Die Morgenlandfahrerinnen

Vor allem Frauen aus Großbritannien begannen im 19. Jahrhundert den Orient für sich zu entdecken, wobei ihre Reisemotive recht vielfältig waren: Versnobte und anspruchsvolle Vertreterinnen des Establishment standen neben exzentrischen Abenteurerinnen. Andreas Pflitsch informiert.

Von Andreas Pflitsch

​​Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein war das Reisen eine Domäne der Männer, und nur wenige Ausnahmen bestätigen diese Regel. Eine solche war Lady Mary Wortley Montagu (1689-1762), die Anfang des 18. Jahrhunderts ihren als Botschafter ins Osmanische Reich entsandten Gatten begleitete. Ihre um Verständnis werbenden, postum veröffentlichten "Briefe aus dem Orient" wurden ein Klassiker der Reiseliteratur. "Sie sehen also", schrieb Lady Mary Wortley Montagu am 19. Mai 1718 aus Konstantinopel, "daß diese Leute so rauh nicht sind, wie wir sie schildern" und mutmaßte gar, "daß sie einen richtigeren Begriff vom Leben haben."

Zugang zum Harem

Das Buch verdankt seinen Erfolg nicht zuletzt der Tatsache, dass die Autorin Zugang zum Harem hatte. Dass die männlichen Reisenden davon ausgeschlossen waren, hatte deren Phantasie über die Jahrhunderte angefacht und manch kuriose Vorstellung hervorgebracht.

Es waren überwiegend Britinnen, die sich als Reiseschriftstellerinnen einen Namen machten. Im späten 19. Jahrhundert, der Hochzeit der abenteuerlichen Reisebeschreibung, reisten Isabel Burton (1831-1896), Isabella Bird (1831-1904), Anne Blunt (1867-1917) und Gertrude Bell (1868-1926) durch die arabischen Länder, und die in Paris geborene, in Italien aufgewachsene Britin Freya Stark (1893-1993) besuchte zwischen 1928 und 1983 immer wieder den Vorderen Orient und machte sich als Fotografin einen Namen.

Treusorgende Ehefrauen und Exzentrikerinnen

Isabelle Eberhardt, 1877-1904

Die Reiseanlässe und -motive waren vielfältig. Versnobte und anspruchsvolle Vertreterinnen des Establishment standen neben exzentrischen Abenteurerinnen. Treusorgende Ehefrauen begleiteten ihre Ehemänner, die als Archäologen, Diplomaten oder Abenteurer unterwegs waren; allein reisende Frauen flüchteten vor den restriktiven gesellschaftlichen Konventionen des bürgerlichen Europa. Neben den Britinnen machten sich auch die Wienerin Ida Pfeiffer (1797-1858) und die Deutsche Ida Gräfin von Hahn-Hahn (1805-1880), die erfolgsreichste Unterhaltungsschriftstellerin ihrer Zeit, auf ins Morgenland.

Das kurze Leben der als Tochter einer adligen russischen Emigrantin in Genf geborenen Isabelle Eberhardt (1877-1904) mutet derart phantastisch an, dass ihre Biographie immer wieder angezweifelt wurde. Sie reiste als Mann verkleidet durch die algerische Sahara, schrieb Gedichte in arabischer Sprache und ertrank 27-jährig bei einer Sturzflut in der Wüste. Kaum weniger schillernd und exzentrisch gab sich Lady Hester Stanhope (1776-1839), deren Haus im Libanon Orient-Reisende wie Alphonse de Lamartine oder Alexander Kinglake anzog. So unterschiedlich die Motive, so vielseitig waren die Charaktere der Reisenden.

Ihre Haltung bewegte sich zwischen offener Neugier und Sympathie auf der einen Seite und schamlosem Überlegenheitsdünkel und Rassismus auf der anderen. Auch in dieser Hinsicht standen die reisenden Damen ihren männlichen Kollegen in Nichts nach.

Mit dem Klavier nach Khartum

Manche Unternehmung wuchs sich zu einer logistischen Großtat aus. So reiste die Russin Lydie Paschkoff 1872 mit einer aus 33 Maultieren, 35 Kamelen, zwanzig Eseln und zwölf Pferden bestehenden Karawane nach Palmyra. Alexine Tinne (1835-1869), Erbin eines niederländischen Zuckerbarons, unternahm mit ihrer Mutter 1862 eine nicht minder üppig ausgestattete Nilexpedition. Sie reist mit so großer Dienerschaft, dass die in ihrer Abenteurerehre gekränkten männlichen Kollegen die Nase rümpften und beklagten, die entbehrungsreiche Erforschung Afrikas werde zu einem Wochenendausflug herabgewürdigt.

Katherine Petherick, die 1861 ihren Mann John in den Sudan begleitete, nahm gar ein Klavier mit auf den beschwerlichen und gefährlichen Weg durch Nubien. Immerhin hatte man eine in zwei Teile zerlegbare Sonderanfertigung gewählt.

London-Bagdad in acht Tagen

Einige vorderorientalische Reiseziele wurden im Laufe des 19. Jahrhunderts derart populär, dass es manch einer Reisenden schon lästig wurde. Emily Beaufort, die 1858 durch Ägypten reiste, mokierte sich über den "in Mode gekommenen, überfüllten Nil". Wenige Jahre später spottete der Afrika-Reisende Samuel Baker über Alexine Tinnes' Expedition, die Tour komme allmählich in Mode so dass es angebracht scheine, "eine Gastwirtschaft am Äquator zu eröffnen, wo Reisende auf ein Bier einkehren können." Der aufkommende Massentourismus war die Schattenseite des zunehmend bequemeren und sichereren Reisens. Maultiere, Esel und Kamele wurden durch die Eisenbahn verdrängt.

Mit "Safety, Rapidity, Economy" warb 1931 der "Simplon-Orient-Express & Taurus-Express", mit dem die Strecke London-Bagdad in der Rekordzeit von acht Tagen im exklusiven Schlafwagen zu bewältigen war. Agatha Christie (1890-1976) nutzte die Verbindung mehrmals mit ihrem Ehemann, dem Archäologen Max Mallowan. Für die damals bereits zur Verfügung stehende, ungleich rasantere Reiseform des Fliegens - es gab erste Verbindungen zwischen England und Kairo sowie Bagdad - konnte sich die Schriftstellerin nicht erwärmen. Diese Art des Reisens sei ihr zu teuer und zu langweilig.

Andreas Pflitsch

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