Afrika am Karpfenteich

Am Beispiel Berlins demonstrierte das Zentrum Moderner Orient die historische Tiefe der Globalisierung und machte auf eine lange Tradition des Austauschs mit dem Orient aufmerksam. Lennart Lehmann hat an der virtuellen Führung teilgenommen.

Angestellter der Bagdadbahn
Angestellter der Bagdadbahn

​​Die Sehnsucht nach Nachrichten aus der islamischen Welt jenseits von Terrorismus und Kopftuchdebatte muss bei den Berliner Bildungsbürgern groß sein. Wie sonst ist es zu erklären, dass bei einem kleinen Heimatabend mit dem Titel "Orient in Berlin" kein Platz frei bleibt, und Interessierte wegen der großen Nachfrage sogar abgewiesen werden müssen.

Das Zentrum Moderner Orient (ZMO) bot mit Stadtführer Achim von Oppen einen virtuellen Rundgang durch die Hauptstadt an. Der habilitierte Afrikaexperte und stellvertretende Leiter des ZMO führte sein Publikum an die Schnittpunkte der Berliner Geschichte mit dem Orient.

Spuren des Orients in Berlin

Dabei beantwortete er Fragen wie die nach dem Ursprung der Mohrenstraße (die übrigens eine Bürgerinitiative gegen Rassismus in Möhrenstraße umbenennen möchte). Dort wurden im 17. Jh. die aus Afrika importierten Musikanten der Brandenburgischen Armee untergebracht. "Die Geschichte des Vorderen Orients, Afrikas und Asiens findet in Berlin statt", so von Oppen.

Beispiel Columbiadamm: Der hier liegende islamische Friedhof wurde Ende des 18. Jahrhunderts anlässlich des Todes des Botschafters des Osmanischen Reiches gegründet.

Karpfenteich im Treptower Park
Karpfenteich im Treptower Park

​​Beispiel Treptower Park, Karpfenteich: Hier veranstaltete das deutsche Kolonialreich Völkerschauen für Sonntagsspaziergänger und ließ sie echte Ureinwohnern aus Kamerun und Polynesien bestaunen. Einer dieser ausgestellten Afrikaner arbeitete sich später zum ersten schwarzen U-Bahnführer der damaligen Reichshauptstadt hoch.

Translokale Verflechtungen

Beispiel Unter den Linden: Im Orientalischen Seminar der Preußischen Akademie der Wissenschaften, heute das Gebäude der Staatsbibliothek, wurde Kolonialpolitik betrieben. Es diente aber auch als akademisches Sprungbrett für Intellektuelle aus den Kolonien.

Stadtteil Wilmersdorf: In der ältesten Moschee Berlins, gegründet von einer indischen Community, predigte 1943 der Großmufti von Jerusalem. Er hatte sich von Hitler Unterstützung für die arabischen Nationalisten erhofft. Hitler ließ derweil arabische Kriegsgefangene aus der französischen Armee im KZ Sachsenhausen ermorden.

Doch was ist der Sinn solcher Veranstaltungen? Gegenwärtig, so die Direktorin des ZMO, Ulrike Freitag, untersucht das Forschungszentrum "translokale Verflechtungen" und die "historische Tiefe des Phänomens der Globalisierung - vor diesem Hintergrund erscheint die Weltgeschichte in einem anderen Licht."

Globalisierung ist kein neues Phänomen

Das wollte von Oppen am Beispiel Berlins verdeutlichen: "Berlin war schon immer ein Ort der Produktion von Wissen über den Orient, ein Ort der Produktion von Klischees, ein Ort der Synthese und des Austauschs." Und: "Es ist doch ganz beruhigend, zu wissen, dass Globalisierung, Bewegung von Menschen, Gütern und Ideen über kulturelle Grenzen hinweg, schon seit Jahrhunderten stattfindet und eigentlich gar nichts Neues ist."

Beunruhigen kann einen allerdings, dass diese "Globalisierung" fast durchweg mit Krieg, Raub, Unterdrückung und Chauvinismus verbunden gewesen zu sein scheint. Das lässt den gegenwärtigen Globalisierungsprozess leider nicht nur fortschrittlich erscheinen.

Lennart Lehmann

© Qantara.de 2004

Zentrum Moderner Orient