Ramadan in der Justizvollzugsanstalt Heilbronn

Anfang Oktober hat der Ramadan begonnen, der für viele Muslime ein besonderes religiöses Ereignis darstellt. Wie muslimische Gefangene den Fastenmonat verbringen, beschreibt Steffen Felger.

Im baden-württembergischen Heilbronn befindet sich das weitläufige Areal der staatlichen Justizvollzugsanstalt mitten in der Stadt. Etwas mehr als 400 Männer verbüßen dort hinter hohen Gefängnismauern überwiegend langjährige Haftstrafen.

Der Ausländeranteil betrage rund 37 Prozent, berichtet Anstaltsleiter Ulrich Schlicher. Davon seien rund 100 Gefangene Muslime: Heilbronn ist in Baden-Württemberg ein Schwerpunktgefängnis für Türken und Kosovo-Albaner. Aber auch Araber aus Ländern wie Algerien und Tunesien leben hier hinter Gittern.

Einer der muslimischen Häftlinge ist der in Deutschland aufgewachsene Türke Nadir Cengiz. Seit acht Jahren sitzt der 32-Jährige in Heilbronn ein; sieben Jahre habe er noch vor sich, "vielleicht", meint er vorsichtig.

Der untersetzte, durchtrainierte Mann ist in diesem Gefängnis der Sprecher der türkischen Häftlinge. Für die hier beschäftigte Sozialpädagogin Petra Krönke ist er zugleich der erste Ansprechpartner, wenn es um muslimische Belange geht.

Krönkes Angebot, in ihrem Arbeitszimmer für uns alle einen Tee zu kochen, lehnt Cengiz für seinen Teil sofort ab: "Ich darf nicht, wegen Ramadan." Damit sind wir gleich beim Thema – Ramadan im Gefängnis.

Fasten als Denkanstoß

"Beides, Ramadan und Gefängnis, sind eine Beschränkung für das Leben", meint der munter wirkende Häftling. "Beides will bewirken, dass wir über unsere Lebensführung nachdenken."

Eine Strafe sind die islamischen Fastenregeln auch im Gefängnis nicht. Die Glaubensvorschriften einzuhalten, sei auch hier nicht schwierig, sagt Nadir Cengiz. Das Frühstück werde bereits am Vorabend ausgegeben und in den Zellen verzehrt – so können die muslimischen Häftlinge auch dann, wenn der Ramadan in die Sommermonate fällt, vor Sonnenaufgang frühstücken.

Das abendliche Fastenbrechen dürfe im Heilbronner Gefängnis sogar in der Gruppe eingenommen werden, weil es hier Stockwerksküchen gebe. "Das war in den anderen Gefängnissen nicht möglich", berichtet Cengiz, der während seiner Untersuchungshaft auch zwei andere Haftanstalten – Ulm und Stuttgart - kennen lernte.

Darin ist Heilbronn für ihn vorbildlich. Viele muslimische Gefangene schätzten es sehr, dass man hier im Ramadan das tägliche Fastenbrechen nach Sonnenuntergang drinnen wie draußen gemeinsam begehen könne.

Kein Fasten in der Notsituation

Aber nicht jeder muslimische Gefangene beachte die Fastenregeln, sagt Cengiz, der tagsüber in der Gefängnisdruckerei als Setzer arbeitet: "Von manchen werden sie sehr ernst genommen, von anderen weniger. Manche berufen sich auch darauf, dass in einer Notsituation nicht gefastet werden muss, und fasten nicht."

Während des ganzen Jahres besuchen islamische Geistliche zweimal monatlich die muslimischen Gefangenen in der Justizvollzugsanstalt Heilbronn, um mit ihnen gemeinsam zu beten. Ditib-Mitarbeiter des türkischen Konsulats in Stuttgart wechseln sich dabei mit dem Imam der Heilbronner Fatih-Moschee ab.

Für manche Häftlinge seien diese Gottesdienste etwas Neues, sie würden erst im Gefängnis die Rituale kennen lernen. "Die einen machen mit, die anderen sind einfach nur dabei." Ungewöhnlich für ihn sei das gemeinsame Beten mit Muslimen aus dem Kosovo oder den arabischen Ländern gewesen. Das sei außerhalb der Gefängnismauern in den Moscheen nicht üblich.

Islamischer Feiertag im Gefängnis

Schon seit mehr als einem Jahrzehnt ist nach Ende des Ramadans das Bairam-Fest für die Muslime in der Justizvollzugsanstalt Heilbronn ein Höhepunkt ihrer ereignislosen Haftjahre. Zu Bairam erhalten sie einen arbeitsfreien Tag und können diesen gemeinsam feiern – auch das türkische Konsulat in Stuttgart und die Heilbronner Fatih-Moschee entsenden Vertreter dazu.

Auf den Häftling Cengiz machen die dabei ausgegebenen türkischen Speisen den stärksten Eindruck: "Da aßen wir auch schon Döner-Kebab, Datteln oder Lahmacun. Das kriegen wir hier normalerweise nicht. Es hängt aber von Jahr zu Jahr davon ab, was die islamische Gemeinschaft in Heilbronn spendet." Man kann Cengiz ansehen, dass er sich auf den nächsten Bairam schon freut.

Gemeinsam mit Petra Krönke und der Vollzugsdienstleistung bereitet er diese Feier vor. "Ich habe hier viel Zeit, und das ist eine schöne Abwechslung", erklärt Cengiz. "Ich habe immer schon gerne organisiert." Nicht zuletzt ist ihm dabei wichtig, "dass meine Glaubensbrüder merken, dass Engagement sich lohnt".

Der Glaube bietet Rückhalt

Als Muslim fühlt sich Nadir Cengiz in Heilbronn gut aufgehoben. Für viele Gefangene, die in Heilbronn überwiegend sehr lange Haftstrafen verbüßen, bedeute der Glauben einen Rückhalt, "egal, ob man Muslim ist oder Christ". Bei der Rücksicht auf Glaubensbelange hänge sehr vieles von der jeweiligen Anstaltsleitung ab, von deren Respekt und Toleranz in Glaubensfragen.

Ihm selbst sei der Besuch einer Heilbronner Moschee nicht möglich, bedauert Cengiz. Umso mehr rechnet er es Schlicher und Krönke hoch an, dass sie bereits dort gewesen seien. Damit hätten sie auch dem Imam ihren Respekt erwiesen, der neben seinem bürgerlichen Beruf und seinem religiösen Ehrenamt in der Moschee auch die Muslime im Gefängnis der baden-württembergischen Großstadt einmal monatlich besuche.

Steffen Felger

Qantara.de 2005

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