Religionen als Quelle der Weisheit

Lessings "Nathan der Weise" ist die wohl bedeutendste Parabel über die Toleranz von Islam, Christentum und Judentum. Zu dem 1922 gedrehten Stummfilm hat der Oud-Virtuose Rabih Abou-Khalil nun eine symphonische Filmmusik komponiert. Von Claudia Mende

Lessings "Nathan der Weise" ist die wohl bedeutendste Parabel über die Toleranz von Islam, Christentum und Judentum. Zu dem 1922 gedrehten Stummfilm von Manfred Noa hat der deutsch-libanesische Musiker Rabih Abou-Khalil nun eine symphonische Filmmusik komponiert. Von Claudia Mende

​​ Am 24. Oktober präsentierte das Goethe-Institut im Münchner Gasteig die Weltpremiere des restaurierten Stummfilms "Nathan der Weise" von Manfred Noa (1922) mit Live-Musik des deutsch-libanesischen Komponisten Rabih Abou-Khalil. Es spielte das Bundesjugendorchester unter der Leitung des international bekannten Filmdirigenten Frank Strobel.

Aus Anlass der Weltpremiere diskutierten die Publizistin Hilal Sezgin, Marcia Pally von der New York University und der Theologe Rolf Schieder über "den neuen Zorn Gottes" und die Bedeutung von Lessings Ring-Parabel im 21. Jahrhundert. Unterstützt wird die Produktion von ZDF, Arte und Deutschlandradio Kultur.

Plädoyer für Toleranz

1779 schrieb Gotthold Ephraim Lessing sein dramatisches Gedicht "Nathan der Weise" mit der Ring-Parabel, einem Plädoyer für Toleranz zwischen den drei monotheistischen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam.

In der Parabel, die auf ältere literarische Vorlagen zurückgeht, besitzt ein Vater einen magischen Ring, den er an seine Söhne vererben möchte. Da er jedoch drei Söhne hat und diese alle gleich schätzt, will er keinen bevorzugen.

Also lässt der Vater den Ring nachmachen und hinterlässt jedem der Söhne einen eigenen Ring. Die Ringe stehen jeweils für die Weltreligionen.

In der Geschichte um den weisen Juden Nathan vereint Lessing deutliche Kritik an der Scheinheiligkeit christlicher Würdenträger mit Beispielen für muslimische Toleranz, wie sie die Figur des Saladin verkörpert. Historischer Hintergrund für Lessings letztes Werk sind seine eigenen Probleme mit der Zensur durch die Kirche.

Keine Religion kann sich über die andere erheben, lautet die aufklärerische Botschaft des Schriftstellers im 18. Jahrhundert.

Publikumswirksamer Historienfilm

Der Stummfilm "Nathan der Weise" des früh verstorbenen jüdischen Regisseurs Manfred Noa von 1922 ist die bisher einzige Verfilmung des Bühnenstücks. Der Film hält sich im Wesentlichen an die Vorlage von Lessing und zeigt in einer auch heute noch aktuellen Filmsprache die Handlung während des dritten Kreuzzugs im von Kreuzrittern belagerten Jerusalem.

Mit dem technisch brillanten Film bekannten sich Noa und sein Produzent Erich Wagowski vom Münchner Emelka-Konzern zu einem engagierten politischen Kino in der frühen Filmgeschichte. Regisseur und Produzent wollten einen "Film der Humanität" mit einem Plädoyer für das friedliche Zusammenleben der Völker und Religionsgemeinschaften schaffen.

Der grassierende Antisemitismus der Weimarer Republik hat die Vorführung des Films in den Kinos aber schon in den 20er Jahren massiv behindert, ab 1933 wurde er gar nicht mehr gezeigt. Erst 1996 entdeckte das Filmmuseum München das als verschollen geltende Filmmaterial im russischen Filmarchiv in Moskau.

Von Beirut nach Bavaria

Der deutsch-libanesische Komponist und Oud-Spieler Rabih Abou-Khalil schrieb für die Neuaufführung eine Filmmusik mit der für ihn typischen Mischung aus orientalischen und westlichen Stilelementen.

Rabih Abou-Khalil; Foto: Wikimedia Commons
Der deutsch-libanesische Oud-Virtuose Rabih Abou-Khalil schrieb die Musik im Auftrag von ZDF und Arte, die das mit weiteren Partnern initiierte Projekt als "filmmusikalische Toleranzinitiative" bezeichnen.

​​ Abou-Khalil wuchs im Beirut während des Bürgerkriegs auf und studierte arabische und westliche Musik an der Beiruter Kunstakademie. 1978 flüchtete er nach Bayern, wo er seine musikalischen Studien fortsetzte.

Er ist für seine Verbindung von traditioneller arabischer Musik, europäischer Klassik und amerikanischem Jazz bekannt geworden und gilt als einer der bekanntesten Interpreten von Jazz und Weltmusik in Deutschland. 2002 erhielt er den Jahrespreis der deutschen Schallplattenkritik für sein Gesamtwerk.

