Nicht Flüchtling, sondern Neuankömmling

"Abwab", was soviel heißt wie Türen, ist die erste und bislang einzige arabischsprachige Zeitung für Flüchtlinge in Deutschland. Sie will informieren und eine Diskussionsplattform für integrationspolitische Themen sein. Ceyda Nurtsch hat ihren Herausgeber Ramy al-Asheq getroffen.

Von Ceyda Nurtsch

Um Ramy al-Asheq zu beschreiben, reicht ein Attribut nicht aus. Der junge Mann mit wildem Lockenkopf ist Palästinenser aus Syrien, staatenlos, Flüchtling, Aktivist, Poet, Journalist, Visionär, meinungsstark und zurzeit ein "Einmannbetrieb". Er ist Chefredakteur der ersten und bislang einzigen arabischsprachigen Zeitung, die sich an Flüchtlinge richtet, oder "Neuankömmlinge", wie Al-Asheq bevorzugt: "Wir mögen den Ausdruck Flüchtlinge nicht, er trennt Menschen, die flüchten mussten, von den anderen. Außerdem sind diese sogenannten Flüchtlinge nach sechs, sieben Jahren keine Flüchtlinge mehr, sondern neue Deutsche. Darauf sollten wir uns konzentrieren."

Was im Dezember 2015 mit einer Auflage von etwa 45.000 Exemplaren und 16 ehrenamtlichen Autoren begann, wächst seitdem stetig. Heute schreiben 45 Ehrenamtliche für "Abwab", sie stammen aus Deutschland, dem Jemen, Irak, Eritrea, Syrien, Palästina und dem Libanon.

"Abwab" wird mittlerweile in einer Auflage von 70.000 Exemplaren gedruckt, liegt in über 500 Flüchtlingsheimen und Sprachschulen in ganz Deutschland aus und hat eine Internetpräsenz. Ramy al-Asheq koordiniert, organisiert und layoutet in Eigenregie und Heimarbeit. Gesponsert wird die Zeitung von Moneygram und Ortel, die in der arabischsprachigen Community einen neuen Markt sehen, erzählt Alasheq. Das deckt die Druck- und Verteilungskosten ab. Herausgeber ist die New German Media Group mit Sitz in Frankfurt und England.

Vielseitige Informationen rund um Deutschland

24 Seiten umfasst die monatlich erscheinende Zeitung, zwei davon sind auf Deutsch. Innerhalb von "Abwab" öffnen sich viele weitere Türen in verschiedene Welten. So informiert die "Offene Tür" Neuankömmlinge über Deutschland, die Gesetze, das System, das Essen. "Ihre Tür" widmet sich Themen rund um Frauen und Feminismus. Die "östliche Tür" berichtet über die arabisch sprachige Community und Veranstaltungen. Außerdem gibt es Seiten über Erfolgs- und Heldengeschichten sowie Karikaturen.

Erste Seite der Flüchtlingszeitung "Abwab"; Quelle: "Abwab"/Ramy Al-Asheq
"Offene Türen" für Flüchtlinge: Neben Meldungen aus den Heimatländern setzt Blattmacher Al-Asheq wichtige Themen aus Deutschland. Hinzu kommen praktische Fragen - zum Beispiel, wie die Registrierung in Deutschland läuft. Die kostenlose Monatszeitung begann nach Angaben der Vermarkter Ende 2015 mit einer Auflage von 45.000 Exemplaren. Sie wird über Werbung finanziert.

Die Idee zu "Abwab" wurde geboren, als Al-Asheq bei seiner eigenen Ankunft in Deutschland sah, dass es in der deutschen Medienlandschaft keine arabischsprachigen Medien gab. "Meine Idee war es, eine Brücke zwischen den Communities zu schaffen und alle Stereotypen niederzureißen. Denn diese gibt es auf beiden Seiten."

Zielgruppe sind nicht nur die Neuankömmlinge, sondern auch arabische Emigranten, die schon lange in Deutschland leben. Zum einen soll "Abwab" ihnen eine mediale Stimme in der Öffentlichkeit verleihen. "Jede politische Gruppe hat ihre eigenen Medien, die durch Gelder finanziert werden. Die Idee, ein freies und demokratisches Forum von Schriftstellern aufzubauen, finde ich sehr reizvoll", meint Al-Asheq.

Zum anderen ist die Intention des Blattmachers, "Abwab" zu einer häufig genutzten Diskussionsplattform für alle zu machen – auch für Nicht-Araber. Ihnen soll damit eine Tür zur arabischen Community geöffnet werden. Daher will Al-Asheq immer mehr Artikel auch in anderen Sprachen publizieren. Seine langfristige Vision ist, "Abwab" innerhalb der deutschen Medienlandschaft zu etablieren und schließlich auch in ganz Europa bekannt zu machen. Eine Webseite mit Videos und Diskussionsforen soll künftig möglich machen.

