Politischer Wirbel um Antisemitismus-Studie

Eine umstrittene Studie der EU sieht den Antisemitismus in Europa auf dem Vormarsch. Auch nehme die Gewalt radikaler Islamisten gegen jüdische Einrichtungen zu. Die Studie war unautorisiert veröffentlicht worden. Peter Philipp über Inhalt und Hintergrund der Studie

Eine umstrittene Studie der Europäischen Union sieht den Antisemitismus in Deutschland auf dem Vormarsch. Auch nehme die Gewalt radikaler Islamisten gegen jüdische Einrichtungen zu. Die Studie war unautorisiert veröffentlicht worden. Peter Philipp über den Hintergrund und Inhalt der Studie

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Brandanschlag auf eine Synagoge in Marseille, 1. April 2002

​​Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA verstärkten die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ihre Bemühungen, anti-muslimische Strömungen in Europa zu unterbinden. Bald stellten sie aber fest, dass auch anti-jüdische Vorfälle sich zu häufen begannen. Das "Europäische Zentrum zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit" (EUMC) in Wien gab eine Untersuchung über den Antisemitismus in Europa in Auftrag, die im Februar dieses Jahres fertig war. Von der Studie hatte man aber erst im November erfahren, weil die EUMC sie nämlich nicht veröffentlichen wollte.

Die Untersuchung hebe zu sehr die Rolle junger Muslime bei den verzeichneten anti-jüdischen Ausschreitungen hervor, hieß es zunächst aus Wien. Dann schob man nach, der Untersuchungszeitraum - Mitte Mai bis Mitte Juni letzten Jahres - sei schlecht gewählt gewesen und man werde nächstes Jahr eine neue Studie veröffentlichen. Inzwischen ist die zurückgehaltene Untersuchung unautorisiert im Internet veröffentlicht worden. Und man kann sich ein Bild davon machen, was die Forscher des Berliner "Zentrums für Antisemitismusforschung", Werner Bergmann und Juliane Wetzel, da zusammengetragen hatten.

Fließende Grenzen

Beide konstatierten einen starken Anstieg anti-jüdischer Vorfälle in zahlreichen europäischen Ländern. Sie wiesen gleichzeitig darauf hin, dass diese von Land zu Land sehr verschieden seien und auch die Daten aus den einzelnen Ländern unterschiedlich leicht zu erhalten gewesen waren. Auch gebe es keine eindeutige Abgrenzung zwischen anti-jüdischen Vorfällen, die einen klar antisemitischen Hintergrund haben von solchen, die aus der Krise im Nahen Osten resultierten. So sei gerade in Frankreich der Anteil von Gewalttaten junger Muslime gegen Juden und jüdische Einrichtungen sehr hoch, obwohl sie doch bisher meist selbst Angriffen ausgesetzt waren. Ziemlich sicher übertrügen die Täter nun ihre Ablehnung Israels auf die Juden in ihrer Umgebung.

Werner Bergmann erklärt das Phänomen so: " Es war immer problematisch davon auszugehen, dass vor allem muslimische Jugendliche z.B. in Frankreich und einigen anderen Ländern an diesen antisemitischen Übergriffen im Frühjahr 2002 beteiligt waren, wie man das sozusagen möglichst schonend formuliert, um jetzt nicht gegen diese ja selbst diskriminierte Gruppe nun irgendwie weitere Islamophobie zu schüren. Das habe ich auch verstanden, dass man das natürlich nicht tun will!"

Furcht vor unangenehmen Wahrheiten

Ganz offensichtlich fürchteten die Auftraggeber der Studie, dass ein zu deutlicher Hinweis auf solche Täter ein zu krasser Verstoß gegen die "political correctness" wäre. Sie erreichten mit ihrem Verschluss der Studie aber eher das Gegenteil: Es wurde spekuliert, dass noch ganz andere, unangenehmere Dinge enthalten seien, die die EU nun lieber nicht veröffentlichen wollte, nachdem sie ohnehin wachsender Kritik Israels ausgesetzt war. Die Kritik an der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern entspringe dem Antisemitismus.

Genau das aber stellt die Studie nicht fest. Sie schließt zwar antisemitische Gedanken bei manchen Israel-Kritikern nicht aus, aber sie zeigt doch auch, dass der Bogen sehr weit zu spannen ist: Von "klassischem" Antisemitismus der Rechten bis hin zu anti-jüdisch/anti-israelischer Kritik der Linken und der Globalisierungsgegner, die hierbei auch noch die USA einbezögen bis hin zu den anti-israelischen Muslimen, die ihre Wut an Juden ausließen.

Der Nahostkonflikt als Faktor für anti-jüdische Gewalt

Deutschland kommt in der Studie relativ gut weg, weil man hier sehr aufmerksam und wachsam geworden sei. Ausführlich wird aber auch hier auf die Affären Möllemann und Karsli hingewiesen, die letztes Jahr für Schlagzeilen sorgten. In den europäischen Nachbarstaaten sieht die Lage ganz anders aus, meint Werner Bergmann: " Wenn man jetzt etwa den Aspekt anti-jüdischer Gewalt von Seiten islamistischer Organisationen sieht, so haben wir das sehr stark in Frankreich erlebt, auch in den Niederlanden, Belgien und partiell in England. In Ländern wie Irland, Finnland, aber auch Griechenland spielt das dagegen kaum eine Rolle."

Auch glaubt Bergmann, dass dieses Phänomen auf die Gewalteskalation im Nahen Osten mit dem Beginn der 2. Intifada zurückzuführen ist. "Der Konflikt, der dort in den Medien jeden Tag präsent war, hat sicherlich dazu geführt, dass dieses Thema hier in Europa auf die Tagesordnung kam."

Die Verfasser hatten sich bisher mit Äußerungen zurückgehalten hinsichtlich des Umgangs mit ihrer Studie. Und auch jetzt, nachdem das über 100 Seiten lange Dokument im Internet nachzulesen ist, hält Bergmann sich noch immer zurück: "Ich bin ein bisschen unglücklich darüber, dass dieser Bericht jetzt plötzlich so herausgekommen ist, immer unter diesem Titel: 'muslimischer Antisemitismus in Europa'. So hat man den Eindruck, der ganze Bericht ginge eigentlich nur um dieses Thema. Dieser Eindruck täuscht!"

Peter Philipp

© Deutsche Welle/DW-World.DE 2003

Die umstrittene und bisher unter Verschluss gehaltene Studie finden Sie auf der Homepage des Grünen-Politikers Daniel Cohn-Bendit