Rappen für den Heiligen Krieg

Mit HipHop-Musikvideos, in denen zum Heiligen Krieg aufgerufen wird, versuchen Islamisten in Großbritannien Jugendliche für sich zu gewinnen. Droht eine Radikalisierung oder benutzen die Jugendlichen den Islam eher als Attitüde? Antworten von Matthias Becker

Symbolbild militanter Islamismus in Großbritannien; Bild: dpa
Im Internet kursieren Musikvideos mit jungen religiöse Fanatikern in HipHop-Posen. Nur "cooles" Posing - oder können so Jugendliche für den militanten Islam gewonnen werden?

​​ In Deutschland muss sich zurzeit ein 24-jähriger Libanese verantworten, weil er Anschläge auf deutsche Züge geplant haben soll. In England standen im Oktober zwei 28 und 29 Jahre alte Männer vor Gericht – ebenfalls wegen Attentatsplänen. Und einen Monat zuvor wurden drei junge Londoner verurteilt, weil sie Bombenanschläge geschmiedet hatten.

Allen drei Vorfällen ist eines gemeinsam: Die Attentäter handelten aus islamistischer Überzeugung und alle waren vergleichsweise jung.

Religiöser Fanatismus als Jugendphänomen? Nicht allzu abwegig: Märtyrervideos werden mit cooler Ragga-Musik unterlegt und religiöse Fanatiker präsentieren sich in den klassischen Gangster-HipHop-Posen.

Ein merkwürdiges Bild bietet sich zum Beispiel in dem Musikvideo "Dirty Kuffar": Zu Ragga-Klängen, einer Mischung aus Dancehall- und Reggae-Musik, tanzt und singt ein Mann, vermummt mit einem Palästinenserschal, und streckt dem Betrachter eine Pistole entgegen.

HipHop-Musikvideos als Provokation

Im Text dieses Raps wird zum Heiligen Krieg aufgerufen. Der Musiktitel ist unterlegt mit Kriegsbildern aus dem Nahen Osten und mit Bildern vom Einsturz des World Trade Centers, das unter dem höhnischen Lachen des Sängers zusammenbricht. Als das Video "Dirty Kuffar" – "Dreckige Ungläubige" – vor vier Jahren auf der Internetseite eines radikalen Predigers erschien, folgte eine Welle islamistischen Raps.

Der Islamwissenschaftler Jochen Müller beschäftigt sich mit muslimischer Jugendkultur. Insbesondere richteten sich die Clips an junge Menschen, die ein starkes Ungerechtigkeitsempfinden haben. "Diese Jugendlichen bilden eine Protestbewegung. Am Ende einer langen Entwicklung nehmen sie für sich in Anspruch, gegen die Feinde auch militant vorzugehen", erklärt Müller.

Das Wrack einer U-Bahn nach Bombenanschlägen islamistischer Terroristen in London im Juli 2005; Foto: dpa
Im Juli 2005 wurden in London vier Bomben gezündet, in U-Bahnen und in einem Bus. Der jüngste Täter war 18 Jahre alt.

​​ Polizei und Regierung zeigen sich besorgt

Müller kennt die Propaganda, die mittlerweile auch als Pop daherkommt, betont aber auch, dass nicht immer, wenn sich beispielsweise ein Rapper mit Bin Laden vergleicht, dahinter fundamentalistische Überzeugungen stehen. Meist geht es um Provokation und Schockeffekte. Aber manchmal steckt dann doch mehr dahinter.

In Großbritannien, wo "Dirty Kuffar" entstand, haben Islamisten unter Jugendlichen an Einfluss gewonnen. Polizei und Regierung bereitet diese Entwicklung Sorgen. Sie glauben, dass damit auch die Gefahr terroristischer Anschläge wächst.

Im September wurden drei junge Londoner verurteilt, weil sie Bombenanschläge geplant hatten. Zuvor hatten sie so genannte "Märtyrervideos" aufgenommen – Filme, mit denen sich Terroristen zu ihren Anschlägen bekennen.

"Es wird eine Welle von Märtyreroperationen geben. Eure Länder werden bombardiert werden. Euch erwarten tägliche Qualen in dieser Welt, und noch größere Qualen im Jenseits! Mein einziger Wunsch ist, ins Leben zurückzukommen und dasselbe noch einmal zu tun. Und dann noch mal, und noch mal, bis die Leute endlich zur Vernunft kommen und kapieren, dass man sich besser nicht mit den Muslimen anlegt", heißt es in einem dieser Märtyrervideos.

Von "Muslim Boys" und Hip-Hop-Posen

Mit islamischem Brauchtum hat die Art, wie sich diese jungen Männer vor der Kamera in Szene setzen, wenig zu tun – viel dagegen mit Hip-Hop-Posen und dem Habitus innerstädtischer Ghettos.

Symbolbild; Foto: AP/DW
Viele islamistische Gruppen nutzen die neuen Medien zur Radikalisierung auch von Jugendlichen, doch nicht alle machen in der Folge eine militante Entwicklung durch, so Matthias Becker.

​​ Tatsächlich gibt es in London seltsame Überschneidungen: Da nennt sich eine berüchtigte Straßengang im Süden der Stadt "Muslim Boys"; und Sozialarbeiter berichten, dass junge Männer, die bis vor kurzem noch mit Drogen handelten und einen "Gangster"-Lebensstil pflegten, nach Afghanistan aufbrechen, um auf der Seite der Taliban zu kämpfen.

Neil Gerrard ist der Parlamentsabgeordnete des Stadtteils Walthamstow. Aus seinem Wahlkreis stammen drei der Verurteilten. "Bei uns versucht eine Organisation von Muslimen, der Radikalisierung unter jungen Leuten entgegen zu wirken. Sie wendet sich besonders an diejenigen, die in Schwierigkeiten mit der Polizei geraten sind, zum Beispiel wegen Drogenhandels", erklärt Neil Gerrard seine Gegenmaßnahme.

Denn die Extremisten versuchten gerade diese jungen Leute zu umwerben. Es habe bereits ernste Probleme in den Gefängnissen gegeben, "weil dort Leute, die wegen ganz unpolitischer Delikte eingesperrt sind, in Kontakt mit den Extremisten kommen", sagt Gerrard.

Islam als Attitüde?

Der Islamismus bietet sich den ausgegrenzten Jugendlichen gleich aus mehreren Gründen an: Er lehnt die westliche Gesellschaft radikal und militant ab, bietet eine klare Orientierung und verspricht Gemeinschaft. Verschmelzen also Ghettokultur und Islamismus?

Der Islamwissenschaftler Jochen Müller warnt jedoch davor, die Gefahr zu übertreiben. "Ich würde es eher so beschreiben, dass sich Teile der Straßenkultur, im Sinne vom viel beschriebenen Ghetto, des Islams als Attitüde bedienen. Nur wenige Einzelne machen also diese militante Entwicklung durch", erklärt der Islamwissenschaftler. "Die Grundlage aber ist, dass es sich beim Islamismus, in all seinen Strömungen, um eine Protestbewegung handelt."

Matthias Becker

© Deutsche Welle 2008

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Jochen Müller ist Mitarbeiter und Mitbegründer des Berliner Vereins Medienforschung & politische Bildung in der Einwanderungsgesellschaft - www.ufuq.de