparpläne entworfen, die es tatsächlich zahlreichen Indonesiern selbst aus der unteren Mittelschicht ermöglichten, Kredite zu bekommen, um sich auf den Weg nach Mekka zu machen.

Tututs Kopftuchmode begeistert die Nation

Trotzdem ist die allgemeine Begeisterung, die praktisch das gesamte Land ergriff, vor allem auf Tutut, die älteste Tochter des Präsidenten, zurückzuführen und ihre besondere Art, wie sie den Hijab trug. Indonesische Modedesigner und die Textilindustrie vermochten kaum Schritt zu halten mit der Nachfrage, und das Land wurde Zeuge des Entstehens einer islamischen Mode.

Einige der Schnitte und Muster waren sehr teuer und nur für die Oberschicht erschwinglich. Doch wurden ähnliche Modelle auch in preiswerteren Geschäften, Outlet-Stores sowie als relativ leicht nach zu schneidende Schnittmuster angeboten.

Auch geschäftstüchtige Marketingstrategen spielten natürlich eine Rolle bei der Popularisierung dieser neuen islamischen Mode. Die für Frauen zuständigen Stellen bei Regierungsorganisationen gaben sogar Broschüren mit Ratschlägen für einen solchen Kleidungsstil heraus.

Der Hijab entwickelte sich zu einem unverzichtbaren Bestandteil dieser islamischen Mode. Sein Gebrauch beeinflusste sogar andere Arten weiblicher Kleidung, die gar keinen Verschleierung vorsahen, wie etwa einige der regionalen und traditionellen indonesischen Kostüme.

Kopftuch im Streit: Hijab versus Jubah

Das konservativere Pendant zum Hijab, das als Jubah bekannt ist, wurde hingegen niemals so beliebt. Jemand, der ein Jubah trug, brachte zum Ausdruck, dass er die Autorität des Staates ablehnte und eine Lebensweise gewählt hatte, in der die Lehren des Islam so genau und so rein wie nur möglich befolgt werden. Die Gründe für die mangelnde Popularität dieser Art der Kopfbedeckung sind in der mangelnden Popularität des fundamentalistischen Islam selbst sowie seiner militanten und kompromisslosen Natur zu suchen.

Zudem wurde der Jubah mit weiblichen Gastarbeitern (Tenaga Kerka Wanita) in Verbindung gebracht, die ihr Geld in einem anderen islamischen Land in Übersee verdienten - vor allem Saudi-Arabien. Daher ließ er sich also nicht ohne Weiteres in die indonesische Gesellschaft integrieren.

Der Islam als "schmückendes Beiwerk"

Suhartos Teilnahme an islamischen Feiern und seine aktive Unterstützung bestimmter religiöser Gruppen führte zu einem Aufschwung islamischer Identität. Regierungsagenturen erleichterten und beförderten die Gründung und den Aufbau islamischer Institutionen und Organisationen.

Islamische Banken, eine rege islamische Presse sowie neue Organisationen wurden ins Leben gerufen, während überall im Land Moscheen und religiöse Bildungszentren entstanden.

Da viele dieser Unternehmungen aber eng mit dem Regime Suhartos verknüpft waren, das schon bald deutliche Risse und Brüche aufzuweisen begann, wurden sie von der Öffentlichkeit immer misstrauischer beäugt.

Denn die staatliche Politik stand mit den islamischen Lehren und Moralvorstellungen häufig im offenem Widerspruch. So z.B. wenn es um den Ausbau einer gerechten Gesellschaft, Chancengleichheit für alle und den Schutz der Armen ging.

Die Machthabenden zeigten sehr deutlich, dass es ihnen in erster Linie nur vordergründig um ihr Image als fromme Muslime ging, und für sie daher nur oberflächliche, äußere Symbole des Islams zählten.

© Lies Marcoes-Natsir, Qantara.de 2004

Übersetzung aus dem Englischen: Daniel Kiecol