Helmut N. Gabel, 13. Mai 2011

zu Angst vor Separatisten von Faraj Sarkohi

Herr Sarkohi schildert in ruhigem Ton ein Thema, das bei Betroffenen (z.B. Balutschen oder Kurden) sehr starke und leidenschaftliche Gefühle auslösen kann, wie ich es schon auf mehreren Konferenzen erleben konnte. Im Großen und Ganzen sind die Schilderungen sicher treffend. Eine Schwierigkeit tut sich auf, wenn es um das Thema Mehrheiten und Minderheiten im Iran geht. Das Regime im Iran hätte gerne den Eindruck vermittelt, dass die Mehrheit der Iraner Schiiten sind, um seine Legitimation nach der Zwölfer-Schia zu bekräftigen. Dies zu behaupten ist zwar möglich, aber unsicher, da keine glaubhaften Statistiken zu dem Umstand existieren, wer welcher Konfession zugehörig ist. Selbst wenn es diese Statistiken gäbe, wäre höchste Vorsicht geboten, denn in einem Staat, der alle Rechte (z.B. auf höhere Bildung oder Amt) nur dann gewährt, wenn man sich zu der Zwölfer-Schia bekennt, schafft sich eine hohle Form: das religiöse Bekenntnis aus pragmatischen Erwägungen heraus. Darüberhinaus ist die Vielfalt der Anschauungen im Iran so groß, dass es sich empfiehlt, besser nicht von Mehrheiten oder Minderheiten zu sprechen, sondern bei der Vielfalt bleibt. Derwische unterschiedlichster Orden wie Naqshbandis, Quaderis oder Nematollahis rechnen sich zum Beispiel zwar entweder der Sunna (Naqshbandis und Quaderis) oder der Schia (Nematollahis) zu, möchten sich aber nicht unter das Prinzip "Velayat-e-faqih" (Herrschaft des Rechtsgelehrten, Anm. d. Red.) beugen und auch nicht unter einen staatlich vorgeschiebenen Islam. Dazu ist bekannt, dass gerade in den verschiedenen Grenzgebieten wie Belutschistan, Kurdistan, Lorestan usw. das Sufitum ein Teil der Volkskultur ist, wie mir immer wieder versichert wird von Einheimischen. Rechnet man diese verschiedenen Derwisch-Gruppierungen zusammen, die nicht nach staatlichen Vorgaben geformte Schiiten sind, ergibt sich schon mal eine inoffizielle Zahl von 20 Millionen, die bei insgesamt geschätzten 80 Millionen Einwohnern im Iran eine nicht unerhebliche Anzahl ausmachen.