Der Sudan zwischen Krieg und Politik

Ist angesichts des Drucks des Internationalen Strafgerichtshofs ein Ende des Mordens in Darfur absehbar und ein politischer Weg jenseits der Revolution eine realistische Perspektive? Hierüber hat sich der Nahostexperte Fred Halliday in Khartum informiert.

Der Nahostexperte Fred Halliday hat sich in Khartum über die Zukunft der islamischen Regierung nach dem Friedensabkommen informiert. Ist angesichts des Drucks des Internationalen Strafgerichtshofs ein Ende des Mordens in Darfur absehbar? Ist ein politischer Weg jenseits der Revolution eine realistische Perspektive?

Flüchtlinge aus der Darfur-Region, Foto: AP
Opfer des sudanesischen Nord-Süd-Konflikts - Flüchtlinge aus der Darfur-Region

​​Wie es im Sudan, dem größten Land Afrikas, zur Zeit wirklich aussieht, lässt sich weder aus der begehrlichen Perspektive islamistischer Diktatoren im Land selbst, noch aus der scheinbar objektiven Sicht auswärtiger Beobachter leicht erkennen.

Im Sudan gibt es über 100 lebendige Sprachen und ähnlich viele verschiedene religiöse Gruppierungen wie etwa in Indien oder Nigeria. Die diversen miteinander verflochtenen regionalen Konflikte zeugen von historischen und politischen Hintergründen, die derart komplex sind, dass sich selbst ausgewiesene Experten in der Hauptstadt Khartoum schwer damit tun, sie zu verstehen.

Diese Komplexität springt dem Besucher Khartums auf Anhieb ins Auge. Die Wasser des Blauen und des Weißen Nils sind in der sudanesischen Hauptstadt überall präsent, und lange Baumreihen säumen die breiten Alleen, deren imposante weiße Gebäude noch an die Kolonialzeit erinnern.

Tanz zwischen Geistern

Seit 1989 die Nationale Islamische Front (NIF), ein Zusammenschluss radikaler Militaristen und islamistischer Ideologen, die Macht ergriffen hat, ist der Sudan ein Einparteienstaat. Aber Spaltungen innerhalb der Führungselite haben dazu geführt, dass man es bei der NIF faktisch mit zwei Parteien zu tun hat, und der Chefideologe des Regimes von 1989, Hassan al-Turabi, sitzt weiterhin im Gefängnis.

Unbestreitbar gibt es aber jenseits der NIF eine, wenn auch von offizieller Seite nicht zur Kenntnis genommene, öffentliche Debatte. Die Umma-Partei von Sadiq al-Mahdi, der in Oxford studiert hat, früher Premierminister seines Landes war und ein Enkel des berühmten anti-imperialistischen Führers Mahdi aus dem 19. Jahrhundert ist, operiert in aller Öffentlichkeit.

Die Kommunistische Partei, einst eine bedeutende politische Kraft, die der NIF in vielerlei Hinsicht als Vorbild gedient hat, wird zumindest teilweise geduldet. Sie ist im Grunde legal, operiert aber eher im Untergrund.

Wie im Irak, so haben auch im Sudan die wichtigsten politischen Kräfte jahrelange interne und regionale Konflikte überstanden. Dies zeigte sich auch bei dem im Januar 2005 verabschiedeten Friedensabkommen, welches dem inzwischen 22 Jahre währenden Krieg im südlichen Teil des Landes ein Ende bereiten sollte.

Die Führer der verschiedenen Splittergruppen, die von diesem gewalttätigen Konflikt, der enorme Kapazitäten verschlungen hat, profitiert haben, tragen gemeinsam die Verantwortung für die Korruption und den schrittweisen Niedergang der sudanesischen Gesellschaft, ihrer Infrastruktur und Landwirtschaft.

Der Anreiz, Gewinne aus den Ölvorkommen herauszuholen und sich internationaler Anerkennung zu versichern, war schließlich groß genug, um die zerstrittenen Geister an einen Tisch zu bringen. Aber die jüngere Generation, die im Schatten des Krieges aufgewachsen ist, wird langsam ungeduldig.

Schickt die politischen Führer nach Guantánamo!

Bei einem Seminar über internationale Hilfsdienstleistungen antwortete vor kurzem ein junger Sudanese auf die Frage, was die internationale Gemeinschaft für den Sudan tun könne: "Kassiert die politischen Führer der verschiedenen politischen Splittergruppen ein, setzt sie ins Flugzeug, schickt sie nach Guantánamo und sorgt dafür, dass sie dort nicht wieder herauskommen!"

Auch wenn eine solche Bemerkung in den sudanesischen Medien nicht auftauchte – immerhin fühlte ihr Urheber sich frei genug, sie zu äußern.

Tatsächlich hält sich das Regime - im Vergleich zu manchen autoritären Staaten im Norden - erstaunlich bedeckt. Zwar berichten sudanesische Oppositionsführer, Liberale und Kommunisten, von schrecklichen Folterungen, die sie nach dem Staatsreich von 1989 in Geheimgefängnissen erlitten haben.

