"Immer an Gott glauben"

Franck Ribéry ist in der Form seines Lebens - bei der EM könnte er zum Spieler des Turniers aufsteigen. Doch der Karriereweg des ehemaligen Bauarbeiters und gläubigen Muslims war steinhart. Ein Porträt von André Tucic

Von André Tucic

​​Franck Ribéry, der Instinktfußballer, begeistert die Bundesliga jede Woche aufs Neue. Der kleingewachsene Tempodribbler wird aber nicht nur in Deutschland mit Superlativen überschüttet. Thierry Henry bezeichnete ihn unlängst als "Albtraum jeder Abwehr" und Zinedine Zidane als "Juwel des französischen Fußballs".

Ein Ritterschlag für den Mann aus Boulogne-sur-Mer, im Norden Frankreichs – dem strukturschwachen Ärmelkanal mit erdrückend hoher Arbeitslosenquote. Nur der Fußball konnte Ribéry davor schützen, ein Sozialfall zu werden, so scheint es.

Es verging jedoch einige Zeit, ehe er acht Millionen Jahressalär einstreichen und der Welt verdeutlichen darf, wie unkonventionell Fußball gespielt werden kann. Genau das weiß er zu schätzen, denn hinter ihm liegen harte Zeiten: "Wir Profis haben alles: Wir verdienen viel und trainieren maximal zwei Mal am Tag" – ein Zuckerschlecken, verglichen mit dem, was Ribéry am eigenen Leib erfahren hat.

Ein steiniger Weg zum Gipfel

Fünf Jahre ist es her, als sich Ribéry mit seinem Vater als Hilfsarbeiter auf Baustellen abmühte. Zuvor war vieles schief gelaufen: Als dreizehnjähriger verpflichtete ihn OSC Lille für das Jugendinternat, um das Talent als Fußballer und Sportlehrer auszubilden. Seine schulischen Leistungen blieben ungenügend, er wurde geschasst und spielte für 150 Euro monatlich bei einem Viertligisten. Eine Schmach für den hochbegabten 17-Jährigen. Seine Forderung nach einer Lohnerhöhung wurde ignoriert und er quittierte seinen Dienst.

Ribérys Tage als Fußballer schienen gezählt. Statt zum Trainingsgelände, marschierte er im Morgengrauen zur Baustelle. Einstweilen zumindest. Denn mit 20 Jahren wurde er arbeitslos. Nichts ging mehr. Kein Geld für die Miete und erst recht keines für die geplante Hochzeit mit seiner heutigen Frau, der Algerierin Wahiba. Doch dann kam der Wendepunkt, den Hollywood nicht besser hätte inszenieren können: Ribéry erhielt ein Angebot vom Drittligisten Stade Brest, unterschrieb einen Vertrag, um nach kurzer Zeit das Interesse vom Erstligisten FC Metz zu wecken. Dort erkannte Trainer Jean Fernandez sein Potenzial.

Aber auch hier gab es Ärger: Erst forderte Ribéry eine Gehaltserhöhung, anschließend sorgte er für eine Disko-Schlägerei. Untragbar für Metz. Galatasaray Istanbul sah das anders und lotste den ungeschliffenen Diamanten an den Bosporus. Aber auch aus dieser Verbindung sollte keine lange Liaison werden: Nach nur 14 Spielen und weniger als einem Jahr verklagte Ribéry den Klub, weil dieser ihm einige Monatsgehälter schuldete. Grund genug, um 2005 bei Olympique Marseille anzuheuern, wo mittlerweile Jean Fernandez das Sagen hatte – sein Förderer aus Metz.

Stoßgebete gen Himmel

In Marseille reifte Ribéry zur Persönlichkeit heran, hier gelang ihm kurz vor der WM 2006 der Durchbruch als Nationalspieler. Mittlerweile ist der 25-Jährige verheiratet, wohnt in einer Münchener Villa und hat fast 30 Länderspiele auf dem Buckel. Und bei der "Èquipe" gilt er als Kopf des Mittelfeldes sowie als legitimer Nachfolger von Großmeister Zidane. Ob er der "Grande Nation" das Tor zum EM-Viertelfinale aufstoßen kann, ist aber fraglich. Immerhin haben "Les Bleus" die Todesgruppe C erwischt: Rumänien, Niederlande und Weltmeister Italien. Mut macht zumindest, dass Ribéry bei der EM-Generalprobe in Paris per Elfmeter den 1:0 Sieg gegen Kolumbien erzielte. Das ist einer dieser Momente, in denen er mit den Händen über sein Gesicht streicht und Stoßgebete gen Himmel schickt: "Immer an Gott glauben", lautet das Lebensmotto des 2002 zum Islam konvertierten Moslem und Vater von zwei Töchtern.

Narben, Hänseleien, mentale Stärke und Witz

Ob es der Autounfall war, der Ribéry zum Glauben bekehrte und Franck zu Bilal machte, bleibt offen. Fakt ist, dass ihm dieses Ereignis noch heute ins Gesicht geschrieben steht: Als Zweijähriger begleitet er seinen Vater bei der Arbeit als Chauffeur. Nicht angeschnallt sitzt er auf dem Rücksitz, als es zu einem Unfall kommt und er durch die Windschutzscheibe geschleudert wird. Sein Gesicht war von Glassplittern zerfressen. Auch eine umgehende Hauttransplantation konnte nicht verhindern, dass die Narben nie richtig verwachsen sind.

Doch ein Arbeiterjunge ist kein Typ für eine Schönheitsoperation: "Es war nicht leicht. Ich wurde oft gehänselt. Aber das hat mich nur stärker gemacht", erinnert sich Ribéry. Ohnehin schaut er nicht verbittert zurück, sondern gilt als Frohnatur und treibt ständig Schabernack: In den Trainingspausen zerschnibbelt er die Socken seiner Münchener-Kollegen oder schmiert Zahnpasta unter die Türklinke der Zimmer eines Luxus-Golfhotels. Wenn es sein muss, werden die Kollegen – wie jüngst Oliver Kahn – auch mal mit einem 10-Liter-Eimer Wasser überschüttet.

"Ein Scherz, ein Scherz!"

Als er neulich von der renommierten Süddeutschen Zeitung interviewt wurde, eröffnete er das Gespräch mit keck mit dem Satz: "Ich habe gehört, eure Kollegen haben behauptet, dass ich kein 'guter Kerl' wäre", untermalt von einer beleidigten Miene. Als die Journalisten sich erschrocken und betreten anschauen, erklärt er lachend: "Ein Scherz, ein Scherz; das war doch nur ein Scherz!" Das scheint zwar nur eine ulkige Anekdote aus dem Alltag zu sein, zeigt aber, wie wohltuend sich Ribéry gegenüber den fahlen und bis zur Selbstverleugnung angepassten deutschen Profis absetzt.

So ist der Mann aus Boulogne-sur-Mer nicht nur fußballerisch eine unvergleichliche Attraktion, sonder auch menschlich eine Bereicherung. Einen wie ihn mögen sie beim FC Bayern. Und auch Ribéry fühlt sich nach eigenem Bekunden wohl: "Ich kann hier sein, wie ich bin, meine Späße machen und Fußball spielen." Und wie er das kann, die bevorstehende EM wird es zeigen.

André Tucic

© Qantara.de 2008