Libanon im WM-Fieber

Im eigenen Land bleiben die Stadien leer, weil die Politiker den Fußball im Libanon instrumentalisieren. Umso mehr freuen sich die fußballverrückten Libanesen jetzt auf die WM. Von Birgit Kaspar

Obstladen mit Fußballfahnen im Libanon; Foto: DW
Obwohl die libanesische Nationalmannschaft die Qualifikation zur Fifa Weltmeisterschaft verpasst hat, grassiert auch im Libanon das WM-Fieber.

​​ Sie flattern schon seit Wochen an Autos und Balkonen in Beirut: deutsche, brasilianische, spanische und italienische Fähnchen. Überall sprießen kleine Läden aus dem Boden. Dort kann man von Badelatschen über Schuhbänder und Schlüsselanhänger bis hin zu Tassen alle erdenklichen WM-Fanartikel in den verschiedensten Nationalfarben kaufen. Beirut befindet sich im Fußball-WM-Fieber.

Die Fahnen-Verkäuferin Ghada Slim al Ayass ist mit dem Geschäft sehr zufrieden. "Die Leute können die WM kaum erwarten. Einige kaufen gleich bündelweise Flaggen." Deutsche seien am meisten gefragt, dicht gefolgt von brasilianischen.

Dass die Libanesen sich so für das deutsche und das brasilianische Fußballnationalteam begeistern, liegt nicht zuletzt daran, dass die libanesische Mannschaft die Qualifikation wieder nicht geschafft hat. Darum identifizieren sich die Fußball-Fans mit den Mannschaften, denen sie einen Sieg zutrauen.

Und wenn ihre jeweiligen Favoriten ein Match in Südafrika gewonnen haben, dann gibt es in Beirut kein Halten mehr: Hupende Autos rasen durch die Straßen, aus den Seitenfenstern lehnen sich Fahnen schwenkende Jugendliche. Freudenschüsse hallen durch die Beiruter Straßenschluchten.

Unter Beschuss Fußball schauen

Fußball sei im Libanon schon immer Volkssport Nummer 1 gewesen, betont Karim Makdisi, Dozent für internationale Beziehungen an der Amerikanischen Universität in Beirut und selbst begeisterter Kicker.

Er erinnert sich, dass selbst die israelische Invasion 1982 und die dramatische Belagerung Beiruts die Libanesen nicht davon abhalten konnten, die Fußball-WM in Mexiko zu verfolgen: "Natürlich gab es keinen Strom, aber viele hatten einen kleinen Fernseher, den sie an ihre Autobatterie anklemmten, während wir beschossen wurden."

Mit deutscher und brasilianischer Flagge behangene Straße in Beirut; Foto: DW
Im Libanon "identifizieren sich die Fußball-Fans mit den Mannschaften, denen sie einen Sieg zutrauen", so Birgit Kaspar. Bei einem Sieg des auserwählten Teams gibt es dann "kein Halten mehr".

​​ Diese Begeisterung steht in starkem Kontrast zu dem desolaten Zustand, in dem sich der libanesische Fußball heute befindet: Die Meisterschaften werden vor gähnend leeren Rängen ausgetragen, seit die Regierung vor fünf Jahren die Stadien für die Fans geschlossen hat. Aus Sicherheitsgründen heißt es offiziell.

Rahim Alameh, Generalsekretär des libanesischen Fußballverbandes, kann das nicht nachvollziehen, weil massive, gewaltsame Ausschreitungen in den Stadien kein Problem waren. "Sie sorgen sich um die Sicherheit? Warum ergreifen die Politiker dann nicht angemessene Maßnahmen und setzen die Polizei ein?" Karim Makdisi ist der Ansicht, die politischen Führer selbst hätten den Fußball mit konfessionellen Rivalitäten vergiftet. "Erst lösen sie die Probleme aus, dann wollen sie sie kontrollieren." Es sei ein Spiel mit dem Feuer.

Politik und Religion bestimmen den Fußball

Seit einem Manipulationsskandal im Jahr 2001 hätten die Politiker sich in den Fußball eingemischt und auch diesen Kuchen nach konfessionellen Kriterien untereinander aufgeteilt, klagt Alameh. "Der Fußball im Libanon starb im Jahr 2001. Vorher war er eine rein sportliche Angelegenheit, doch seither gehört der Fußball den Politikern und der Religion."

Offizielle Posten im Fußball wurden seither vor allem nach konfessionellen Gesichtspunkten besetzt. Einzelne Politiker oder Parteien kauften ganze Vereine auf und instrumentalisierten sie so für ihre Sache. So wurde auch der Fußball Teil des konfessionellen Systems, obwohl er zuvor einer der wenigen Bereiche im Zedernstaat war, in dem Politik und Religion keine Rolle spielten.

"Unsere Lage ist sehr düster."

Dabei hätte man den beliebten Volkssport gerade in diesem Land, das versucht, sich von einem blutigen Bürgerkrieg zu erholen, als Instrument zur Überbrückung alter Gräben benutzen können, meint Makdisi. "Es wurde ein einmaliges Potential verspielt, eine nationale Identität zu schaffen. Wenn auch nur neben der konfessionellen. Fußball wäre dafür fantastisch und würde nicht viel kosten."

Auto mit italienischen Flaggen; Foto: DW
Auch die Autos geben ein klares Bekenntnis ihres Besitzers zu seiner Wahl-Mannschaft ab.

​​Doch das ist offenbar nicht gewollt, trotz aller Sonntagsreden zur nationalen Einheit. Der Generalsekretär des Fußballverbandes, Alameh, schüttelt resigniert den Kopf. "Unsere Lage ist sehr düster."

Aber das wird die Libanesen nicht daran hindern, die FIFA-Fußball-WM in Südafrika so richtig zu genießen. Im Zentrum Beiruts arbeiten die Handwerker fieberhaft an der Fertigstellung eines World Cup Fan Parks für 2.500 Besucher mit einer riesigen Leinwand unter freiem Himmel. Und in den ärmeren Vierteln haben die Fans schon auf kleineren, leeren Plätzen, Fernseher und ein paar Sofas aufgestellt. Die Nationalflaggen werden natürlich zu diesen Fernseh-Events mitgebracht.

Weil die deutschen, brasilianischen und italienischen Fähnchen so günstig zu kaufen sind, kann man je nach Lage schnell den Lieblingsmannschaft wechseln. So kann man irgendeinen Sieger immer feiern.

Birgit Kaspar

© Deutsche Welle 2010

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

Qantara.de

Porträt Sami Khedira
Im Fußball spielt die Herkunft keine Rolle
Der Fußballprofi Sami Khedira besitzt einen tunesischen und einen deutschen Pass. Der 21-Jährige Mittelfeldspieler vom VfB Stuttgart engagiert sich in seiner Freizeit für die Förderung der Integration von Jugendlichen. Bald wird er wohl auch im deutschen Nationaldress auflaufen. Ein Porträt von André Tucic

Deutschlands U21-Fußball-Nationalmannschaft
Ein funktionierendes Vielvölkergemisch
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Multi-Kulti unlängst für gescheitert erklärt, die deutsche U21-Fußball-Nationalmannschaft indes beweist das Gegenteil. André Tucic stellt das Team vor.

Porträt Frédéric Oumar Kanouté
Ein T-Shirt geht um die Welt
Frédéric Oumar Kanouté ist kein gewöhnlicher Fußballer: Er spendet Geld für eine Moschee, engagiert sich für notleidende Kinder und bezieht Stellung zum Nahost-Konflikt. Ein Porträt von André Tucic