Zum Wohle aller

Die Erzielung der Gleichberechtigung im Nahen Osten wird ein langer Prozess sein, der grundlegende Reformen in Bildung, Gesellschaft und Wirtschaft erfordert. Doch wenn Frauen die richtige Schulung erhalten, kann dieser Prozess sehr rasch erfolgen, meint die omanische Bildungsexpertin Arib Ali Al-Mandhari.

Von Arib Ali Al-Mandhari

Jahrhunderte lang haben Frauen in der ganzen Welt um die grundlegendsten Rechte gekämpft. Der Kampf um die Gleichberechtigung ging immer bergauf – und ist noch lange nicht vorüber. Das ist ganz bestimmt der Fall im Nahen Osten, wo die Herausforderungen, vor denen Frauen stehen, in sozialen Normen, kulturellen Systemen und religiösen Doktrinen verwurzelt sind, und sogar in der Rechtsprechung verankert sein können.

In einigen Ländern im Nahen Osten dürfen Frauen ohne die Zustimmung eines Mannes ihrer Familie weder reisen, noch arbeiten oder wählen. Selbst wenn es nicht ausdrücklich verboten ist, ist es doch häufig sehr schwierig für Frauen, einer Beschäftigung nachzugehen, natürlich auch wegen des verbreiteten Widerstands der Männer, die in diesen Gesellschaften den Ton angeben. Jede Frau, die schon einmal versucht hat, sich für einen Job zu bewerben, weiß, wie vehement dieser Widerstand sein kann.

Das Ergebnis dieser Normen und Strukturen ist, dass Frauen im Nahen Osten oft Diskriminierung, Isolation und Frustration erfahren. Sie sind keine freien Mitglieder ihrer Gesellschaften und können nichts zur wirtschaftlichen Entwicklung ihrer Länder beitragen.

Aber die Welt ändert sich schnell. Wir leben in Zeiten einer immer komplexer werdenden Vernetzung und die Menschen sind sich mehr als jemals zuvor bewusst, was möglich ist und mehr als jemals zuvor motiviert, Reformen anzustreben, die ihre Lebensumstände verbessern – im Bildungswesen, in der Wirtschaft oder in der Politik. Welche Reformen werden also gebraucht, um die Gleichberechtigung der Geschlechter voranzutreiben?

Bildung als Schlüssel zur Gleichberechtigung

Ein zentraler Fokus muss die Bildung sein. Zuallererst müssen Schulen Mädchen mit dem Wissen ausstatten, das sie brauchen, um ihr Potenzial in der Zukunft verwirklichen zu können. Aber es ist auch unbedingt erforderlich, bei Mädchen und Jungen die Erkenntnis zu wecken, dass soziale und ökonomische Gleichberechtigung notwendig sind, um die grundlegende Chancengleichheit zu gewährleisten, die alle verdienen.

Junge Frauen demonstrieren für Gleichberechtigung in Tunis, Fotot: picture-alliance/abaca
Für den Aufbau arabischer Zivilgesellschaften: "Es ist unbedingt erforderlich, bei Mädchen und Jungen die Erkenntnis zu wecken, dass soziale und ökonomische Gleichberechtigung notwendig sind, um die grundlegende Chancengleichheit zu gewährleisten, die alle verdienen", so Arib Ali Al-Mandhari.

Die Förderung der Gleichberechtigung erfordert auch Änderungen in der Politik und in der Gesetzgebung. Es geht nicht nur um die gesetzliche Gleichstellung, sondern die Länder müssen darüber hinaus daran arbeiten, die Präsenz von Frauen in Politik und Regierung zu stärken. Frauen müssen wissen, dass sie Ämter mit echter Autorität innehaben können, gerade in Bereichen, aus denen sie historisch ausgeschlossen waren – und sie brauchen die Ermutigung, dass sie diese Ämter auch erzielen können.

Dasselbe gilt für die Wirtschaft. Frauen brauchen Gelegenheiten und Unterstützung, um ihre eigenen Unternehmen zu aufzubauen und leiten zu können, um Innovation voranzutreiben und finanziell unabhängig zu werden. Das wäre nicht nur vorteilhaft für Frauen, sondern auch für ihre Familien, Gemeinschaften und für die Wirtschaft als Ganzes. Auch Frauen, die keine Unternehmerinnen sind, hätten viel zu bieten, wenn sie die Chance bekommen, zu arbeiten und ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen.

Zugang zu beruflicher Bildung und Integration in den Arbeitsmarkt

Dazu trägt Bildung wesentlich bei. Frauen brauchen Zugang zu Beratung, Workshops und längerfristigen Schulungsprogrammen, die sie auf die Teilhabe am Arbeitsmarkt vorbereiten und gleichzeitig sicherstellen, dass sie ihre Rechte kennen – und verteidigen.

Eine wichtige Initiative, die ein nützliches Vorbild für derartige Projekte sein kann, ist das "Springboard Women’s Development Programme", das vom British Council entwickelt wurde. Ziel des Programms ist es, Frauen das Vertrauen und die Fähigkeiten zu vermitteln, die sie brauchen, um ihr Leben beruflich und persönlich zu verbessern, um ihre Rolle und ihren Einfluss im öffentlichen Leben zu erweitern und um dazu beizutragen, stabile und inklusive Gesellschaften im Nahen Osten und Nordafrika zu fördern.

Der Schlüssel zum Erfolg des Programms ist sein Fokus auf der Ermächtigung der Frauen, um ihr Potenzial auszuschöpfen. Es hilft den Teilnehmerinnen, ihre Fähigkeiten zu erforschen und zu entwickeln, und diese dann in einer praktischen Umgebung umzusetzen, wie beispielsweise eine Finanzierung zu beantragen, um ein eigenes Geschäft zu gründen oder auszubauen. Es bereitet Frauen auch darauf vor, sich den Hindernissen zu stellen und sie zu überwinden, denen sie unweigerlich begegnen werden, wenn sie an Unabhängigkeit und Einfluss gewinnen.

"Springboard Women’s Development Programme" wird von einem Netzwerk qualifizierter Trainern vermittelt und wurde schon von mehr als 230.000 Frauen in über 40 Ländern genutzt. In nur vier Jahren hat das Programm im meiner Heimat Oman in Zusammenarbeit mit dem nationalen Bildungsministerium mehr als 700 Frauen ausgebildet, und es gibt noch viele Interessentinnen.

Die Erzielung der Gleichberechtigung im Nahen Osten wird ein langer Prozess werden, der grundlegende Reformen in Bildung, Gesellschaft und Wirtschaft erfordert. Aber wenn Frauen jetzt die richtige Schulung erhalten, kann dieser Prozess auf den Weg gebracht werden, so dass die Hälfte der Bevölkerung endlich ihr Potenzial ausschöpfen kann – zum Wohle aller.

Arib Ali Al-Mandhari

© Project Syndicate 2017