Geschichte Fikrun wa Fann

Kurztext des Artikels.

1963, vor fast 40 Jahren, erschien die erste Nummer der Zeitschrift Fikrun wa Fann. Es war ein merkwürdiges Projekt, eine Zeitschrift, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte, von Deutschen für die islamische Welt. Diese Zeitschrift zeichnete sich dadurch aus, dass sie keinen unmittelbaren politischen oder ökonomischen Zweck hatte. Es war kein Werbeblatt für den Tourismus in Deutschland oder für die deutsche Industrie. Es war auch kein politisches Propagandamittel im Dienst einer Regierung, wie es die fremdsprachigen Dienste der Rundfunkanstalten waren, die im zweiten Weltkrieg ihre große Zeit hatten und bis heute weiterleben - zum Beispiel mit dem arabischen Dienst der Deutschen Welle oder der BBC. Hinter der Gründung dieser Zeitschrift stand vor allem der Wunsch nach Völkerverständigung und kulturellem Austausch. Dieser Wunsch fiel Anfang der sechziger Jahre mit Rahmenbedingungen politischer Natur zusammen. Und erst diese weltpolitische Situation ließ den Wunsch Realität werden. Diese weltpolitische Situation war der Ost-West-Konflikt, nicht in dem aktuellen Sinn eines Konflikts zwischen Orient und Okzident, sondern als Konflikt zwischen den Staaten mit kommunistischer und kapitalistischer Wirtschaftsordnung und Weltanschauung. Blickt man heute auf diese Zeit zurück, erscheint es nicht als Zufall, dass die Zeitschrift ausgerechnet 1963 gegründet wurde. Mit dem Bau der Berliner Mauer 1961 und der Kuba Krise im Oktober 1962 war der Kalte Krieg auf seinen Höhepunkt gelangt. Die Welt wurde nach und nach in Staaten geteilt, die sich nach Westen orientierten und solchen, die sich an die Sowjetunion banden. Viele Regionen in der Dritten Welt waren umkämpft. Welches Bündnissystem, das kapitalistische oder das kommunistische würde die meisten Staaten für sich gewinnen? Wohin, so lautete die große Frage, orientierten sich die Entwicklungsländer, besonders in Asien, Afrika und Südamerika? Und wohin, so lautete vielleicht die wichtigste Frage, orientierten sich die arabischen-islamischen Länder mit ihrem neu entdeckten Reichtum an Erdöl und ihrer wichtigen geopolitischen Lage? Eine Zeitschrift wie Fikrun wa Fann, die die kulturellen Beziehungen zwischen (West)Deutschland und der arabischen Welt betonte, leistete in dieser weltpolitischen Lage gute Dienste.

Vor diesem Hintergrund gelang es Anfang der sechziger Jahren dem Journalisten und Kunsthistoriker Albert Theile (1904 – 1986), das Bundespresseamt davon zu überzeugen, auch eine Zeitschrift für die arabische Welt zu unterstützen. Theile war nach einer abenteuerlichen Flucht vor den Nazis und dem Kriegsgeschehen nach Chile gelangt, wo er als Universitätslehrer tätig wurde und die Zeitschrift „Humboldt“ (nach dem deutschen Südamerikareisenden und Naturforscher Alexander von Humboldt), die deutsche Zeitschrift für Lateinamerika gründete, bevor er sich 1952 in der Schweiz niederließ. Nachdem „Humboldt“ großen Erfolg hatte, gründete er 1963 Fikrun wa Fann.

