Eine israelisch-ägyptische Utopie

Im israelischen Film "The Band's Visit" spielt ein ägyptisches Polizeiorchester die Hauptrolle. Trotzdem wurde er in Ägypten und Abu Dhabi nicht gezeigt. Kristina Bergmann hat die Komödie über die kleinen Gemeinsamkeiten von unterschiedlichen Menschen gesehen.

​​Ich hatte eine Menge von dem israelischen Film "The Band's Visit" gehört, bevor ich ihn sah. In Kairo, wo ich lebe, läuft er nicht, obwohl darin ein ägyptisches Polizeiorchester die Hauptrolle spielt.

Im letzten Herbst hieß es, die israelischen Filmemacher bewürben sich beim "Cairo International Filmfestival" und dass Abu Dhabi "The Band's Visit" am dortigen "Middle Eastern International Film Festival" (MEIFF) groß herausbringen würde.

Dann zog der MEIFF seine Ankündigung betreten zurück. Sprecher der ägyptischen Schaupielerunion erklärten gleichzeitig, "The Band's Visit" würde nicht nach Kairo kommen. Die Künstler vom Nil seien nämlich gegen jeglichen kulturellen Austausch mit dem "zionistischen Staat". Außerdem drohten die ägyptischen Schauspieler mit dem Boykott des MEIFF, sollte dort "The Band's Visit" laufen.

In mir stieg hilflose Wut auf. Ich erinnerte mich an den hervorragenden tunesischen Film "L'Homme De Cendres", der vor zwanzig Jahren ebenfalls von der ägyptischen Schauspielerunion verboten worden war. Weil darin ein tunesischer Jude vorkommt, verschrie sie ihn als zionistische Propaganda...

Anziehung zwischen zwei Ägyptern und einer Israeli

Erst im vergangenen Dezember konnte ich "The Band's Visit" im kalten Zürich sehen. Beim Brunnen am Stadelhofen mit seinen herrlichen Eiszapfen prangte groß das Filmplakat.

Im Kino wurde es mir bald zu warm. Nicht nur, weil der Film in einem Kaff im heißen Israel spielt, sondern auch, weil die sexuelle Anziehung zwischen der israelischen Wirtin Dina und den ägyptischen Musikern, die sich in den abgelegenen Ort verirrt haben, mit Händen zu greifen ist. Ob SIE der Grund für die Ablehnung des Films bei den Arabern war, fragte ich mich schwitzend?

​​Hitzewallungen hin oder her - mir gefiel der Film. Ich lachte über die gestelzte Art des älteren ägyptischen Dirigenten Tawfik, der auch in den vertracktesten Situationen korrekt sein will. Dina hat die ägyptischen Musiker, die zwar nach Israel eingeladen waren, aber im falschen Ort gelandet sind, für die Nacht bei verschiedenen israelischen Familien untergebracht. Bei ihr sollen Tawfik und der junge Violinist Khaled schlafen.

Dina und Tawfik verlieben sich auf den ersten Blick, doch der Ägypter trotzt den Verführungskünsten der Israeli. Mitten in der Nacht wecken ihn seltsame Geräusche. Es sind die der Küsse von Dina und Khaled! Khaled mag Frauen; außerdem ergreift er Gelegenheiten beim Schopf. Das lässt sich auch symbolisch verstehen: Das alte Ägypten lehnt Israel ab, das junge könnte es durchaus lieben.

Gebrochenes Englisch unter Semiten

Doch zurück zum Film. Am Morgen reist das Orchester ab und gibt endlich sein geplantes Konzert. Tawfik singt inbrünstig ein ägyptisches Liebeslied. Für Dina? Jedenfalls schaut er Khaled triumphierend an, als wolle er sagen: DAS und nicht Sex ist wahre Liebe.

Als ich aus dem Kino kam, war es noch kälter geworden, und die Eiszapfen am Brunnen klirrten. Ich dachte an die goldgelbe Wüste des Sinai und seinen grün gewellten Küstenstreifen. Sie würden nahtlos in Israels Sände und Strände übergehen, wären da nicht Mauern, Zäune und Grenzposten. Das bedauert wohl auch der Regisseur des Films, Eran Kolirin.

Auf den Tadel, dass in dem Film praktisch nur gebrochen Englisch gesprochen werde, entgegnete er, genau das zeige die absurde Feindschaft zwischen Israel und Ägypten, wo semitische, also ähnliche Sprachen zu Hause seien. Tatsächlich lernt in Ägypten fast niemand Hebräisch, und die Juden Israels sprechen selten Arabisch.

Pure Fantasie

Im Dreizehner-Tram, das mich schaukelnd in mein temporäres Heim bringen sollte, grübelte ich über eine weitere Kritik an "The Band's Visit". Ihr Autor bemängelte, dass es eine Einladung eines ägyptischen Polizeiorchesters nach Israel in Wahrheit nie geben würde! Ich schüttelte unwillkürlich den Kopf - als ob Kolirin das nicht wüsste! In Toronto hatte er doch am Film Festival gesagt, dass "The Band's Visit" keine Chance hätte, würde man ihn an der Realität messen.

Am Waffenplatz stieg ich aus. Unter meinen Füssen knirschte gefrorener Reif, vor meinem Mund stand weisser Atem. Ich mag Kälte und ging das letzte Stück Weg zu Fuß. Kolirins Film ist pure Fantasie, überlegte ich. Aber weil er in Israel spielt und von der zufälligen Begegnung von ägyptischen und israelischen MENSCHEN handelt, ist er mehr als nur eine Geschichte, nämlich eine Utopie.

"The Band's Visit" wurde in Kairo und in Abu Dhabi verboten, doch seine Produzenten sind optimistisch und sagen, irgendwie würden die Araber es schon schaffen, den Film zu kopieren und anzuschauen. Als ich die knarrende Treppe zur Wohnung meiner Freundin hochstieg, ergänzte ich murmelnd: "Und irgendwann werden die Araber und die Israeli sich treffen - in Wirklichkeit."

Kristina Bergmann

© Neue Zürcher Zeitung 2008

Qantara.de

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