Friedensprozess auf der Kippe

Letzte Woche hätten Indien und Pakistan ihren bilateralen Experten-Dialog fortsetzen sollen. Doch nach den jüngsten Anschlägen in Bombay hat Indien das Treffen abgesagt und damit den Friedensprozess auf Eis gelegt. Thomas Bärthlein kommentiert

Von Thomas Bärthlein

Anschlagsserie auf Pendlerzüge in Bombay vom 11.07.2006; Foto: AP
Seit den Anschlägen auf Züge in Bombay, die der "Lashkar-e-Tayyaba" angelastet werden, steht der indisch-pakistanische Friedensprozess auf dem Prüfstand

​​Einen Tag nach den Anschlägen hatte alles noch ganz anders ausgesehen: Am 12. Juli versicherte ein indischer Regierungsvertreter, die Terroristen hätten versucht, den Friedensprozess aus der Bahn zu werfen. Dennoch würden die vertrauensbildenden Maßnahmen mit Pakistan fortgesetzt und keineswegs gebremst. Man merkt wohl erst, wie schmal der Grat ist, auf dem man balanciert, wenn der Absturz droht. Wir erleben eine neue Entwicklung in den indisch-pakistanischen Beziehungen, die seit Beginn der Annäherung vor gut drei Jahren eigentlich nur positive Nachrichten produzierten.

Verhärtete Fronten trotz gemeinsamer Erfolge

Eine ähnliche Anschlagsserie im vergangenen Herbst in Delhi förderte sogar noch die gemeinsame Erdbebenhilfe in Kaschmir - man wollte es den Terroristen erst recht zeigen. Doch nun ist der öffentliche Druck in Indien, besonders in den Medien, plötzlich zu stark für die Regierung geworden, um einfach weiter zu machen. Dabei hat es nicht den Anschein, als wüsste jemand in Neu-Delhi, wie es nach dieser populistischen Geste jetzt weitergehen soll. Indien wird konkrete Bedingungen an Pakistan formulieren müssen, unter denen es an den Verhandlungstisch zurückkehrt. Und das ist nicht einfach, wenn man bedenkt, dass es in Bombay noch nicht einmal Ermittlungsergebnisse gibt, die wirklich die Terror-Organisation "Lashkar-e-Tayyaba" überführen, die wiederum - so sieht man es in Delhi - von Pakistans Establishment zumindest geduldet wird.

Unabhängig davon lässt die aktuelle Krise die Schwächen des bisherigen Friedensprozesses klarer zutage treten - wobei die Erfolge nicht vergessen werden sollen: Vor allem der Waffenstillstand in Kaschmir, aber auch eine ganze Menge im Bereich der zwischenmenschlichen Kontakte, zum Beispiel Reise-Erleichterungen, die bis zur Öffnung der De-Facto-Grenze in Kaschmir reichten. Und dennoch ist es Vorsicht und Mutlosigkeit, was als Gesamteindruck zurückbleibt von den vergangenen drei Jahren. Irgendwie konnte man als Beobachter nie den Eindruck gewinnen, der ganz große Wurf, der große Durchbruch sei auch nur entfernt absehbar.

Verpasste politische Chancen

Indische Soldaten an der Grenze im Kaschmir; Foto: AP
Ein sinnloser Grenzstreit, der jedes Jahr Menschenleben und Millionen an Geldern verschlingt - indische Armee-Einheiten im Kaschmir

Das Misstrauen war am Ende wohl doch zu groß, um einander wirkliche Zugeständnisse anbieten zu können. Das könnte sich jetzt rächen, denn es ist wohl gerade diese Halbherzigkeit, die den Prozess anfällig macht für Störfeuer. Hier ein paar Beispiele für verpasste Chancen der vergangenen drei Jahre: Wenn es ein Problem gibt, von dessen Lösung nun wirklich alle profitiert hätten, dann ist es das des "Siachen": Auf dem Gletscher stehen sich indische und pakistanische Truppen in 6.000 Meter Höhe gegenüber - weil der Grenzverlauf umstritten ist.

Der sinnlose Streit im ewigen Schnee kostet jedes Jahr Menschenleben und Millionen. Trotz gezielter Verhandlungen gibt es bisher keine Einigung, die Region einfach zu entmilitarisieren. ​​In Kaschmir hat die jetzige indische Regierung sich zu Gesprächen mit von Pakistan geförderten Separatisten bereit erklärt. Das ist zunächst anerkennenswert, denn sie hat sich damit über Bedenken von Hardlinern im eigenen Lager hinweggesetzt. Noch mehr Vertrauen bei der Bevölkerung in Kaschmir hätte ein konsequentes Durchgreifen gegen Menschenrechtsverletzungen durch die indische Armee geschaffen. Der halbherzige Ansatz lässt in Kaschmir die Zweifler nicht verstummen, die Indien nur ein Täuschungsmanöver vorwerfen.

Zugeständnisse beider Seiten notwendig

Ähnlich ist es mit der Terror-Bekämpfung in Pakistan. Sicher, eine Organisation wie "Lashkar-e-Tayyaba" ist dort verboten worden. Aber ein systematisches Vorgehen sieht anders aus, ganz zu schweigen von einer Bildungspolitik, die den radikalen Koranschulen endlich den Boden entzieht. Wenn der Friedensprozess weitergehen und wirklich etwas erreichen soll, müssen deutliche Zeichen und Zugeständnisse von beiden Seiten kommen, die endlich Vertrauen schaffen. Leider ist in diesen Tagen nur Rechthaberei zu hören. Ein Anstoß kann auch diesmal wieder von außen kommen.

Es waren nicht zuletzt die USA gewesen, die Inder und Pakistaner 2003 an den Verhandlungstisch zurückgebracht hatten - aufgeschreckt durch das nukleare Säbelrasseln 2002 und im Bestreben um gute Beziehung mit beiden Ländern, um einerseits den Terrorismus zu bekämpfen und andererseits den chinesischen Einfluss in Asien zu begrenzen. Erste Reaktionen aus Washington signalisieren jetzt bereits, dass die Administration nicht glücklich ist über den Stillstand in Südasien. Doch Frieden zwischen Indien und Pakistan werden die Amerikaner nicht schaffen können. Jetzt wäre die Stunde der Zivilgesellschaften in beiden Ländern, die den Scharfmachern in Medien und Politik widersprechen und für mehr Mut und Konsequenz im Friedensprozess werben müssten.

Thomas Bärthlein

© Deutsche Welle 2006