Punk, HipHop und Arabeske am Bosporus

In seinem neuen Film begibt sich der deutsch-türkische Regisseur Fatih Akin auf musikalische Spurensuche: Entstanden ist eine liebevolle Hommage an die pulsierende, vielfältige und aufregende Musikszene Istanbuls. Von Petra Tabeling

In seinem neuen Film "Crossing the Bridge – The Sound of Istanbul" begibt sich der deutsch-türkische Regisseur Fatih Akin auf musikalische Spurensuche: Entstanden ist eine liebevolle Hommage an die pulsierende, vielfältige und aufregende Musikszene Istanbuls. Von Petra Tabeling

​​Es war einmal ein Cowboy in Istanbul. Der Cowboy ist der Bassist der deutschen Avantgarde-Band "Einstürzende Neubauten", Alexander Hacke - und er hat eine Mission: die Musik der 20 Millionen-Metropole am Bosporus einzufangen.

Per Laptop und hochtechnischem Gerät bewegt er sich durch die laute, hektische und vor Hitze flirrenden Stadt, um Musiker zu porträtieren, die Istanbul eine musikalische Identität verleihen.

Faszination von Istanbuls Klangwelten

Von diesem Dokumentarfilm träumte Fatih Akin schon lange. Es waren die Dreharbeiten zu seinem vielfach ausgezeichneten Kinodrama "Gegen die Wand", die teilweise in Istanbul stattfanden, und letztlich den Anstoß gaben.

Damals war der Bassist Alexander Hacke für die Musikproduktion zuständig und fasziniert von der Stadt am Bosporus und seinen Klängen. Also kehrten Akin und Hacke in die türkische Hauptstadt für einen monatelangen, heißen Sommer zurück um das zu erkunden, was Istanbul zur "Stadt der Träume", der Liebeserklärungen und vor allem zur Metropole der Musik macht.

Heraus gekommen ist ein Streifzug durch alle Musikrichtungen, ein Wechsel zwischen HipHop und Arabeske, türkischem Grunge und Roma-Folklore, Elektro-Beats und melancholischen Straßengesängen.

Unaufdringlich und trotzdem nah dran begleitet Akin die Musiker und seinen Erzähler im Film, Alexander Hacke, durch Istanbuls Gassen, in den Studios, auf einem Boot. Keine aufwendigen Kameraszenen, keine Inszenierungen.

Suche nach Musik und Identität

Aber "Crossing the Bridge – The Sound of Istanbul" ist nicht nur ein 90minütiger filmischer Abriss der Musikszene – er ist vielmehr: Es ist ein Dokumentarfilm, in dem die Darsteller und ihr Verständnis von Musik die Hauptrollen spielen, und nicht zuletzt gezeigt wird, wer sie sind.

Da ist zum Beispiel der Rapper Ceza, der mit seinem schnellen Sprechgesang an schwarze Musiker wie Puff Daddy erinnert. Aber mit amerikanischen Vorbildern keinesfalls verglichen werden möchte.

"Zu wissen, wo du lebst, gibt dir Musik und Identität", so der junge Musiker. Und die besteht für den türkischen Rapper nicht aus Drogen, Reichtum und schnellen Autos. Das sieht sogar sein Vater so: "Die Türkei braucht HipHop", sagt er in Akins Kamera.

Flower Power und 1001 Nacht

Solche überraschende Unterstützung der älteren Generation hat es in den 60er und 70er Jahren für den exzentrischen Erkin Koray wohl weniger gegeben. Er war einer der ersten, der türkische Musik auf elektrisch verstärkten Instrumenten spielte, die Beatles und die Stones coverte und in der Türkei die Beat-Ära einläutete.

In der türkischen Republik stieß er mit solchen westlichen Einflüssen auf Ablehnung, doch für die nachfolgenden Generationen öffnete er damit die Tür für ein neues Musikverständnis. Und für die ist er auch heute noch ein großes Vorbild.

Sicher auch für Bands wie "Baba Zula", die eine Mischung aus orientalischen Sounds und jazzorientierter Psychedelic spielen und damit zum Ausdruck bringen, dass Istanbul weder im Osten noch im Westen liegt, sondern von vielen ethnischen Einflüssen geformt ist.

In Akins Film spielen sie daher auch nicht in Istanbul, sondern auf einem traditionellen Schiff auf dem Bosporus - die Meerenge, die Asien von Europa trennt. Denn Grenzen verschwimmen für die Musiker von "Baba Zula" im wahrsten Sinne des Wortes.

Die Freiheit der Identität

Akins Filmtitel "Crossing the Bridge", ist daher vieldeutig. Nicht einfach ein Brückenschlag zwischen Ost und West, Islam und Christentum. In der Welt der Musik gibt es diese Definitionen nicht. Einer der porträtierten Musiker bringt es auf den Punkt: "Ich glaube nicht, dass Asien am Bosporus beginnt und in China endet und der Westen in Griechenland beginnt und bis Los Angeles reicht."

Musik und Identität gehen auch im Leben der kurdischen Sängerin Aydur eine schmerzhafte Symbiose ein. Lange Zeit verboten, darf sie wieder vor Publikum spielen und verbindet kurdische Musik mit modernen Klängen.

"Crossing the Bridge – The Sound of Istanbul" dokumentiert zwölf Bands im Schmelztiegel Istanbul, ihre Kulturen und deren musikalischen Ausdrücke, aber auch ihre Experimente.

Daraus entstanden ist ein neu gewonnenes Selbstbewusstsein, das, angesichts eines EU-Beitritts der Türkei, nicht verloren gehen dürfe, so Akin: "Es sieht doch überall gleich aus in der EU. Überall die gleichen Ladenketten und Produkte."

Für Fatih Akin, der in Hamburg lebt, und dessen Mutter aus Istanbul stammt, bedeutet die Stadt am Bosporus mit seiner Musikszene sehr viel. Es ist seine zweite Heimat, zu der er sich sehr hingezogen fühlt. Und der er mit dem Film eine Liebeserklärung gewidmet hat.

Daher ist das letzte Lied des Filmes eine melancholische, wunderschöne und fast schmerzliche Hommage an das alte Istanbul. Superstar Sezen Aksu, begleitet nur von Hackes Gitarre und einem Piano, singt "Istanbul Hatirasi", "Erinnerungen an Istanbul". Die Welt steht still für diesen Moment und im Kinosaal.

Petra Tabeling

© Qantara.de 2005

"Crossing the Bridge – The Sound of Istanbul" von Fatih Akin ist seit dem 9. Juni 2005 in deutschen Kinos zu sehen.

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