Das Böse hat viele Gesichter

Nach der ersten hat jüngst auch die Hinrichtung eines zweiten amerikanischen Journalisten durch die Extremistengruppe IS weltweit Entsetzen ausgelöst. Doch die Dschihadisten verbreiten in ihren Medienproduktionen nicht nur Angst und Schrecken. Sie wollen auch mit heilen Bildern die Menschen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewinnen. Von Joseph Croitoru

Von Joseph Croitoru

In seiner Propaganda zeigt sich der "Islamische Staat" im Irak und in Syrien (IS) in vielen Spielarten, von denen im Westen bisher eher nur die spektakuläreren und gewaltbezogenen wahrgenommen werden. So etwa Bilder von Kampfhandlungen und Hinrichtungen sowie Aufnahmen seiner Kämpfer, auf denen sie sich als furchtlose Gotteskrieger bei Aufmärschen und Versammlungen gerieren. Doch die über vielfache Kommunikationskanäle verbreitete Propaganda der Dschihadisten hat auch weitere Facetten, die sie in einem anderen Licht erscheinen lassen sollen. Ihren Eroberungszügen haben die Propagandisten des IS von Beginn an auch mehrere Videoserien gewidmet, die sich weniger mit der militärischen Schlagkraft der Islamistenmiliz befassen und in denen die Macher wie Reporter auftreten.

In unaufgeregtem Ton wird hier mit den Kampfgenossen gesprochen, die sich durchgehend als koranfest und häufig auch als äußerst redegewandt präsentieren. Die Kämpfer sprechen meist ein makelloses Hocharabisch, und ihre verschiedenen Akzente und Physiognomien lassen auf all die Länder schließen, aus denen sie stammen. Neben Arabern aus Saudi-Arabien, Tunesien oder Ägypten erkennt man an ihrer Aussprache auch Bosnier, Albaner und Mudschaheddin aus den zentralasiatischen Republiken.

Abu Bakr al-Baghdadi; Foto: picture-alliance/dpa
Durch die Ausrufung des Khalifats am 29. Juni 2014 auf syrischem und irakischem Gebiet ist Abu Bakr al-Baghdadi, nach Ansicht seiner Anhänger,als Khalif Ibrahim Befehlshaber der Muslime und oberster Führer des Islamischen Staates.

Heile Welt im Dschihad-Staat

Interviewt werden neben den eigenen Leuten auch mit den Extremisten sympathisierende Passanten in den Ortschaften, in denen sie die Kontrolle übernommen haben. Solche Aufnahmen suggerieren eine heile Welt, in der – da sie nun von den Boten des angeblich wahren Islam regiert wird – alles mit rechten Dingen zugeht. So wirbt etwa in der bisher 50 Folgen umfassenden Videoserie "Fenster zu den Ländern des Krieges" – gemeint ist der Dschihad –, mit der eine Fotodokumentation korrespondiert, die Kampforganisation für sich als Friedensstifterin. Hier jubelt stets die einheimische Bevölkerung den in ihren Toyota-Pick-ups vorbeifahrenden Dschihadisten zu. Man ist bemüht, den Eindruck zu erwecken, dass im IS-Staat Normalität herrscht, wovon auch Aufnahmen belebter Märkte zeugen sollen.

In anderen Sequenzen wehen schon, ob auf zentralen Gebäuden, Stadtparkzäunen oder Verkehrsinseln, die schwarzen IS-Fahnen: Im Dschihad-Staat, so die Botschaft, herrscht Ordnung. Und die bedeutet vor allem eines: Unterwerfung und Gehorsam gegenüber dem "Islam" – in der IS-Version, versteht sich. Beliebtes Motiv im Siegesalbum der islamistischen Eroberer ist das Ritual der „Baia“, des Treueschwurs, den angeblich immer mehr Iraker dem jüngst ausgerufenen Kalifat leisten. Ein möglichst breites Spektrum der neuen Anhängerschaft wird hier gezeigt, wobei Stammesführer aus dem Westirak momentan eine der wichtigsten Gruppen bilden.

Stämme im Griff der Dschihadis

Jüngst hinzugekommen ist der "Halabassa"-Stamm aus der Falludscha-Region, die als Hochburg des sunnitischen Aufstands gegen die irakische Zentralregierung gilt. Den Schwur seiner in traditionelle arabische Gewänder gekleideten Vertreter, die sich in einer prächtigen Moschee versammelt haben, dokumentiert eine Fotostrecke, mit der die Fundamentalisten einen für sie bedeutenden Erfolg feiern. Dem Stamm der "Halabassa" eilt nämlich der Ruf besonderer Unbeugsamkeit voraus.

