Erweckung der Toten

Seit Jahren kursieren Gerüchte um die Todesursache von Jassir Arafat. Jetzt wurde der Leichnam des Palästinenserführers exhumiert - in der Hoffnung herauszufinden, was damals wirklich passiert ist. Diana Hodali berichtet.

Tagelang war das Mausoleum auf dem Gelände des Präsidentensitzes in Ramallah weiträumig abgeriegelt. Blaue Plastikplanen versperrten die Sicht auf das Grab. Unter umfangreichen Sicherheitsvorkehrungen wurde am Dienstagmorgen (27.11.) das Grab von Palästinenserführer Jassir Arafat geöffnet.

Palästinensische Ärzte entnahmen dem Leichnam Proben, die von Fachleuten aus Frankreich, Russland und der Schweiz untersucht werden sollen. Damit soll geklärt werden, ob der am 11. November 2004 in einem Pariser Militärkrankenhaus gestorbene PLO-Chef möglicherweise vergiftet worden ist. Wenige Stunden nach der Exhumierung wurden die sterblichen Überreste des früheren palästinensischen Präsidenten wieder beigesetzt. Ergebnisse werden erst in einigen Monaten erwartet.

Grund für die Exhumierung sind die Recherche-Ergebnisse des arabischen Fernsehsenders Al-Jazeeera in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus der Schweiz. Al-Jazeera hatte beim "Institut de Radiophysique" in Lausanne eine Untersuchung von Arafats Kleidung in Auftrag gegeben.

Vorbereitungen zur Exhumierung von Arafats Leichnam, Mausoleum in Ramallah am 13. November 2012; Foto: Reuters/Stringer
Der Wahrheit auf den Grund gehen: Acht Jahre nach dem Tod des früheren Palästinenserpräsidenten Jassir Arafat sind in Ramallah im Westjordanland dessen sterbliche Überreste in Ramallah exhumiert worden.

​​Im Juli 2012 hatten die Experten herausgefunden, dass er mit Polonium-210 vergiftet worden sein könnte. Ein endgültiger Beweis steht aber noch aus: Aufschluss darüber kann nur die Untersuchung seines Leichnams ergeben. Die Palästinenserführung hat daraufhin dem Wunsch von Arafats Witwe Suha Arafat entsprochen und die Exhumierung der Leiche Arafats veranlasst.

Auf der Suche nach der Ursache

Neun Monate lang hatte Al-Jazeera recherchiert. Die Schweizer Fachleute erhielten eine Reisetasche mit persönlichen Gegenständen Arafats. Darunter waren seine Wintermütze, seine Krankenhaushaube, seine Zahnbürste und auch seine Unterwäsche.

In der Dokumentation erklären die Forscher, dass Arafats Haare, aber auch weitere nachweisbare Körperflüssigkeiten mit auffällig erhöhten Polonium 210-Werten, vermutlich von Arafat stammten. Es hätten jedoch weder Blut noch Urin-Proben für vergleichende Untersuchungen herangezogen werden können, da Arafats Proben in Paris bereits vor einigen Jahren vernichtet worden seien, heißt es. Bei dem gesamten Ärzteteam aus Tunesien und Ägypten stieß der Sender allerdings auf eine Mauer des Schweigens. Keiner der Ärzte wollte sich zu den damaligen Ereignissen äußern.

Die Palästinenser verdächtigen Israel seit Jahren, ihren früheren Präsidenten vergiftet zu haben. Die Spekulationen wurden dadurch angeheizt, dass es nie eine eindeutige, offizielle Todesursache gab und Arafat plötzlich erkrankt war. Sein Zustand hatte sich in kürzester Zeit so dramatisch verschlechtert, dass er damals über Jordanien nach Frankreich ausgeflogen werden musste. In einem Militärkrankenhaus im Süden von Paris starb er am 11. November 2004 im Alter von 75 Jahren.

Spekulationen über die Todesursache

Bereits kurz nach seinem Tod hatte der israelische Friedensaktivist und Freund Arafats Uri Avnery vermutet, Arafat sei vergiftet worden. Diese Auffassung wird von der palästinensischen Bevölkerung weitgehend geteilt. Er hält es für möglich, dass Israel etwas mit dem Tod Arafats zu tun haben könnte.

Der PLO-Chef war in den Jahren vor seinem Tod bei der israelischen Regierung in Ungnade gefallen. Seit 2001 wurde er mehrfach von Israel unter Hausarrest gestellt. Im Jahr 2002 zerstörte die israelische Armee einen Großteil von Arafats Hauptquartier, die Mukata, in Ramallah. Jahrelang lebte Arafat in zwei kleinen, schlecht belüfteten Zimmern, die er nicht verlassen durfte.

Jassir Arafat und seine Frau Suha, 2004 in Ramallah; Foto: EPA/Hussein Hussein
Den Stein ins Rollen gebracht hatte Arafats Witwe: Suha Arafat, die auf Malta lebt, hatte im letzten Juli Anzeige in Frankreich erstattet. Viele Palästinenser glauben an einen Giftmord durch Israel, das diesen Vorwurf jedoch bestreitet.

​​Die israelische Führung beschuldigte ihn, den gewalttätigen Aufstand gegen Israel angezettelt zu haben. Er persönlich trage die Verantwortung für die zahlreichen palästinensischen Selbstmordanschläge in Israel. Ein Jahr vor Arafats Tod hatte der damalige israelische Handelsminister Ehud Olmert gesagt, es sei eine "legitime Option", ihn zu töten. Das israelische Kabinett fasste sogar den förmlichen Beschluss, Arafat "zu entfernen", wie es damals hieß.

Aber nicht nur Israel geriet in Verdacht. Suha Arafat beschuldigte damals die Palästinenserführung, ein "Komplott" gegen ihren Mann zu planen, um sein Erbe anzutreten. Diesen Verdacht äußerte sie in der Dokumentation von Al-Jazeera nicht mehr. Stattdessen erklärte sie, Polonium sei eine Substanz, die nur in sehr fortschrittlichen Ländern existiere.

Die Schweizer Forscher bestätigen dies: Das hochgiftige Polonium könne nur in Kernreaktoren hergestellt werden. Dies würde bedeuten, dass es aus einem Land kommen muss, in dem es Atomkraft gibt. "Ich muss nicht daran erinnern, wer es besitzt", sagte Frau Arafat.

Die Suche hat nie aufgehört

Seit gut zwei Jahren sammeln Mitarbeiter der Palästinensischen Autonomiebehörde Material zum Todesfall Arafat. Allerdings, so Salah Abel Shafi, Botschafter der Palästinensischen Diplomatischen Mission in Berlin, seien die technischen und medizinischen Möglichkeiten sehr begrenzt. Die Akte Arafat sei nie geschlossen worden.

Offen ist, ob die Arbeit der Wissenschaftler den Giftmordverdacht schlussendlich klären kann, da sich das Polonium-210 auch schon zersetzt haben könnte und die entnommenen Proben für eine Untersuchung zu gering sein könnten.

Doch auch für den Fall, dass das Gift nachgewiesen werden kann, zweifelt Uri Avnery an einer vollständigen Aufklärung: "Wenn Arafat wirklich vergiftet worden ist, dann werden wir nie erfahren, wer dahinter gesteckt hat."

Diana Hodali

© Deutsche Welle 2012

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de