Chancenlos im Niemandsland

In Israels besetzten Gebieten arbeiten Tausende Palästinenser als Schwarzarbeiter – so auch in der Retortenstadt Ma'ale Adumin bei Jerusalem. Der israelische Regisseur Ido Haar dokumentiert in seinem Film die harten Lebensbedingungen dieser Arbeitsmigranten. Arian Fariborz hat sich mit ihm unterhalten.

Von Arian Fariborz

Ido Haar; Foto: Arian Fariborz
Ido Haar beschreibt in seinem Film "9 Star Hotel" die harten Lebensbedingungen palästinensischer Schwarzarbeiter in den besetzten Gebieten

​​Wie hat das Publikum während des diesjährigen Filmfestivals in Jerusalem auf Ihre Dokumentation reagiert? War man sich der gravierenden sozialen Probleme, die Sie darin ansprechen, bewusst?

Ido Haar: Der Eindruck, den "9 Star Hotel" auf dem Festival bei vielen Leuten hinterlassen hat, war gewaltig. Selbst konservative Israelis waren sehr geschockt über die Arbeitssituation palästinensischer Schwarzarbeiter. Wenn man solche Verhältnisse sieht, denkt man wirklich anders darüber. Ich hatte das Gefühl, dass sich viele Zuschauer nach dem Film sehr unwohl gefühlt haben. Dabei hat der Film weniger mit dem Nahostkonflikt, als mit sozialen, menschlichen Problemen zu tun, obwohl da natürlich auch etwas Ironisches mitspielt, wenn palästinensische Arbeiter für Ihre Besatzer Häuser errichten.

In Ihrem Film zeigen Sie, wie die illegal auf dem Bau beschäftigten Palästinenser - sowohl an ihrem Arbeitsplatz, als auch in ihren notdürftig zusammen gezimmerten Unterkünften im Niemandsland der umliegenden Berge von Ma'ale Adumin - ständig auf der Hut vor Polizeirazzien ihr Dasein fristen müssen. Hat sich deren Situation seit dem Bau des Grenzzauns noch weiter verschärft?

Haar: Ja, durch die Terroranschläge in Israel und nach dem Mauerbau regelt die Regierung die Arbeitsgenehmigungen für Palästinenser in Israel viel restriktiver. Darüber hinaus wurden in letzter Zeit vermehrt Arbeiter aus China und Thailand angeworben. Doch nach wie vor sind viele Palästinenser auf Baustellen beschäftigt. Da die Nachfrage nach Arbeitskräften aber so groß ist, nehmen die Verantwortlichen im Baugewerbe das Risiko in Kauf, auch illegale palästinensische Arbeiter zu beschäftigen, da die Fertigstellung der Gebäude sonst nicht vorankommt. Doch was ich während der Dreharbeiten als wirklich sehr tragisch empfunden habe, waren diese vitalen, lebenshungrigen jungen Leute, die keine Aussicht auf ein besseres Leben haben.

​​Ich empfinde das als menschlich tragisch, wenn man das mit unseren Möglichkeiten hier in Israel vergleicht. Ich konnte mir mein Studium der Filmwissenschaften frei aussuchen. Viele junge Palästinenser können davon nur träumen, da sie überhaupt nicht die Möglichkeiten dazu haben. Ich bin mir sicher, dass Muhammad, einer der Protagonisten in meinem Film, bestimmt ein Filmemacher geworden wäre, müsste er nicht auf der Baustelle arbeiten. Er hat so viel Talent und dazu eine "poetische Seele", was man in dem Film auch sehr gut beobachten kann. Mir ist klar geworden, dass Vieles im Leben einfach mit Glück zu tun hat oder damit, in welchem Land man geboren wurde.

Ging es Ihnen in "9 Star Hotel" vor allem darum, das soziale Elend der palästinensischen Arbeiter zu zeigen?

Haar: Es ging mir um mehr als das. Ich wollte mit dem Film das Bewusstsein in Israel dafür schärfen, welcher Perspektivlosigkeit und Frustration die jüngere palästinensische Generation ausgesetzt ist, da hier immer noch die Wahrnehmung vorherrscht, dass sich nach dem Mauerbau die Situation verbessert habe, weil es nun weniger palästinensische Bombenanschläge gibt. Die jüngeren Palästinenser dürfen und können immer weniger in Israel arbeiten. Doch welche Alternative bleibt ihnen in den Autonomiegebieten? Armut und Arbeitslosigkeit sind dort extrem hoch, und die Hamas versucht sie dann mit finanzieller Unterstützung an sich zu binden. Was resultiert daraus?

Das Frustrationspotenzial der jüngeren Generation wächst und mit ihm die politische Gewalt – mehr als noch in den Jahren zuvor. Ich habe den Eindruck, dass es in den besetzten Gebieten unter der Oberfläche mächtig gärt und es nur eine Frage der Zeit ist, wann es zur Explosion kommt, die sich gegen uns richtet. Ich liebe Israel, ich bin in diesem Land groß geworden. Diesen Film habe ich gemacht, um die Israelis wachzurütteln, damit sie begreifen, was gegenwärtig vor sich geht, und sie sich nicht weiter der Illusion hingeben, dass der Trennungswall wirklich etwas an der Situation ändert und unser Leben auf einmal friedlicher wird. Ich bin sehr besorgt um diese jungen Palästinenser und vor allem um unsere Familien in Israel.

Was hat Sie während Ihrer Dreharbeiten mit den palästinensischen Arbeitern am meisten beeindruckt?

Haar: In Israel glaubt ein Großteil der Bevölkerung, dass unter den Palästinensern sehr viel Hass gegen die Israelis vorherrscht. Aber der Film macht deutlich, dass dies nicht der Fall ist. Bei den Gesprächen der Palästinenser geht es um das tägliche Überleben, d.h. die Organisation, die Kritik und die Sorge um den anderen. Für mich war das erstaunlich zu sehen, zumal Israel ja sehr viel Verantwortung für diese Situation trägt. Hinzu kommen die kulturellen und politischen Verantwortlichkeiten auf beiden Seiten. Das war sehr spannend zu beobachten, und es hat meinen Horizont erweitert.

Interview: Arian Fariborz

© Qantara.de 2006