Mit der Orientalistin Annemarie Schimmel fand Theile von Anfang an eine Mitarbeiterin, die die islamische Welt so gut kannte wie nur wenige Deutsche. Annemarie Schimmels Begeisterung für die islamische Kultur schlug sich vom ersten Heft an sowohl im Inhalt des Heftes als auch im Layout nieder. Die Ausstattung der Zeitschrift war prächtig, besonders für die Verhältnisse der sechziger Jahre. Manchmal sah sie einem Kunstkatalog ähnlicher als einer Zeitschrift. Viele Leser sammelten die Zeitschrift und manche bezahlten auch dafür. Weil die Nachfrage so groß war, erschien bereits nach der sechsten Nummer ein Sonderheft unter dem Titel Al-Afkar wa-l-Funun, in dem die besten Artikel noch einmal abgedruckt wurden. Verlag und Druck der Zeitschrift waren damals in Norddeutschland in der Nähe von Hamburg angesiedelt. Die Redaktionsadresse war jedoch in der Schweiz, wo Albert Theile wohnte. Im Editorial der ersten Nummer „Unser Ziel“ formuliert Theile die Aufgaben den Zeitschrift so: „Die Zeitschrift knüpft an jene Werte der Vergangenheit an, die sich bewährt haben. Das Schwergewicht liegt indes auf der Gegenwart, bei den praktischen Fragen, die sie stellt und für die in der Zeitschrift eine Antwort gesucht wird.“ Theile erwähnt die weltpolitische Lage nicht. In der internationalen Politik lautete das Schlagwort damals „Partnerschaft“. Theile betont die geistige Dimension der anzustrebenden Partnerschaft: „Sie (d.h. die Partnerschaft) hat aber nur Sinn und Bestand, wenn sie im Geistigen beginnt, im Geistigen verankert bleibt“. Dass der Ost-West-Konflikt dennoch den Inhalt der Zeitschrift von Anfang an bestimmte, lässt sich daran ablesen, dass der erste lange Artikel im ersten Heft nicht von Kultur, sondern von der Rolle des Intellektuellen in den Entwicklungsländern angesichts neuer wirtschaftlicher Entwicklungen handelt. Während in den meisten arabischen Ländern unter dem Einfluss der Sowjetunion die Intellektuellen über die Revolution und den antikolonialen Kampf nachdachten, schreibt der in Deutschland lebende Araber Ahmad Mudaththir über die notwendige Langsamkeit des Entwicklungsprozesses: nicht revolutionär, sondern evolutionär muss die Entwicklung verlaufen.

Die weltanschauliche Offenheit und der milde Konservatismus der Zeitschrift brachte jedoch auch Probleme mit sich. Ein klares Konzept außer dem Ziel „geistige Brücken zu schlagen“ und „an die lange Tradition fruchtbaren geistigen Austausches zwischen Orient und Okzident anzuknüpfen“ fehlte. Daher konnte die Zeitschrift ein Sammelbecken für alles werden, was nach Meinung der Herausgeber Albert Theile und Annemarie Schimmel diesen geistigen Austausch förderte. Die Zeitschrift richtete sich dabei vorrangig an Muslime mit Deutsch- und Arabischkenntnissen und an Orientalisten, da sie keineswegs nur arabische, sondern auch deutschsprachige Texte enthielt, zum Beispiel deutsche Übersetzung von Annemarie Schimmel aus dem Arabischen oder auf deutsch geschriebene Besprechungen von Büchern zur islamischen Welt. Es gab sogar einige auf englisch geschriebene Artikel zu islamwissenschaftlichen Themen. Erst seit den siebziger Jahren wurde Fikrun wa Fann eine rein arabische Zeitschrift, wobei sich immer noch das ein oder andere ins Deutsche übersetzte arabische, persische oder türkische Gedicht in die Zeitschrift schleichen konnte.

Bemerkenswerterweise war Fikrun wa Fann am Anfang auch keine reine Kulturzeitschrift. Im zweiten Heft zum Beispiel behandelte ein langer, viel Fachterminologie enthaltender Artikel die Methoden der Süßwassergewinnung aus Meerwasser. Man konnte ferner Artikel lesen über die Botanik in Deutschland, über Astronomie oder über deutsche Barockschlösser. Mehrfach fanden sich reich bebilderte Beiträge zur Hippologie (Pferdekunde), offensichtlich in der Annahme, die Orientalen seien große Pferdeliebhaber. Von heute aus gesehen mutet es jedoch seltsam an, in einer Kulturzeitschrift für ein intellektuelles Publikum solche Artikel zu finden. Allenfalls im Beduinenmilieu der Golfstaaten oder in adligen und sehr reichen Kreisen dürften Artikel über Pferde auf größeres Interesse gestoßen sein.

