Kultur-Austausch mit vielen Unbekannten

In ihrer Dokumentation "Import-Export" wirft die Filmemacherin Eren Önsöz einen Blick auf über 500 Jahre deutsch-türkischer Beziehungen. Sie lädt die Zuschauer auf eine ebenso lehrreiche wie unterhaltsame Entdeckungsreise ein. Von Ariana Mirza

In ihrer Dokumentation "Import-Export" wirft die Filmemacherin Eren Önsöz einen Blick auf über 500 Jahre deutsch-türkischer Beziehungen. Sie lädt die Zuschauer auf eine ebenso lehrreiche wie unterhaltsame Entdeckungsreise ein. Ariana Mirza berichtet.

​​Dönerspieß und Gastarbeiter - auf diese Begriffe reduzieren viele Deutsche ihre Kontakte zur türkischen Kultur. Doch damit liegen sie falsch. Schon seit Jahrhunderten stehen die Türkei und Deutschland in engem kulturellem Austausch. Die Regisseurin Eren Önsöz begab sich auf eine Spurensuche abseits der Klischees – und förderte Überraschendes zutage.

Wenn im saarländischen Limburg zur Karnevalszeit "Türken Hopp" gerufen wird, dann erinnert dies daran, dass es die Bewohner der Region über Jahrhunderte als "Gastarbeiter" ins Osmanische Reich zog. Verkehrte Welt? Nein, einfach eine Tatsache, die in Deutschland kaum bekannt ist.

In ihrer Dokumentation "Import-Export" konfrontiert Eren Önsöz mit historischen Wahrheiten, die das türkisch-deutsche Verhältnis in neuem Licht erscheinen lassen. Das enge Bündnis zwischen Osmanischem Reich und deutscher Monarchie gehört ebenso dazu wie das Kapitel "Asyl in der Türkei".

Das Türkei-Bild der deutschstämmigen Türken

In Ankara und Istanbul stößt Önsöz auf Spuren deutscher Intellektueller, die vor den Nationalsozialisten in die Türkei flüchteten. Zu den prominentesten Emigranten zählte der spätere Berliner Oberbürgermeister Ernst Reuter.

Die Kamera begleitet Reuters Sohn Edzard durch die Straßen Ankaras, wo er über seine Kindheit in einem laizistischen und modernen Staat berichtet. Immer wieder lässt Eren Önsöz Zeitzeugen wie Edzard Reuter zu Wort kommen. Und stets konterkarieren die Erfahrungen dieser Menschen das Bild einer rückschrittlichen Türkei.

"Es ist wichtig, dass in meinem Film so viele Deutsche positiv über die Türkei berichten", meint Eren Önsöz, "denn Deutsche vernehmen eine Wahrheit viel eher von anderen Deutschen."

Der Fußballtrainer Christoph Daum, der mehrere Jahre in Istanbul lebte, scheint der eigenen Überzeugungskraft allerdings nicht ganz zu vertrauen. Fast resigniert spricht Daum über seine Schwierigkeiten, die doppelte Staatsbürgerschaft zu erhalten – und über die fest sitzenden Vorurteile seiner Landsleute. "Als würden wir hier in der Türkei noch alle auf dem Teppich herumfliegen."

Exotistische Türkenmode in Deutschland

Önsöz' Blick in die Geschichte beweist jedoch, dass sich Sichtweisen und Einschätzungen durchaus ändern können. Tatsächlich herrschte in Deutschland von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Weimarer Republik eine allgemeine Schwärmerei für alles Osmanische.

​​Diese Faszination schlug sich in der "orientalischen" Gestaltung von Zigarettenschachteln und Gebrauchsartikeln ebenso nieder wie in der damaligen Architektur. En vogue waren Wasserwerke und Fabriken, die aussahen wie Moscheen.

Die deutsche Geschichte wartet zudem mit einer ganzen Galerie gekrönter Häupter auf, die eines gemeinsam hatten: ihre Leidenschaft für das Osmanische Reich.

Bayerische Fantasiekulissen mit Wasserpfeife und Kissen

Die Episode über den turkophilen Bayernkönig Ludwig gehört zu den amüsantesten Passagen des durchweg kurzweiligen Films: Der Märchenkönig ließ seine Bediensteten unentwegt Wasserpfeife rauchen und auf Kissen fletzen, um sich ungestört der Illusion hingeben zu können, dass er ein osmanischer Herrscher sei.

Knapp 30 Jahre nach Ludwigs Ableben bekam der deutsch-türkische Kulturaustausch durch einen anderen Monarchen weiteren Antrieb. In der Kaiserzeit, so erfahren wir durch Önsöz' Detektivarbeit, begann sogar ein gemeinsames Ausbildungsprogramm.

Die Filmemacherin hat den Lebensweg jener Türken recherchiert, die 1917 als Lehrlinge nach Berlin kamen. Der junge Ahmed Talib blieb in Deutschland, er ließ sich im brandenburgischen Dörfchen Fürstenwalde nieder. Im Film berichtet Talibs Sohn, wie es seinem Vater in der Kaiserzeit, im Nationalsozialismus und in der DDR erging.

Jugendkultur gegen Negativ-Image

In "Import-Export" werden aber nicht nur interessante Biografien und geschichtliche Erkenntnisse vorgestellt. Immer wieder schlägt Eren Önsöz den Bogen in die Gegenwart. So spricht sie gleich zu Beginn ihres Films mit jungen Türken, die als Impulsgeber das kulturelle Leben im jetzigen Berlin mitgestalten – und unbeirrt gegen ein manifestes Negativ-Image kämpfen.

Später fängt sie auch die spöttischen Statements junger Türken aus Istanbul und Ankara ein, die der deutschen Türkenphobie halb ungläubig, halb amüsiert gegenüber stehen.

Eren Önsöz; Foto: Import-Export
Begab sich auf eine Spurensuche abseits der Klischees: die Regisseurin Eren Önsöz

​​Mit ihrem Roadmovie, das Unbekanntes enthüllt und Verdrängtes in Erinnerung ruft, erfüllte sich die 34-jährige Regisseurin einen lang gehegten Traum.

Die einzelnen Geschichten, die sie in ihrem Film auf sympathisch unkonventionelle Weise miteinander verknüpft, hat sie über Jahre hinweg recherchiert. "Ich wollte beweisen, dass der kulturelle Import-Export seit Jahrhunderten existiert und eine Bereicherung für beide Länder darstellt."

Bislang wurde die mit einem Mini-Budget realisierte Dokumentation nur auf Filmfestivals gezeigt. Doch die Regisseurin hofft, dass "Import-Export" sowohl bei deutschen als auch bei türkischen Fernsehsendern auf Interesse stößt. Zu wünschen wäre dies, denn Önsöz' filmische Entdeckungsreise liefert einen sehenswerten Beitrag zur Diskussion um den EU-Beitritt der Türkei.

Ariana Mirza

© Qantara.de 2007

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