Immer im Dienste anderer

Die iranisch-deutsche Filmemacherin und Autorin Siba Shakib sieht sich als Vermittlerin zwischen den Kulturen. Eindrucksvolle Zeugnisse sind ihre preisgekrönten Dokumentationen über Afghanistan und ihr Bestseller-Roman "Nach Afghanistan kommt Gott nur noch zum Weinen".

Siba Shakib zu treffen ist nicht einfach. Sie pendelt zwischen Deutschland, Afghanistan und den USA, ihr Terminkalender ist immer voll: Sie hält Vorträge bei Veranstaltungen von Hilfsorganisationen, ist zu Gast beim deutschen Verteidigungsminister oder beim afghanischen Präsidenten. Sie dreht Filme und ist unterwegs zu Lesungen. Das erste Mal erwische ich Siba Shakib in einem Kölner Hotel, wo sie mit der Lektorin Claudia Vidoni einige Passagen aus ihrem neuen Roman Samira und Samir bespricht. Ihr erstes Buch „Nach Afghanistan kommt der liebe Gott nur noch zum weinen, die Geschichte der Shirin Gol“, war in Deutschland Anfang 2002 ein Bestseller und wurde in über 15 Sprachen übersetzt.

​​Siba Shakib hat die Afghanin Shirin Gol in einem Flüchtlingslager der Vereinten Nationen getroffen und ihre Lebensgeschichte aufgeschrieben. Eine Geschichte, die von Krieg, Hunger und Vertreibung, aber auch von Hoffnung erzählt. Die Idee zu ihrem ersten Buch über Afghanistan hatte Siba Shakib noch vor dem Anschlag auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001. „Ich bin sehr froh, dass ich das vor dem 11. September geschrieben habe und auch vor dem 11. September den Vertrag unterschrieben habe,“ meint Siba und fügt nachdenklich hinzu: „Auch wenn ich nach außen immer sehr sicher wirke, so bin ich eigentlich ein sehr unsicherer Mensch. Wenn das nach dem 11. September passiert wäre, hätte ich das Gefühl gehabt, die kaufen jetzt alles, was mit Afghanistan zu tun hat."

Der neue Roman handelt von Samira, einer Frau, die als Mann lebt. Zunächst unfreiwillig, denn der Vater, ein afghanischer Kommandant, zieht das Mädchen als Sohn auf, weil die Gesellschaft als erstes Kind einen Jungen erwartet. Nach dem Tod des Vaters will Samira der Mutter als männlicher Beschützer zur Seite stehen. Erst die Liebe zu einem Jugendfreund lässt sie zurück in die Frauenrolle schlüpfen.

Faszination Afghanistan

Siba Shakib ist im Iran geboren und hat dort auch ihre Kindheit und Jugend verbracht. Obwohl ihre Mutter Deutsche ist, hat sie selbst erfahren, was es heißt, als Frau in einer männlich dominierten islamischen Gesellschaft zu leben und so enthält ihr neuer Roman auch autobiografische Züge. Bevor sie sich ganz dem Film gewidmet hat, war sie als Radio- und Fernsehmoderatorin tätig, vor allen Dingen im Musikbereich. So portraitierte sie auch in ihren Filmen zunächst Musikstars, angefangen von den Scorpions über Miles Davis bis hin zu Mick Jagger. Diese Phase ihres filmischen Schaffens betrachtet Siba Shakib inzwischen als abgeschlossen. Sie widmet sich jetzt ganz den politischen Themen. Bekannt wurde die Dokumentarfilmerin vor allem durch ihr Interview mit dem geschmähten iranischen Mann von Betty Mahmoody, die das Buch "Nicht ohne meine Tochter" geschrieben hatte; und dann nicht zuletzt durch ihre Fernsehdokumentationen über die Frauen in Afghanistan. „Ich war so fasziniert von dem Land, dass ich immer wieder dorthin gereist bin und dort gedreht habe,“ sagt sie. Was sie am meisten an der afghanischen Bevölkerung bewundert, ist der „absolute Lebenswille“ und die Hoffnung, die in jedem keimt.“

Vermittlerin zwischen Orient und Okzident

Schon vor langer Zeit, als noch die Mujahedeen an der Regierung waren, drehte Siba Shakib Filme über Afghanistan. "Das war während der Mudjahedeen-Zeit rein vom Filmen her sehr einfach, weil die nichts dagegen hatten. Dafür war es sehr schwierig sich zu bewegen“, meint Shakib. „Wegelagerei, Überfälle, Raub, Vergewaltigung erschwerten das Bewegen. Während der Talibanzeit musste Shakib immer aufpassen, dass niemand die Kamera sieht oder sie beim Filmen entdeckt. „Wenn sie das gesehen haben ist die Information ganz schnell in der Hauptstadt gewesen und jedesmal wenn ich in die Hauptstadt gekommen bin, habe ich Probleme gekriegt.“, so die couragierte Deutsch-Iranerin.

Siba Shakib betrachtet sich als Brücke. Ihr gesamtes Leben, ihre Filme und ihre Bücher seien stets dem Ziel untergeordnet, der Welt zu helfen, meint Shakib. Sie versteht sich als Vermittlerin zwischen den Kulturen, zwischen Deutschen und Afghanen – so z.B. bei der Ausbildung afghanischer Polizisten, die von Deutschen geleitet wird. Siba Shakib hat von Anfang an Schutztruppen für Afghanistan gefordert, weil die Menschen ohne Hilfe nicht mehr weiterkommen. Dass dabei auch die westliche Kultur ins Land kommt und einiges von der alten afghanischen Kultur untergehen könnte, muss man ihrer Meinung nach in Kauf nehmen: „Afghanistan kann aus eigener Kraft, die Probleme nicht mehr meistern, weil die Menschen dort nichts mehr haben. Daher brauchen wir die Präsenz ausländischer Hilfsorganisationen und Militäreinheiten, damit Afghanistan überhaupt wieder eine Chance bekommt.“

In ihrem Buch über Shirin Gol spricht Siba Shakib von ihrer großen Erschöpfung. Im wirklichen Leben sind das wohl nur Augenblicke – denn ihr ganzes Engagement gilt Afghanistan, immer ist sie unterwegs zwischen Köln, Kabul und New York, immer im Dienste anderer.

Gaby Reucher, © 2003 Deutsche Welle