"Offene Türen" als mediales Selbstverständnis

"Wer durch eine Tür geht, sollte sie anderen offenhalten. So verstehe ich meine Verantwortung", erklärt er seine Motivation für das ehrgeizige Medienprojekt. Sein persönlicher Türöffner war eine deutsch-italienische Gastfamilie, bei der er eine Zeit lang untergekommen war, erzählt Al-Asheq. Auch er ist Flüchtling, und das eigentlich schon sein ganzes Leben lang. Geboren 1989, ist er in Yarmouk, im Süden von Damaskus, aufgewachsen. Yarmouk ist das Zuhause von rund 18.000 Palästinensern, ein Stadtviertel, das insbesondere nach dem Einfall der IS Truppen von den UN als ein Ort beschrieben wurde, der "jenseits von human" beschrieben wurde.

Al-Asheq hatte sich dort schließlich der syrischen Revolution gegen das Assad-Regime angeschlossen, lebte im Untergrund, floh nach Jordanien, wurde gesucht und inhaftiert. Nach mehreren Versuchen gelang ihm die Flucht, drei Jahre lebte er illegal mit falschen Papieren in Amman und veröffentlichte in dieser Zeit sein erstes Buch, seine "Gedichte über die Revolution". Auch verfasste Al-Asheq Lieder, gewann einen Literaturpreis in Palästina und erhielt schließlich für seine Dichtung ein Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung. Seit November 2014 lebt er in Deutschland, lernt die Sprache, dichtet weiter und möchte sich in die deutsche Gesellschaft einbringen.

"Normalerweise wird über Flüchtlinge geredet, nicht mit uns. Das ist jetzt unsere Chance. Jetzt können wir unseren Beitrag in der Kunst, im Journalismus, der Politik und Wirtschaft leisten. Wir sind neu, aber wir können Teil dieser Gesellschaft werden", sagt er.

"Abwab"-Ausgaben; Foto: Al-Asheq/WDR
Brücke zwischen den Communities: Zielgruppe sind nicht nur die Neuankömmlinge, sondern auch arabische Emigranten, die schon lange in Deutschland leben. Zum einen soll „Abwab“ ihnen eine mediale Stimme in der Öffentlichkeit verleihen. Zum anderen ist die Intention des Blattmachers, „Abwab“ zu einer häufig genutzten Diskussionsplattform für alle zu machen – auch für Nicht-Araber in Deutschland.

Dass Freiheit gelernt werden muss, erfährt er jeden Tag am eigenen Leib. "Wir alle kommen aus Ländern, die von Diktaturen beherrscht sind. Noch heute renne ich vor der Polizei weg. Es ist nicht leicht, mit einem Mal in Freiheit sagen zu können, was man möchte. Die Angst sitzt uns noch immer in den Knochen."

Integration ist keine Einbahnstraße

Doch von dieser Freiheit will er bedingungslos Gebrauch machen. Dafür wird er häufig kritisiert, auch aus seinen eigenen Reihen. Etwa wenn er sich in die Diskussion einbringt und das neue Integrationsgesetz kritisiert. So lieferte er sich einen schriftlichen Schlagabtausch mit WDR-Redakteurin Isabel Shayani. Diese derzeitige "Einbahnstraßenintegration", wie er es nennt, wird Flüchtlingen die Tür nicht öffnen.

Integration, davon ist er überzeugt, kann nur funktionieren, wenn sie in beide Richtungen geht. In seiner Kritik adressiert er konkret die Bundesregierung, aber auch NGOs und die Flüchtlinge selbst. So würden einige NGOs versuchen zu lehren, wie man sich in "der Zivilisation" zu verhalten habe. "Dass in Broschüren in Flüchtlingsheimen erklärt wird, wie man Toiletten benutzt, finde ich beschämend", ärgert er sich. Den Schlüssel sieht er im Lernen über "den Anderen", der gemeinsamen Diskussion und dem gegenseitigen Respekt.

Die viel gepriesene "Willkommenskultur", die in großem Maße von Ehrenamtlichen getragen wird, freut Ramy, doch betrachtet er sie auch durchaus mit Skepsis. Damit hieraus eine Kultur entsteht, muss sie sich erst noch bewähren. Auch sei es mit einfachen "Danke Deutschland"-Gesten der Flüchtlinge nicht getan. "Diese Dankbarkeit versiegt schnell in der Sackgasse, wenn wir uns nicht wirklich in die Gesellschaft einbringen", meint Al-Asheq.

Ceyda Nurtsch

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