Stimme der Freiheit und des demokratischen Aufbruchs

Im Kampf um die Freiheit in der arabischen Welt setzt die deutsche Buchbranche bewusst ein politisches Signal: Der diesjährige Friedenspreis geht an den algerischen Autor und Regimekritiker Boualem Sansal. Gabriela Schaaf stellt den streitbaren Intellektuellen vor.

Das politische Signal ist deutlich und beabsichtigt. Mit dem Algerier Boualem Sansal wolle der Börsenverein des Deutschen Buchhandels "ein Zeichen setzen für die Demokratiebewegung in Nordafrika", erklärte der Vorsteher des Börsenvereins, Gottfried Honnefelder. Sansals Werk steht in seiner Heimat auf dem Index, obwohl er auch international als einer der bedeutendsten Schriftsteller Algeriens gilt.

Er sei ein "leidenschaftlicher Erzähler, geistreich und mitfühlend", heißt es in der offiziellen Preisbegründung. Aber eben auch einer, der den Mut habe, offen Kritik an den politischen und sozialen Verhältnissen zu üben: "Mit seinem hartnäckigen Plädoyer für das freie Wort und den öffentlichen Dialog in einer demokratischen Gesellschaft tritt er gegen jede Form von doktrinärer Verblendung, Terror und politischer Willkür auf."

Ein Schriftsteller, der Tabus bricht

​​Den deutschen Lesern ist Sansal 2009 mit seinem Roman "Das Dorf des Deutschen" bekannt geworden, in dem er die Geschichte eines deutschen Nazis erzählt, der nach dem Krieg in der algerischen Befreiungsarmee untertaucht - sozusagen der erste arabische Roman über den Holocaust, der auch heute noch ein Tabuthema in Algerien ist.

Das Buch, das mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde und neben Französisch und Deutsch auch in anderen Sprachen erschien, kam in seiner Heimat auf die rote Liste.

Geboren wurde Boualem Sansal am 15. Oktober 1949 in dem algerischen Bergdorf Teniet el-Had. Er wuchs im Arbeiterviertel von Algier auf, studierte industrielle Ökonomie, wurde 1992 Berater des Handelsministeriums und 1996 dann Generaldirektor im Ministerium für Industrie und Umstrukturierung. In diese Zeit fallen auch seine Anfänge als Schriftsteller.

Schon sein erster Roman "Der Schwur der Barbaren" (deutsch 2003) bringt ihn in Konflikt mit dem Staat. Er wird zunächst von seiner Arbeit beurlaubt, und nach zwei weiteren Veröffentlichungen, in denen er Kritik an den politischen Verhältnissen äußert, wird er aus dem Staatsdienst entlassen.

Zensiert, aber nicht zum Schweigen gebracht

Als er 2006 einen Brief an seine Landsleute veröffentlicht ("Postlagernd. Algier. Zorniger und hoffnungsvoller Brief an meine Landsleute"), in dem er eine "wahrhaftige Demokratie" fordert, in der die "Vision einer aufgeklärten Weltbevölkerung Gestalt annehmen könnte", fühlt sich der Staat endgültig provoziert: Alle Bücher Sansals kommen auf den Index.

Demonstration gegen Mubarak in Kairo; Foto: dapd
Trotz des Arabischen Frühlings glaubt Sansal, dass die "wahre Revolution" in der Region noch gar nicht begonnen habe: "Eine Revolution der Ideen, eine Revolution, die die arabischen Völker tatsächlich befreien wird, die sich anschickt, dem Individuum einen Platz in der Gemeinschaft einzuräumen, der Vernunft neben dem Glauben zu ihrem Recht zu verhelfen."

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Zu den aktuellen Aufständen in Nordafrika hat sich Sansal auch in deutschen Medien zu Wort gemeldet und versucht, die politische Situation einem deutschen Publikum zu erläutern.

Seine größte Sorge galt dabei der Zukunft der Protestbewegung. Werde es den verschiedenen sozialen Strömungen wie Islamisten, Christen, Demokraten, Arbeitslosen etc. gelingen, so fragte er in der überregionalen Tageszeitung "Die Welt", "einen Dialog zu führen und ein gemeinsames Projekt zustande zu bringen? Oder werden sie einen Krieg beginnen, ein jeder, um sein eigenes Projekt durchzusetzen?"

Ein Schriftsteller, der sich einmischt

Die Tatsache, dass Sansal trotz des Verbots seiner Bücher und aller Widrigkeiten in Algerien geblieben ist und sich weiterhin einmischt, hat ihm ein hohes Ansehen bei seinen Landsleuten verschafft - ein Ansehen, das mit dem international renommierten Friedenspreis des Deutschen Buchhandels weit über seine Heimat hinaus wachsen wird.

Mit der explizit politisch verstandenen Auszeichnung werden seit 1950 Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Kultur geehrt, die zur Verwirklichung des Friedensgedankens beitragen.

Im vergangenen Jahr ging der Preis an den israelischen Schriftsteller David Grossman. Unter den bisherigen Preisträgern war auch der gerade verstorbene spanische Schriftsteller Jorge Semprún. Die Preisverleihung findet traditionell im Oktober als feierlicher Abschluss der Frankfurter Buchmesse statt.

Gabriela Schaaf

 © Deutsche Welle 2011

Redaktion: Arian Fariborz/ Qantara.de