Sticheleien für die Despoten

Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem Karikaturenstreit verbinden die wenigsten Westeuropäer die islamische Welt mit Witz und Ironie. Dabei sind die islamisch geprägten Länder keineswegs eine "humorfreie Zone", wie Andrea Lueg berichtet.

Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem Karikaturenstreit verbinden die wenigsten Westeuropäer die islamische Welt mit Witz und Ironie. Dabei sind die islamisch geprägten Länder keineswegs eine "humorfreie Zone", wie Andrea Lueg berichtet.

Ägyptischer Demonstrant mit Karikatur von Präsident Hosni Mubarak; Foto: AP
Satire, Spott und Hohn gegen die autoritären Machthaber in der Region haben in der islamischen Welt eine sehr lange Tradition.

​​Wenn die Pakistanerin Shazia Mirza in London auf der Bühne steht, mit schwarzem Kopftuch und auch ansonsten züchtig gekleidet, dann ist das für viele ungewöhnlich, denn sie ist eine Frau - noch dazu mit Kopftuch - und macht Witze über den Islam.

Humor, Spott, Satire in arabisch-islamischen Kulturen, das klingt in westlichen Ohren fast schon paradox.

In Zeiten von Terroranschlägen und Karikaturenstreit, in denen der Islam in den Medien vorwiegend in Gestalt verkniffener Mullahs und verschleierter Frauen daherkommt, vergisst man im Westen oft, dass auch unter dem Schleier gelacht wird und dass es wohl noch keine Gesellschaft gegeben hat, in der es autoritären Machthabern oder der Zensur gelang, den Humor auszurotten.

Beißender Spott für die Despoten

Tatsächlich haben gerade autoritäre Regime, wie sie in der arabischen Welt derzeit vorherrschen, schon immer die schärfsten Satiriker und bissigsten Spötter hervorgebracht. Allerdings riskieren auch heutzutage die Urheber von politischen oder religiösen Witzen eine Gefängnisstrafe oder sogar ihr Leben.

Der marokkanische Publizist Driss Ksikes bekam zu spüren, wie die Machthaber auf unerwünschten Humor reagierten. In seinem Magazin publizierte er eine lange Serie über marokkanische Witze.

Shazia Mirza; Foto: Maulhelden Festival GmbH
Humor siegt immer: die aus Pakistan stammende britische Komikerin Shazia Mirza

​​Daraufhin wurde Ksikes nicht nur von Fundamentalisten angegriffen, sondern auch vom Staat, der das Magazin schließlich verbot. Ein Gerichtsverfahren wurde gegen ihn als Herausgeber eröffnet und Ksikes zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Die Strafe wurde später ausgesetzt.

Driss Ksikes Heimatland Marokko gilt eigentlich unter den arabischen Staaten insgesamt noch als relativ liberal, doch man wisse heutzutage einfach nicht mehr, was von welchen Leuten als Beleidigung aufgefasst werde, meint der Journalist.

Schluss mit lustig

Für viele Menschen im Westen ist es oft nicht leicht, über arabische Witze zu lachen, weil sie zu wenig über die politischen Umstände, einflussreiche Persönlichkeiten sowie über die Religion und die Gesellschaft wissen. Andererseits können Muslime mitunter auch schnell beleidigt sein, wenn im Westen über den Islam gelacht wird. Der Islamwissenschaftler Thomas Bauer vom Wissenschaftskolleg zu Berlin führt dies auf mehrere Faktoren zurück:

"Die Muslime haben ja nicht aufgehört Humor zu haben, sondern sie befinden sich nur in einer politischen Lage, die nicht gerade zu Humor einlädt", so Bauer.

"Man will die eigene Position als geschlossen, fest und solide darstellen, weil man sich in der Defensivposition fühlt. Das fängt in der Kolonialzeit an und geht bis heute weiter. Und in dieser Defensivposition will man nicht islamische Grundwerte humorvoll in Frage gestellt sehen und schon gar nicht von außerhalb."

Wenn man den Humor in der arabischen Kultur historisch betrachtet, dann spricht man von einem riesengroßen Schatz. Ein Standardwerk der Literatur, das in Europa fast mehr wahrgenommen wurde als in der arabischen Welt, sind die Erzählungen aus 1001 Nacht.

Die Orientalistin Claudia Ott hat die Geschichten neu übersetzt und dabei von abendländischen Projektionen befreit. In 1001 Nacht findet sich ein Humor ganz anderer Art als in den Witzen des Alltags. "1001 Nacht ist ein Buch voller Humor – in der Gesamtanlage des Werkes, wo die Grausamkeit eines Sultans, der jede Nacht seine Frauen köpft, durch Geschichten entlarvt und am Ende entwaffnet wird."

Traditionell humorvolle Literatur

Claudia Ott; Foto: dpa
Humor ganz anderer Art als in den Witzen des Alltags: Die Orientalistin Claudia Ott hat die Geschichten aus 1001 Nacht ins Deutsche übersetzt und dabei von abendländischen Projektionen befreit.

​​Die arabische Kultur blickt auf einen ungeheuer reichhaltigen Schatz von humorvoller Literatur zurück. Vieles davon kann allerdings heute in arabischen Ländern nicht mehr publiziert werden, sondern fällt der Zensur zum Opfer. Früher jedoch, in der klassischen Zeit der arabischen Literatur, sagt der Islamwissenschaftler Thomas Bauer, konnte man bedeutend freier schreiben und publizieren als heute – auch über religiöse Themen.

"Es gibt natürlich Tabus: Man macht sich nicht über den Propheten lustig oder über den Koran, man verwendet ihn aber auf satirischer Weise. Aber die Grenzen, waren in jener klassischen Zeit schon enorm weit", meint Bauer, auch was den Umgang mit Sexualität in der Literatur angeht.

Tabus gab es damals keine, meint der Islamwissenschaftler vom Berliner Wissenschaftskolleg: "Allerdings hat man seit der Kolonialzeit in der islamischen Welt eine Art viktorianischen Puritanismus übernommen, sodass heute - im Gegensatz zu früher - das Thema Sexualität fast vollkommen tabu ist."

Für den Islamwissenschaftler Ulrich Marzolph ist die Wahrnehmung der arabischen Welt im Westen eine sehr eingeschränkte. Wirtschaftliche und politische Aspekte dominieren, die Kultur spiele kaum eine Rolle. Dabei sei es an der Zeit, sich beispielsweise die gemeinsamen Wurzeln von arabisch-islamischer und europäischer Kultur nicht nur bewusst zu machen, sondern sich ihnen auch zu stellen.

"Festzustellen ist, dass sich arabische Witze über verschiedene Quellenbereiche innerhalb der europäischen Überlieferungen weiterverbreitet haben. Wichtige Quellen-Bereiche sind zum Beispiel die Prediger, die zu Kreuzzugszeiten im vorderen Orient waren und von dort Material mitgebracht haben oder Kaufleute, die im direkten Kontakt zur Levante standen."

Ob man es im Westen nun wahrhaben will oder nicht: In der arabischen Kultur wird auch in Zukunft weiter gewitzelt und gelacht werden – auch wenn es in den autoritären Staaten nach wie vor sehr viel Mut erfordert.

Andrea Lueg

© Deutsche Welle 2009

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