Bei der Weltpremiere im Münchner Gasteig spielte Abou-Khalil die orientalische Kurzhalslaute. Mit seiner einzigartigen Mischung aus westlichen und östlichen Harmonien und dem restaurierten Stummfilm ist eine filmmusikalische Toleranzinitiative entstanden, die Lessings Idee für die moderne Gesellschaft im 21. Jahrhundert umsetzt. Film und Musik sollen mit dem Goethe-Institut auf Tournee nach Osteuropa, den USA und nach Istanbul gehen.

Wie lebt man seine Religion?

Lessing hatte die Vorstellung, dass sich die Religionen im Zeitalter der Aufklärung durch fortschreitende Vernunft annähern. Heute muss man "auch die Unterschiede zwischen den Religionen akzeptieren und trotzdem Toleranz in der Verschiedenheit leben", betonte Marcia Pally, Professorin für "Multilingual and Multicultural Studies" an der New York University, die sich hauptsächlich mit den evangelikalen Bewegungen in den USA beschäftigt hat.

Marcia Pally; Foto: New York University
Marcia Pally: "Religionen sind eine Quelle der Weisheit, die wir nicht einfach abstreifen sollten. Ihre prophetische Rolle ist wichtig für den demokratischen Staat als ein kritisches Gegenüber zu jeder Regierung."

​​ Damals wie heute könne niemand den Wahrheitsgehalt von Religionen abschließend überprüfen. Diese Frage müsse daher bis zum Ende der Zeiten offen bleiben. Entscheidend und auch heute noch brennend aktuell sei daher für Lessing, wie man seine Religion lebe.

Er gesteht jeder der drei monotheistischen Religionen zu, dass man sie nach ethischen und moralischen Kriterien leben könne. Für die Amerikanerin gehören heute "Gewaltfreiheit, Vernunft und Dialog" zu den unverzichtbaren Kriterien für toleranzfähige Religion.

Neues Verständnis von Sexualität

Doch die Religionen reiben sich immer noch an der pluralistischen Vision, wie sie Lessing in seiner Ring-Parabel vertritt. Alle haben ihre Knackpunkte, bei denen die Bekenntnisse noch nicht mit der modernen Gesellschaft kompatibel sind.

Dazu gehört beispielsweise die Ablehnung der Homosexualität im orthodoxen Islam und in der katholischen Kirche. Die muslimische Publizistin Hilal Sezgin plädierte für ein neues Verständnis von Sexualität in den Religionen.

Hilal Sezgin; Foto: Verlag Herder
Hilal Sezgin: "Das größte Problem mit Religionen ist für mich, dass sie nicht alle postmodernen Lebensformen akzeptieren."

​​ "Das größte Problem mit Religionen ist für mich, dass sie nicht alle postmodernen Lebensformen akzeptieren", sagte Sezgin. "Sexualität sollte aber nicht moralisch verstanden werden." Entscheidend sei für sie ganz im Sinne Lessings nicht, mit wem jemand seine Sexualität lebe, sondern wie man mit dem Partner umgehe.

Auch wenn sich viele Zeitgenossen an der Ablehnung gleichgeschlechtlicher Sexualität in Christentum und Islam stoßen, so betonte doch Marcia Pally die Wandlungsfähigkeit aller Religionen.

"Religion ist nicht notwendigerweise homophob", betonte sie und nannte als Beispiel die evangelikalen Bewegungen in den USA, die sich in den letzten Jahren von ihren anti-homosexuellen Positionen weitgehend gelöst hätten.

Religion als Korrektiv zum entfesselten Markt

Neben der Ablehnung postmoderner Lebensformen sorgt auch das Missionsverständnis in Christentum und Islam immer wieder für berechtigte Kritik, die seit der Aufklärung an die Religionen gerichtet wird. Dennoch hat sich für den Theologen Rolf Schieder der Blickwinkel in den letzten Jahren gewandelt.

Heute frage sich auch die Wissenschaft, "welche positiven Effekte kann Religion haben?". Alle Religionen besitzen ein moralisches Potential, das im Zeitalter der Globalisierung dringend als Gegenüber zu den entfesselten Kräften des Marktes notwendig ist.

Als Beispiele wurde die islamische Kritik an einer Geldwirtschaft, die sich von der Realwirtschaft losgelöst hat, genannt sowie die Kritik der Kirchen an überhöhten Ausgaben für Militär und Rüstung.

Für Marcia Pally ist klar: "Religionen sind eine Quelle der Weisheit, die wir nicht einfach abstreifen sollten. Ihre prophetische Rolle ist wichtig für den demokratischen Staat als ein kritisches Gegenüber zu jeder Regierung."

Claudia Mende

© Qantara.de 2009

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Rabih Abou-Khalil
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1978 floh Rabih Abou-Khalil vor dem Bürgerkrieg aus dem Libanon nach Bayern und studierte dort Musik. Mittlerweile zählt der Oud-Spieler zu den erfolgreichsten und renommiertesten Weltmusikern in Europa. Von Lewis Gropp

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