Zwar werden weiterhin Dissidenten verhaftet, und oft wird auf das große eingezäunte Gelände der Sicherheitskräfte beim Flughafen von Karthum hingewiesen. Aber man wird beispielsweise nach Bildnissen des Präsidenten Omar al-Bashir oder anderer Führer vergeblich suchen.

Stattdessen machen einige Aushänge auf den Frieden, die positive Entwicklung und die Hoffnung auf Demokratie aufmerksam, für die das Friedensabkommen mit dem Südsudan steht.

Die Plakate zitieren einen Koranvers, der in Pluralismusdiskussionen, wie sie heute im Nahen Osten geführt werden, immer gern angeführt wird: "Wir haben […] euch zu Völkern und Stämmen gemacht, dass ihr einander kennen möget." [Surah al-Hujuraat (49):13]

Einem bisweilen grausamen islamistischen Regime zum Trotz, sind auch die sozialen Sitten, die in Khartum herrschen, erstaunlich lax. Viele Frauen, insbesondere aus dem nicht-islamischen Süden des Landes, tragen keine Kopfbedeckung.

Und wenn Freitagabend über dem Omdurman-Friedhof die Sonne untergeht, singen hunderte von Sufi-Tänzern zum lauten Rhythmus zahlreicher Trommeln und wirbeln um die Grabstädte eines muslimischen Heiligen herum – in der Tradition eines volkstümlich-islamischen Mystizismus, wie er der NIF ein Dorn im Auge ist.

Die Organisatoren der Zeremonie reichen Kohlenbecken mit Weihrauch herum, deren intensiven Duft die Teilnehmer einatmen, und in den Straßen reichen Frauen Tee dar – aber nicht nur Tee.

Es geht das Gerücht, dass einmal der Statthalter von Khartum, ein islamischer Eiferer, nachdem er den dargebotenen Trank gekostet hatte, indigniert erklärt habe:

"Dieses Getränk ist wider den Islam. Es ist verboten! Weißt du, wer ich bin? Ich bin der Statthalter von Khartoum." Woraufhin die Frau, die ihm den Alkohol angeboten hatte, erwidert haben soll: "Gewiss, und wenn ich dir noch einmal nachschenke, bist du sicher Präsident Omar al-Bashir persönlich!"

Sudans Nord-Süd-Konflikt

Der Sudan hat neun Nachbarstaaten, mehr als irgendein anderes afrikanisches Land, abgesehen von der Demokratischen Republik Kongo. Drei wichtige interne Konflikte unterschiedlichen Ausmaßes und unterschiedlicher Dauer hat der Sudan in den letzten zwei Jahrzehnten erlebt.

Seit 1983 sind durch den Krieg im Süden des Landes eine Million Menschen umgekommen, weitere vier Millionen gelten als vermisst. In der westsudanesischen Darfur-Region sind seit März 2003 bei brutalen Angriffen von Janjaweed-Milizen 300.000 Zivilisten ums Leben gekommen – ein menschliches Desaster, über das der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dem Internationalen Gerichtshof in seiner Resolution Nr. 1593 vom 31. März berichtete.

Und in den im Osten des Landes gelegenen Bundesstaaten Kassala und Al-Bahr al-Ahmar ("Rotes Meer") bekämpfen Rebellen der sogenannten Ostfront die Regierung in Khartum.

In Khartum selbst ist es der anhaltende Nord-Süd-Konflikt, der am meisten Aufmerksamkeit verlangt. Das Friedensabkommen vom Januar schlägt vor, dass im Süden des Landes nach einer Übergangszeit von sechs Jahren per Referendum über die Frage der Unabhängigkeit entschieden werden soll.

Sudanesische wie ausländische Beobachter meinen, dass der Süden des Landes sich dann tatsächlich für die Unabhängigkeit entscheiden wird, so überdrüssig ist die dortige Bevölkerung des arabischen und islamischen Drucks aus dem Norden.

Dann müsste die Region auch einen eigenen Namen finden – schon steht "Neuer Sudan" als erster Vorschlag im Raum. Ironischerweise gibt es im Norden einige Anhänger der Idee eines in Khartum zu errichtenden islamistischen Staates, die in diesem Zusammenhang gar nichts dagegen hätten, den Süden loszuwerden.

Der besondere Radikalismus, für den Khartum bekannt ist und der sich einerseits auf die regionalen und ideologischen Bündnisse auswirkt, die die dortigen Machthaber eingehen, andererseits von diesen Bündnissen zuallererst konstituiert wird, hat in der Vergangenheit wie Öl auf das Feuer der internen Konflikte des Landes gewirkt.

In seinen frühen Jahren fühlte sich das Regime der NIF einer islamistischen Version revolutionären Internationalismus verpflichtet, wobei es beträchtlich von Osama bin Laden unterstützt wurde, der von 1991-96 in Khartoum lebte.

