Züchtig und Islamkonform

Unter der Herrschaft der Hamas treten immer mehr Frauen im Gazastreifen den Dienst als Polizistin an, oftmals aus finanziellen Gründen. Sie sollen sich vor allem um einen islamkonformen Umgang mit anderen Frauen kümmern. Ruth Kinet berichtet.

Verschleierte Polizistin in Gaza; Foto: AP
Seit dem Oslo-Abkommen von 1993 gibt es in Gaza auch eine Frauen-Abteilung der Polizei.

​​ Naremeen Odwan befehligt 200 Polizistinnen. Seit anderthalb Jahren leitet sie die Frauen-Abteilung der Hamas-Polizei im Gazastreifen. Sie steht im Rang eines Majors, ist 30 Jahre alt und Mutter von fünf Kindern. Im Gazastreifen, sagt Odwan, seien Polizistinnen in allen Polizeistationen und allen Bereichen vertreten, sei es in der Drogenbekämpfung, bei der Kriminal- oder der Verkehrspolizei. Sie leitet die Mannschaften und organisiert die Zusammenarbeit, die Dienstpläne, die Urlaubszeiten und Fortbildungen.

Die Frauen-Polizeiabteilung ist keine Neuerfindung der jetzigen Regierung. Es gab sie auch schon vor der Machtübernahme durch die Hamas im Jahr 2007, genau genommen seit den Oslo-Verträgen von 1993. Unter der jetzigen Regierung wurde die Frauen-Quote allerdings merklich erhöht.

Strikte Geschlechtertrennung

Die Polizistinnen im Gazastreifen tragen hellgraue knöchellange Umhänge, einen dunkelgrauen Schleier, der das Gesicht frei lässt, und weiße Handschuhe. Grundsätzlich sind die Ordnungshüterinnen immer dann gefragt, wenn es um einen Kontakt mit Frauen geht, ob in Familienauseinandersetzungen oder bei der Bekämpfung des Drogenhandels. Innerhalb der Hamas-Polizei gilt eine strikte Trennung der Geschlechter: Wenn die Polizistinnen gemeinsam mit ihren männlichen Kollegen zu einem Einsatz müssen, fahren die beiden Mannschaften in getrennten Fahrzeugen.

Verschleierte Polizistinnen in Gaza; Foto: AP
Unter der Hamas gewann die Frauen-Abteilung der Polizei im Gaza-Streifen immer mehr an Bedeutung.

​​ Eine makellos sittliche Biografie sei die Grundvoraussetzung für die Aufnahme in die Frauen-Polizei, erklärt die Naremeen Odwan: "Wer sich bei uns bewirbt, muss körperlich fit sein und einen gefestigten Charakter haben. Man recherchiert in den Lebensläufen der Kandidatinnen und wenn sich dort negative Punkte finden, werden sie nicht akzeptiert." Wichtig seien auch Moral und der Sicherheitshintergrund; die Frauen dürften keine Spionin gewesen sein und noch nicht einmal Kontakte zu Israelis gehabt haben, erklärt Odwan.

Hauptsache Einkommen?

Abad hat die nötigen Anforderungen erfüllt. Sie ist 25 und eigentlich Diplomingenieurin. Jetzt arbeitet sie in der Verwaltung der Hamas-Polizei. Abad meidet den Blickkontakt mit ihrer Chefin während sie spricht. Sie sagt, sie wolle ein "konstruktives Element in der Gesellschaft sein".

Ihre Sätze wirken irgendwie vorgefertigt, Begeisterung für ihre Arbeit ist Abad nicht anzumerken. Aber im Gazastreifen liegt die Erwerbslosenquote bei 39 Prozent. Etwa 70 Prozent der rund anderthalb Millionen Einwohner des Gazastreifens müssen von umgerechnet weniger als 80 Euro-Cent am Tag leben. Da erscheinen eine Festanstellung bei der Hamas-Polizei und ein monatlicher Verdienst von 220 Euro durchaus attraktiv.

Frau in einem Armutsviertel in Gaza; Foto: AP
Ideologie oder Ökonomie? Nicht immer spielt die ideologische Überzeugung bei der Jobwahl eine Rolle. Viele Frauen treten vor allem aus finanziellen Gründen und aus Mangel an Alternativen den Dienst bei der Polizei an.

​​ Naremeen Odwan wirkt zurückhaltend. Ihr Lächeln ist schüchtern, fast mädchenhaft. Aber sie ist nicht zufällig Chefin der Frauen-Abteilung bei der Hamas-Polizei: Odwan ist von Bedeutung und Sinn ihrer Arbeit überzeugt. Auf die Frage, ob es nicht befremdend für sie war, beruflich mit Waffen zu tun zu haben, geht ein Strahlen über ihr Gesicht. "Nein", sagt sie, "ganz und gar nicht. Ich war glücklich darüber. Ich hatte mir das seit langem gewünscht!" Und dann klingelt ihr Handy – und macht das Geräusch eines Maschinengewehrfeuers.

Ruth Kinet

© Deutsche Welle 2010

Redaktion: Lewis Gropp/Qantara.de

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