Besonders dem Einfluss Annemarie Schimmels verdanken sich Themen wie das Dossier (in Heft 32) zum pakistanischen Literaten Mohammed Iqbal sowie zahlreiche Beiträge zur islamischen Mystik und zur Orient-Rezeption in der deutschen Klassik und Romantik. Trotz eines gewissen Faibles für konservatives Bildungsgut und dem Versuch, eher die traditionellen Eliten als eine junge, revolutionär gesinnte Generation anzusprechen, konnte man der Zeitschrift keine Engstirnigkeit vorwerfen. Moderne arabische Gedichte wurden ebenso abgedruckt wie zeitgenössische deutsche Kurzgeschichten. Wenn es den Herausgebern gefiel, konnte alles in die Zeitschrift Aufnahme finden, was entweder mit Deutschland, mit der islamischen Welt oder mit beidem zu tun hatte. Diese erstaunliche Offenheit des Konzepts war zugleich eine Schwäche. Das Profil der Zeitschrift war allzu sehr an die Persönlichkeiten Theiles und Schimmels gebunden. Ein ausgearbeitetes Konzept, dass sich aus den Anforderungen und den Möglichkeiten und Grenzen der Zeitschrift ergab, existierte nicht. Dass sich Fikrun wa Fann dennoch eine große Reputation erwarb, ist das große Verdienst der beiden ersten Herausgeber.

Heft Nr. 37 (1982) war das letzte Heft, in dem Annemarie Schimmel und Albert Theile als Herausgeber genannt werden. Mit dem achtunddreißigsten Heft jedoch fand eine große Veränderung statt. Verantwortliche Redakteurin wurde die Münchener Turkologin und Journalistin Erdmute Heller. Herausgegeben wurde das Heft nun von Inter Nationes, während früher (obwohl nie offiziell genannt) die Zeitschrift dem Bundespresseamt unterstand. Enger Mitarbeiter von Erdmute Heller war Nagi Naguib, der in Deutschland lebende ägyptischer Literaturwissenschaftler, der ab Nr. 39 auch offiziell als Redakteur neben Erdmute Heller genannt wurde. Mit Erdmute Heller bekam die Zeitschrift auch ein neues, moderneres Profil. Sie wurde weniger konservativ, viel intellektueller und verzichtete fast gänzlich auf orientalistische Themen. Plötzlich tauchten in der Zeitschrift Namen von Persönlichkeiten des kulturellen Lebens auf, die unter Schimmel und Theile wahrscheinlich nicht ins Heft gelangt wären: die Philosophen Michel Foucault, Martin Heidegger, Jürgen Habermas, die Schriftsteller Günter Grass und Hans Magnus Enzensberger, der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, die Filmemacher Volker Schlöndorf und Margarete von Trotta, der Künstler Joseph Beuys oder zeitgenössische arabische Erzähler wie Tayyib Salih und Yahyia Hakki; aber auch eine ganz neue Generation von Dichtern wie Mohammed Bennis oder Mohammed al-Ghuzzi – Persönlichkeiten also, die das zeitgenössische intellektuelle Leben in Deutschland und der islamischen Welt tatsächlich bestimmten. Plötzlich wurde das klassische orientalistische Bild von der arabischen Welt kritisiert, das vorher die Zeitschrift selbst weitgehend geprägt hatte, wenn auch im wohlwollenden Sinn. So finden wir zum Beispiel in Nr. 40 (1984) einen kritischen Artikel über das Orient-Bild von Karl May oder einen Artikel mit dem bezeichnenden Titel: „Geistig-kultureller Imperialismus oder Brücke zur Verständigung? Die orientalistischen Studien in der Bundesrepublik Deutschland. Strukturen und Funktionen.“

