Differenzierte Wahrnehmung

Ob Diskussionen um umstrittene Propheten-Karikaturen in einer rechtspopulistischen dänischen Zeitung oder der Einbürgerungstest für Muslime – das Thema Muslime in Europa sorgt nicht nur in westlichen Medien für Schlagzeilen. Von Götz Nordbruch

Ob Diskussionen um umstrittene Propheten-Karikaturen in einer rechtspopulistischen dänischen Zeitung, Einbürgerungstests für Muslime oder Ausländerfeindlichkeit in Deutschland – das Thema Muslime in Europa sorgt nicht nur in westlichen Medien, sondern auch in der islamischen Welt für Schlagzeilen. Von Götz Nordbruch

Kuwaiter beim Zeitung lesen; Foto: AP
"Dieser Westen ist nicht mehr – wie sie im Westen behaupten - das Land der Menschenrechte und der Demokratie", berichtet die Website der ägyptischen Muslimbruderschaft Ikhwan Online

​​"Boykottiert dänische Produkte!" Mit dieser Aufforderung in arabischen Internet-Foren fing es an. Mittlerweile hat sich die Diskussion um die Muhammad-Karikaturen in der dänischen Zeitung Jyllands-Posten zu einer handfesten internationalen Krise ausgeweitet. Die Warnung vor einer zunehmenden Feindseligkeit gegenüber Muslimen und Arabern ist dabei nicht auf die Situation in Dänemark beschränkt. Sie bezieht sich auch auf andere Länder der Europäischen Union.

In einer halbstündigen Reportage widmete sich der TV-Sender Al-Jazeera kürzlich dem Problem des Neonazismus in Deutschland. Auf einem Soldatenfriedhof in der Nähe des hessischen Bensheim ließ sich Al-Jazeera-Korrespondent Husam Shahadat von Matthias Adrian, einem Aussteiger aus der Nazi-Szene, über deren Rituale und politische Ziele berichten.

Angesichts der Erfolge rechtsextremer Parteien und der drohenden Kontrollen muslimischer Vereine und Moscheen, die in einigen Ländern diskutiert werden, sehen sich Viele in der Befürchtung bestärkt, die Situation werde sich in den nächsten Jahren weiter verschlimmern.

Politisches Kapital für die Islamisten

Gerade für Islamisten ist dies Anlass, eine vermeintliche Widersprüchlichkeit der europäischen Haltung herauszustellen. Auf der Website der ägyptischen Muslimbruderschaft Ikhwan Online heißt es:

"Die jüngsten Nachrichten aus Europa verkünden für unsere Glaubensbrüder im Westen nichts Gutes. Dieser Westen ist nicht mehr – wie sie im Westen behaupten - das Land der Menschenrechte und der Demokratie. Nach einem unerwarteten Ereignis, wie den Explosionen von London, wurde das Erbe eines jahrzehntelangen Kampfes der Menschheit ausgelöscht, in dem es um die Verwirklichung der Menschenrechte und die Stabilisierung der Demokratie auf dem alten Kontinent ging."

In ähnlicher Weise wurde auch auf die Einführung des Fragenbogens reagiert, der seit Jahresbeginn in Baden-Württemberg für eine Beurteilung von Einbürgerungsanträgen von Muslimen dient. Bei vielen Autoren löste die Maßnahme blankes Entsetzen aus.

Der "Loyalitätstest ist der aktuellste Ausdruck für die Demütigung und Ausgrenzung der Muslime in Europa", schrieb Fahmi Huwaidi in der Tageszeitung al-Sharq al-Awsat. "Und zugleich ist er ein Warnsignal, dass das neue Jahr für die europäischen Muslime nichts Gutes bringen wird."

Selbstkritische Einschätzungen

Dennoch wird gerade auch angesichts der Boykott-Aufrufe gegen dänische Produkte deutliche Kritik an der muslimischen Seite geäußert. "Die Muslime scheinen zu vergessen, dass, nur weil es ihnen verboten ist, den Propheten in irgendeiner Form darzustellen, dieses Verbot noch lange nicht für alle anderen gilt", schrieb die ägyptische Kommentatorin Mona El-Tahawy mit Blick auf die umstrittenen Karikaturen.