Seinerzeit war das Regime noch bestrebt, seine Revolution auf andere afrikanische Staaten mit einer muslimischen Bevölkerungsmehrheit auszudehnen, vor allem auf Ägypten, Eritrea, Tunesien und Algerien.

Die Konflikte im Westen, Süden und Norden des Sudan haben das Land teils in die Konkurrenz zu anderen Staaten getrieben, teils zu Solidaritätsbeziehungen geführt.

Waffenlieferungen für eritreische Guerrillas

So flossen etwa Jahre lang Waffenlieferungen für eritreische Guerrillas durch den Sudan, wodurch das Land den Kampf gegen die äthiopische Regierung unterstützte. Seit Eritreas Unabhängigkeit ist das Verhältnis der beiden Länder getrübt.

Die Rebellen in Darfur erhalten Hilfe aus dem Tschad und von der Zentralafrikanischen Republik. Die Europäische Union finanziert ein Team von 2.000 Militärbeobachtern der Afrikanischen Union in Darfur.

Das Friedensabkommen hat es ermöglicht, dass nun Millionen Dollar an Hilfsgeldern fließen. Und der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat am 25. März entschieden, bis zu 10.000 Mann starke UN-Truppen in die Region zu schicken, die das Abkommen überwachen sollen.

Die Rolle der Vereinigten Staaten im Sudan hat paradoxe Züge. Als Vergeltung für die Bombardierung der US-Botschaften in Kenia und Tansania 1998 hatte Bill Clinton, der diese Anschläge fälscherweise bin Laden zuschrieb, die Zerstörung der Chemiefabrik Al-Shifaa in Omdurman angeordnet, der Schwesterstadt Khartums auf der anderen Seite des Nils.

Verschiedene christliche NGO und die evangelische Rechte in den USA haben schon vor langer Zeit begonnen, Guerillakämpfer im südlichen Sudan zu unterstützen, wo der christliche Teil der Bevölkerung mit Andersgläubigen verschiedener indigener afrikanischer Religionen zusammenlebt.

Dennoch ist die Regierung von George W. Bush – ganz im Gegensatz zu der konfrontativen Haltung, die sie im Irak und in Palästina einnimmt – mit den Machthabern in Khartum ins Gespräch getreten und hat eine wichtige Rolle bei den Resolutionen des Sicherheitsrats gespielt, die schließlich zu dem Friedensabkommen vom Januar führten.

Im Sudan hat die Bevölkerung vom Krieg und der islamistischen Revolutionsrhetorik endgültig genug. Die Sympathiewerte der USA liegen hier vermutlich höher als in allen anderen Ländern mit arabischer Bevölkerungsmehrheit.

Dafur und die Zukunft des Sudan

Solchen Anzeichen für Kompromissbereitschaft und solchen pro-westlichen Haltungen steht ein zunehmender internationaler Druck auf die sudanesische Regierung gegenüber, von der erwartet wird, dass sie diejenigen konsequent zur Verantwortung zieht, die in Dafur einen grausamen Völkermord begehen.

Eine Liste mit den Namen solcher Verdächtiger, die UN-Generalsekretär Kofi Annan dem Internationalen Strafgerichtshof übergeben hat, hat bei manchen Sudanesen die Befürchtung vor einem Staatsstreich geweckt, durch den die jetzige, relativ tolerante NIF-Regierung von fortschrittsfeindlicheren und unnachgiebigeren Elementen abgelöst werden könnte.

Verschiedene westliche Diplomaten sehen in solchem Druck und solchen Ermutigungen zum Frieden jedoch eine legitime Möglichkeit, einem Regime langsam den Teppich unter den Füßen wegzuziehen.

Den noch immer alarmierenden Zuständen in Darfur zum Trotz wird die Zukunft des Sudan als Nationalstaat in hohem Maße von der Entwicklung der Beziehungen des Nordens zum Süden des Landes abhängen.

Wird der Norden bereit sein, etwas von seiner Macht abzugeben? Wird der Reichtum, den das Öl einbringt, angemessen verteilt werden? Werden internationale Hilfsgüter gerecht verteilt? Aber auch: Werden die Nachbarstaaten den Sudan nicht in Bedrängnis bringen?

Wie das Darfur-Problem gelöst wird, hängt davon ab, wie das Regime der "Nationalen Islamischen Front" in Khartoum sich entwickeln wird. So divers, inkongruent und komplex sich die Lage im Sudan auch ausnehmen mag – Klarheit wird hier vor allem die Politik schaffen, die in der Großstadt am Ufer der beiden Quellströme des Nils gemacht wird.

Fred Halliday

© Fred Halliday 2005

Fred Halliday ist Professor für internationale Beziehungen an der London School of Economics und Redaktionsmitglied des Middle East Research and Information Project (MERIP). Zuletzt erschien von ihm auf Englisch das Buch "The Middle East in International Relations" (Cambridge University Press 2005). Fred Halliday schreibt auch Kolumnen für OpenDemocracy.net.

Übersetzung aus dem Englischen: Ilja Braun

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