Schreiben gegen die Vergeltungsmechanik

Der israelische Schriftsteller David Grossman ist am vergangenen Sonntag in der Frankfurter Paulskirche mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden. In seiner Dankesrede erklärte er, warum er die Hoffnung auf Frieden in seinem Land nicht verliert. Von Petra Lambeck

David Grossmann; Foto: AP
"Der Blick hin zum Anderen, das Erinnern daran, dass der Feind, der einen hasse und als Bedrohung sehe, auch ein Mensch sei – das macht die Größe David Grossmans aus", schreibt Petra Lambeck.

​​ Vier Jahre ist es her, dass David Grossman seinen Sohn Uri verloren hat. Er starb am 12. August 2006 im zweiten Libanonkrieg durch eine Rakete der Hisbollah. "Stellen Sie sich einen jungen Mann vor", sagte Grossman in der Frankfurter Paulskirche, dem Ort, an dem der Friedenspreis traditionell verliehen wird, "der gerade ins Leben eintritt, mit all der Hoffnung, dem Enthusiasmus, der Lebensfreude, der Unschuld, dem Humor und den jugendlichen Träumen – so war er."

Und das gelte für tausende und zehntausende andere, die ihr Leben ebenfalls in diesem Konflikt verloren hätten und immer noch verlören, darunter nicht nur Israelis, sondern auch "Palästinenser, Libanesen, Syrer, Jordanier und Ägypter."

Der Blick hin zum Anderen, das Erinnern daran, dass der Feind, der einen hasse und als Bedrohung sehe, auch ein Mensch sei – das macht die Größe David Grossmans aus.

Der Krieg darf nicht das letzte Wort haben

Die größte Gefahr sieht Grossman im "Dahinschwinden des israelischen Selbsterhaltungstriebs", dem Schwinden der Hoffnung, dass wirklicher Frieden möglich ist. Für viele Israelis – und auch für viele Palästinenser – sei dies nur noch ein Traum wenn nicht gar eine Halluzination. Doch man dürfe nicht aufhören über Frieden zu reden, sagte Grossman. Denn wer "an der Möglichkeit des Friedens verzweifelt, der ist bereits besiegt worden, der hat sich dem Schicksal eines immerwährenden Krieges ergeben".

Er selbst hat im Schreiben eine Möglichkeit gefunden, um die Willkürlichkeit und das Gefühl ihr hilflos ausgeliefert zu sein, zu bekämpfen und sich von dem Grauen des Krieges nicht paralysieren zu lassen. Hinzuschauen, die Dinge zu sehen und zu benennen – für Grossman ist dies der Weg, die Opferhaltung zu vermeiden.

David Grossmann (l.) umarmt Joachim Gauck in der Paulskirche in Frankfurt; Foto: dpa
Laudator Joachim Gauck lobte Grossmann für seine Weigerung "Teil einer Vergeltungsmechanik zu sein" und rühmte ihn dafür, "in seinem Land Verantwortung selbst in 'trüben' Zeiten" zu tragen.

​​ Er habe gelernt, dass es Situationen gebe, in denen die einzige Freiheit, die einem Menschen bleibe, die des Beschreibens ist. "Die Freiheit, mit eigenen Worten das schreckliche Schicksal zu beschreiben, das über einen gekommen ist."

Genau das lobte auch der Bürgerrechtler und Publizist Joachim Gauck, der die Laudatio auf David Grossman hielt. Grossman habe stets seine "Handlungsfreiheit behalten". Er erhalte den Friedenspreis, weil er sich "unverdrossen weigert, Teil einer Vergeltungsmechanik zu sein und in seinem Land Verantwortung selbst in 'trüben' Zeiten trägt". Oder, wie Gottfried Honnefelder, der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels es formulierte: weil er ein Werk geschaffen habe, das "sich weigert, dem Krieg in seinem Land, dem Krieg in aller Welt und dem Krieg in uns das letzte Wort zu überlassen."

Sprache und Wirklichkeit

In seinem jüngsten Roman "Eine Frau flieht vor einer Nachricht" erzählt Grossman von einer israelischen Mutter, deren Sohn in den Krieg zieht, und die aus Angst vor einer schlechten Nachricht beschließt, auf Reisen zu gehen, um unerreichbar zu sein. Ein Buch, mit dem Grossman zeigen will, wie der Nahostkonflikt und seine ganze Brutalität "in die fragile Sphäre des Familienlebens ausstrahlt", denn das "größte Drama der Menschheit" sei das Drama der Familie.

Die Jury des Friedenspreises hatte in ihrer Begründung ausdrücklich auf dieses Buch hingewiesen, weil es "die Bedeutung der Sprache für die Suche nach Identität" zeige und vor ihrer zunehmenden Militarisierung warne.

​​ In einem Gespräch während der Buchmesse verwies Grossman darauf, welchen Einfluss beispielsweise die Sprache der Medien auf die Menschen habe und wie geschockt er immer wieder sei, wenn er hebräische und arabische Zeitungen lese und sehe mit welchen Klischees dort gearbeitet werde. Seiner Meinung nach hätten Israelis und Palästinenser sehr viel mehr gemeinsam als man gemeinhin annehme.

Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, der seit 1950 vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels vergeben wird, ist eine der bedeutendsten kulturellen Auszeichnungen Deutschlands. Er ist mit 25.000 Euro dotiert und wird traditionell zum Ende der Frankfurter Buchmesse verliehen.

61 Männer und Frauen aus dem In- und Ausland sind mit dem Preis bislang geehrt worden, Menschen, die nach Einschätzung der Jury mit ihrem literarischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Werk aktiv zur Verwirklichung des Friedensgedankens beigetragen haben. Darunter ist auch der diesjährige Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa, der den Preis 1996 erhielt.

Petra Lambeck

© Deutsche Welle 2010

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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