"Was eigentlich eine lokale Angelegenheit hätte bleiben sollen, entwickelte sich zu einem diplomatischen Sturm, wie ihn Muslime in ihrem Kampf für ihre Rechte nur selten auslösen. Vielleicht hatten die islamischen Regierungen, die die Kampagne anführen – an ihrer Spitze Ägypten – den Eindruck, dies sei ein einfacher Weg um sich gerade jetzt, wo die Islamisten seit Jahren wieder ihre Stärke zeigen, als besonders islamisch zu präsentieren."

Ähnlich wie El-Tahawy äußerten sich zahlreiche Kommentatoren verärgert über die Proteste, die von den Ursachen dieser Wahrnehmungen des Islam ablenken würden. Zu diesen Ursachen gehöre schließlich auch das Verhalten der Muslime selbst.

Auffallend sind in diesem Zusammenhang die regen Diskussionen, die sich in jüngster Zeit auf islamischen Internet-Foren entwickelt haben. Immer häufiger finden sich hier Beiträge, in denen es um Fragen des muslimischen Alltages in nicht-muslimischen Gesellschaften geht.

Das Internet-Portal Islam Online nahm während des Ramadan und der Weihnachtszeit mögliche Konflikte zum Anlass, um über einen islamisch korrekten Umgang zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen zu diskutieren.

Im Live-Chat zum Thema "Wie gehe ich mit meinem nicht-muslimischen Nachbarn um?" konnte man sich mit ganz alltäglichen Problemen an einen islamischen Gelehrten wenden. Deutlich wurde dabei vor allem, dass sich hinter den Fragen aus dem Alltag oft grundsätzlichere Probleme verbergen.

"Ist es erlaubt, 'Frohe Weihnachten' zu wünschen", fragte Faisal Hasan aus Österreich. "Viele salafistische Brüder behaupten, dies würde bedeuten, dass man Jesus - Frieden sei mit ihm - für Gott halte. Ist der Ausspruch denn so schlimm? Ich dachte immer, es sei ein freundliches Wort."

In der Vergangenheit waren es vor allem islamische Gelehrte in Ägypten oder Saudi-Arabien, die über das richtige Verhalten der Muslime in Europa urteilten. Dass dieser Zustand untragbar ist, wird zunehmend auch auf islamischer Seite gesehen.

Gesellschaftliche Kluft überwinden

Schließlich sei dem Informationsbedarf der Muslime nicht mit einer schlichten Übersetzung islamischer Schriften aus dem Arabischen geholfen, heißt es auf Islam Online. "Es bedarf einer Förderung von Programmen, die auf eine Verbesserung der Kompetenzen der Muslime abzielen, die im Westen geboren sind, die dessen Sprachen sprechen und die mit dessen Art zu Denken umgehen können. Dies ist notwendig, um die Kluft zu überwinden, die sich vor der heranwachsenden Generation der Muslime zu vergrößern droht."

Trotz aller Kritik an den Muhammad-Karikaturen wird damit mittlerweile auch auf Websites wie Islam Online darauf hingewiesen, dass auf muslimischer Seite ein Umdenken stattzufinden habe. In einem aktuellen Beitrag über Muslime in Europa heißt es ausdrücklich:

"Wenn die Menschen sich in Europa nicht zu Hause fühlen und nichts dafür tun wollen, dass sich die Situation hier in Europa ändert, dann ist die Sache einfach: Geht zurück, wo ihr herkommt, oder dorthin, wo Ihr Euch zu Hause fühlt. Für diejenigen unter uns, die in Europa bleiben wollen, gilt: Wir müssen uns ändern. Wir müssen uns integrieren und, was noch wichtiger ist, wir müssen den Europäern zeigen, dass der Islam genauso europäisch wie das Christentum ist. Wir müssen ihnen zeigen, dass die Muslime genauso europäisch sind wie die ursprünglichen Europäer."

Das Dossier "Europäische Muslime – Wege zur Anerkennung", in dem solche Stimmen enthalten sind, findet sich dabei allerdings nur im englischsprachigen Angebot der Seite. Einem arabischen Publikum bleiben solche Positionen hier vorenthalten.

Götz Nordbruch

© Qantara.de 2006

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