Wie der Antichrist zum Mahdi wurde

In den USA hat nach den Anschlägen des 11. September die anti-islamische Stimmung in der Öffentlichkeit zugenommen. Doch was denken christlich-amerikanische Gruppen über den Islam? Der amerikanische Historiker Thomas S. Kidd analysiert in seiner Studie die Wahrnehmung des Mittleren Ostens durch die Evangelikalen. Von Joseph Croitoru

George W. Bush; Foto: AP
Bekennender Evangelikaler: Der frühere US-Präsident George W. Bush ist der wohl bekannteste Vertreter der evangelikalen Christen. Sein Glaube übte einen großen Einfluss auf seine Politik aus.

​​ Seit geraumer Zeit ist das Verhältnis der Amerikaner zum Islam in den Blick der Historiker geraten. Seine Wahrnehmung in evangelikalen Kreisen wird indes erst allmählich zum Forschungsgegenstand. Die Positionen der Evangelikalen gegenüber dem Islam seit dem späten siebzehnten Jahrhundert zeichnet der Historiker Thomas S. Kidd, tätig an der mit den Baptisten verbundenen Privathochschule Baylor in Waco, Texas, in seiner jüngsten Studie "American Christians and Islam" nach.

In der Kolonialphase hatten die europäischen Einwanderer in Nordamerika so gut wie keinen Kontakt mit Muslimen, die Minderheit der muslimischen Sklaven wurde kaum wahrgenommen. Die Sicht auf den Islam war durch christliche Streitschriften aus Europa geprägt. Dabei erfuhr das 1697 veröffentlichte Pamphlet des englischen Anglikaners Humphrey Prideaux über das Leben Mohammeds eine breite Rezeption.

Bei den amerikanischen Evangelikalen hatte die Schrift für lange Zeit die Vorstellung von Mohammed als einem Betrüger fixiert. Hatte Prideaux den Islam, ebenso wie das Papsttum, auf das Wirken des Antichrist zurückgeführt, so sahen die evangelikalen Kolonisten in ihren Endzeitideen den Antichrist im Islam und Katholizismus direkt verkörpert. Die negative Sicht hatten die realen, zuweilen auch fiktiven Berichte von Christen noch verstärkt, die in Gefangenschaft nordafrikanischer Seeräuber geraten waren.

Endzeitstimmung und Missionierung

Für die Vereinigten Staaten hatte der Kampf gegen die muslimische Piraterie, die im Mittelmeer und im Atlantik amerikanische Interessen gefährdete, oberste Priorität, wodurch der Islam immer stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte. Besonders zur Zeit der religiösen "Großen Erweckung" in Nordamerika war seine Verteufelung gang und gäbe.

Humphrey Prideaux; Quelle: Wikipedia
Mohammed als Betrüger im Auftrag des Antichristen: Die Schriften des anglikanischen Engländers Humphrey Prideaux über das Leben Mohammeds prägten die Vorstellungen der amerikanischen Kolonialisten für lange Zeit.

​​ Zu dieser religiösen Komponente gesellte sich die politische. Das Osmanische Reich galt als Verkörperung des Despotischen und damit als Gegenpol zur freiheitlichen Ordnung der Vereinigten Staaten. Durch die Endzeitstimmung, die der antiklerikaler werdende Charakter des nachrevolutionären Frankreichs unter den christlich-konservativen Amerikanern ausgelöst hatte, erfuhr die Sicht auf die Türkei jedoch bald eine erneute Sakralisierung: Die Prophezeiung in der Offenbarung des Johannes, dass vor Beginn der Endschlacht der Euphrat austrocknet, wurde als Hinweis auf den Untergang des Türkischen Reichs gedeutet.

Reale Zeichen für dessen allmähliche Auflösung stärkten im neunzehnten Jahrhundert zwar die Befürworter einer Missionierung der Muslime, doch hatten erste Versuche kaum Erfolge erzielt. Vielmehr bestätigten die wenigen Begegnungen die Vorurteile gegenüber dem Islam.

Populäre, wenn auch erfundene Geschichten von Konvertiten

Das Scheitern der Missionare, das man auf die angebliche Rückständigkeit, Grausamkeit und Frauenfeindlichkeit der Muslime schob, ließ in Amerika indessen Lebensgeschichten der wenigen christlichen Konvertiten umso populärer werden; dass diese stets aufs Neue aufgelegten Werke zum Teil erfunden waren, tat der Beliebtheit dieses bis heute weitverbreiteten Genres keinen Abbruch.

​​ Auch wenn der Missionar Samuel Zwemer (1867 bis 1952) dank seiner Produktivität als Orient-Schriftsteller die Einsicht durchzusetzen vermochte, dass landes- und religionskundliche Kenntnisse die Voraussetzung für eine Evangelisierung der Muslime seien, fruchtete dies kaum. Dennoch bildet das Argument, extrem anti-islamische Endzeitprophetien würden der eigenen Mission schaden, eine Konstante in innerevangelikalen Debatten seit der Zwischenkriegszeit.

Hier scheint das einflussreichste Lager das pro-israelische zu sein, das sich mit seinen prophetisch-spekulativen Reaktionen auf die oft kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten dank auflagenstarker Bestseller Gehör verschafft. Ein beliebtes Motiv ist die Zerstörung der Moscheen auf dem Jerusalemer Tempelberg und der Wiederaufbau des jüdischen Tempels.

Endzeitschlacht und die Wiedererrichtung Babylons

Ebenso die islamisch-russische Koalition, die auf Seiten des Antichristen kämpft. War in der Zeit des Kalten Krieges die Sowjetunion die Verbündete der ölreichen Araber, so kamen nach der Islamischen Revolution die Iraner hinzu, aus Sowjets wurden Russen.

Allerdings traten die Iraner vorübergehend wieder in den Hintergrund, um in der Endzeitschlacht, von Saddam Husseins neubabylonischem Kult und dem ersten Golfkrieg inspiriert, Platz für das wiedererrichtete Babylon zu machen, das nun zum Sitz des Antichrist erklärt wurde - und der durfte in der millionenfach verkauften Endzeit-Buchserie "Left Behind" ("Finale - Die letzten Tage der Erde") auch ein Rumäne sein, mit dem sagenhaften Namen Nicholas Carpathia.

​​ Nach den Anschlägen des 11. September hat die anti-islamische Stimmung noch zugenommen. Wieder werden Berichte konvertierter Muslime instrumentalisiert, wenngleich manche auch Hinweise enthalten, wie man den "muslimischen Nachbarn" für das Christentum gewinnen könnte.

In der erhitzten Atmosphäre des Anti-Terror-Kriegs versuchte Kidd zufolge die Regierung Bush beim Thema Islam sogar mäßigend auf die Evangelikalen einzuwirken. Deren Endzeitautoren aber haben sich angepasst. Nun wird auch der Irak-Krieg als Zeichen für den bevorstehenden Vernichtungsschlag gegen den Islam gedeutet. Und der Antichrist ist neuerdings Muslim durch und durch: Er erscheint in Gestalt des islamischen Mahdi, ausgerüstet mit russisch-iranischer Atomwaffentechnik.

Joseph Croitoru

© Qantara.de 2010

Thomas S. Kidd: "American Christians and Islam. Evangelical Culture and Muslims from the Colonial Period to the Age of Terrorism". Princeton University Press, Princeton 2009.

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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