1988 endete diese fruchtbare Zeit mit Heft Nr. 47, sicherlich einem der besten Hefte von Fikrun wa Fann überhaupt: In einem großen philosophischen Dossier findet sich eine kritische Auseinandersetzung mit Heidegger und Nietzsche – und zwar zu einer Zeit, als Heidegger in der arabischen Welt noch als Geheimtipp galt. Wegen interner Auseinandersetzungen zwischen Herausgeber, Außenministerium und Redaktion verließ Erdmute Heller mit dieser Nummer leider die Zeitschrift.
Ein Jahr später wurde mit der Journalistin Rosemarie Höll eine erfahrene Nachfolgerin gefunden. Zwar blieben zeitgenössische Inhalte fortan an der Tagesordnung und auch orientalistische Artikel kehrten nicht wieder ins Blatt zurück; doch die Sorge darum, dass umstrittene oder kritische Beiträge die Zeitschrift in der islamischen Welt unbeliebt machen könnten, hatte zur Folge, dass die Themen, die in der Redaktionszeit Erdmute Hellers das Heft bestimmten, nur noch selten behandelt wurden. Nun dominierten Beiträge von sehr allgemeinem Interesse das Heft, zum Beispiel über das hundertjährige Jubiläum von Münzautomaten, den Erfolg der Schelmengeschichte „Max und Moritz“ oder über „Pfahlbauten. Archäologische Denkmäler in Deutschland aus der Jungsteinzeit.“ Und auch manch ein Artikel für Pferdeliebhaber fand nun wieder seinen Weg ins Heft.

In den folgenden 13 Jahren nahm sich Fikrun wa Fann wie ein Felsen in der weltpolitischen Brandung aus. Kurz nachdem das erste Heft der Ära Höll, das Doppelheft 48/49 1989 fertig gestellt war, fiel die Berliner Mauer – das einschneidendste Ereignis der jüngeren deutschen Geschichte. Es spiegelte sich in der Zeitschrift jedoch kaum wieder. Erst in Heft Nr. 52, 1991, erschien ein Artikel, der die deutsche Einheit thematisiert. 1991 fand der Golfkrieg statt, ein Ereignis, das das Verhältnis von Westen und arabischer Welt entscheidend geprägt hat. Doch auch dieses Ereignis fand in Fikrun wa Fann keinen Niederschlag. Die Entscheidung der Redaktion, politische Ereignisse auszuklammern, ist insofern nachvollziehbar, als Fikrun wa Fann natürlich keine politische Zeitschrift sein kann. Die geistige und kulturelle Dimension einschneidender politischer Ereignisse wurde von Fikrun wa Fann aus heutiger Sicht jedoch zu wenig berücksichtigt. Rosemarie Höll hatte die Redaktion bis Heft 74 (2001) inne. Ihr gebührt das Verdienst, die Zeitschrift in einer unruhigen Zeit mit ruhiger und sicher Hand geleitet zu haben. Die besondere Stärke ihrer Redaktion war die bildende Kunst, was sich immer wieder auch in der schönen äußeren Gestaltung der Zeitschrift niederschlug.

Die Ereignisse vom 11. September 2001 und die Folgen stellen eine Zeitschrift wie Fikrun wa Fann vor ganz neue Aufgaben und Herausforderungen. Die Zeitschrift, so scheint es, ist ein ideales Instrument, um die immer breiter werdende Kluft zwischen Europa, Asien und Afrika, zwischen so genannter Erster und so genannter Dritter Welt zu überwinden. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, versucht die neue Redaktion, solche Themen weltoffen und kritisch zu behandeln, die für Europa, Asien und Afrika gleichermaßen von existentieller, dringlicher Wichtigkeit sind. Ziel der Zeitschrift ist es, die Leser anzusprechen, die an einer vertieften Auseinandersetzung mit dem europäischen Westen ein vitales Interesse haben – so wie der europäische Westen selbst ein vitales Interesse an der vertieften Auseinandersetzung mit anderen Weltgegenden hat. Diese Auseinandersetzung erfordert Anstrengung, Nachdenken und Kreativität. Und sie erfordert den lebendigen intellektuellen Austausch. Für all dies will Fikrun wa Fann jetzt verstärkt ein Forum sein.

Stefan Weidner

© 2002 Stefan Weidner