Im Übrigen ist auf den Fotos, auf denen so gut wie alle Gesichter verfremdet sind, nicht zu übersehen, dass die Zeremonie der Treuebezeugung zusätzlich auch auf Video, einschließlich Interviews, dokumentiert wird. Offenbar sollen diese Aufnahmen über ihre propagandistische Funktion hinaus auch als internes Beweismaterial dienen für den Fall, dass der eine oder andere Clan dem IS die Gefolgschaft wieder verweigern sollte. Eine nicht minder bedeutende Gruppe von neuen Rekruten sind Überläufer aus islamistischen Milizen, die mit dem IS rivalisieren.

Zu den jüngsten dieser Neurekrutierungen gehören rund 50 Mitglieder der dschihadistischen "Ansar al-Islam" aus der nordirakischen Provinz Ninive, deren Treueschwur ebenfalls fotografisch festgehalten ist. In einem nagelneu wirkenden Seminarraum, vermutlich in einem beschlagnahmten Verwaltungsgebäude, verfolgen die neuen Kameraden aufmerksam die Ansprache eines IS-Kaders. Anschließend wird mit herzlichen Umarmungen die neue Waffenbrüderschaft besiegelt, und man speist nach traditioneller Art der Beduinen gemeinsam auf dem Boden.

Abu Omar al-Shishani flankiert von maskierten IS-Kämpfern; Foto: AP Photo/militant social media account via AP video
Abu Omar al-Shishani bei der Verkündung der Grenzaufhebung zwischen Syrien und dem Irak. Der gebürtig aus Georgien stammende Tschetschene ist immer häufiger in Propagandavideos zu sehen, ganz im Gegensatz zu al-Baghdadi, der sich laut US-Außenministerium in Syrien versteckt hält und nur selten in Videos und auf Fotos zu sehen ist.

Koranfestivals und Netzpropaganda

Die Netzpropaganda der sunnitischen Eiferer gewährt auch Einblick in die Methoden, mit denen sie auf lokaler Ebene ihre Botschaft verbreiten. Es werden Informationsbroschüren unters Volk gebracht, vorzugsweise auch im Rahmen eigens veranstalteter "Koranfestivals", auf denen ganze Familien – Männer und Frauen räumlich voneinander getrennt – einem IS-Rezitator lauschen. Großen Wert scheinen die Dschihadisten auf den Aufbau lokaler Netze einheimischer "Medienoffiziere" zu legen, die die Aufgabe haben, audiovisuelles Propagandamaterial an die Bevölkerung zu verteilen. Davon zeugen Fotos, die unlängst im unweit von Falludscha gelegenen Jusufiya aufgenommen wurden – ein für die sunnitischen Aufständischen besonders traumatischer Ort: Hier töteten im März 2006 fünf amerikanische Soldaten eine vierköpfige irakische Familie, deren eine Tochter, die damals vierzehnjährige Hamza al-Dschanabi, zuvor von ihnen vergewaltigt wurde.

Charakteristisch für die Medienpolitik des IS ist auch die Art, wie er sich Bürgerjournalismus-Initiativen einverleibt, die ursprünglich von Demokratieaktivisten ins Leben gerufen wurden. So beispielsweise das im syrischen Raqqa operierende "Raqqa Media Center" (RMC), das bis zur Ankunft der Islamistenmiliz von säkularen Assad-Gegnern betrieben wurde. Bis zum Frühjahr noch, ehe er dann spurlos verschwand, meldete sich sein Leiter Abu Oday al-Raqi regelmäßig mit eigenen Reportagen auf Youtube. RMC sendet indes unter gleichem Namen fröhlich weiter. Gezeigt werden, meist unkommentiert, patrouillierende IS-Leute oder Luftangriffe Assads, über die schon al-Raqi immer wieder berichtete.

So sorgen die neuen RMC-Herren für Kontinuität, überraschten unlängst aber auch mit einem Novum: dem Start einer IS-Radiostation für die Region Raqqa, die aber noch in der Testphase zu sein scheint.

Joseph Croitoru

© Qantara.de 2014