Blutiger Kriegsalltag

Die Internet-Plattform Wikileaks hat knapp 400.000 Dokumente über Folter, Misshandlungen und Willkür im Irak-Krieg veröffentlicht. Sie dokumentieren Verfehlungen der US-Armee, aber auch die düsteren Machenschaften der schiitischen Todesschwadronen und amerikanischen Sicherheitsfirmen. Aus Bagdad berichtet Birgit Svensson.

Irakischer Soldat nach einem Anschlag vor der iranischen Botschaft in Bagdad; Foto: AP
Sprengstoffanschläge gehören im Irak nach wie vor zum Alltag.

​​ "Natürlich ist das gut, dass die veröffentlicht wurden, soviel Transparenz hatten wir noch nie im Irak!" Bashar Al-Mandalawy ist begeistert. Die knapp 400.000 Protokolle, die die Internet-Plattform Wikileaks über den Irak veröffentlicht hat, sind für ihn vor allem der Beweis für die Glaubwürdigkeit der Journalisten vor Ort.

"Wir haben über all das, was jetzt auf dem Tisch liegt, schon berichtet, haben recherchiert, die Dinge beim Namen genannt, sind dafür angefeindet, ja sogar umgebracht worden." Der Sprecher der irakischen NGO zur "Überwachung der Pressefreiheit" kennt viele Fälle, in denen Kollegen, die unbequeme Wahrheiten aufdeckten, bedroht, unter Druck gesetzt, außer Landes getrieben oder erschossen wurden.

Gut 300 Journalisten mussten in den letzten sieben Jahren seit dem Einmarsch britischer und amerikanischer Truppen ihr Leben lassen. Bashar schätzt, dass nur knapp die Hälfte Opfer von Bombenanschlägen wurden. Die anderen wurden umgebracht, weil "wieder mal einem nicht passte, was der Journalist schrieb".

Folter, Misshandlungen, Willkür

Doch nun liegen die Wahrheiten über Folter, Misshandlungen und Willkür seitens der amerikanischen und der irakischen Sicherheitskräfte schwarz auf weiß vor.

Sie sind in Armee-Protokollen, Videos und handschriftlichen Aufzeichnungen amerikanischer Militärangehöriger dokumentiert. Die Brisanz des Themas hat damit eine andere Qualität gewonnen.

Privater Sicherheitsdienst auf Patrouille in Bagdad; Foto: AP
Die Wikileaks-Protokolle enthüllen auch die Machenschaften der privaten amerikanischen Sicherheitsfirmen im Irak.

​​ Neben Verfehlungen der irakischen und amerikanischen Polizei und Armee werden auch die düsteren Machenschaften der unzähligen privaten Sicherheitsfirmen dokumentiert, den sogenannten "Contractors", die im Auftrag des Pentagon und des Washingtoner Außenministeriums Teile des Krieges für die Amerikaner erledigten – Söldner mit der Lizenz zum Töten, die man ungestört gewähren ließ.

Passend dazu kommt die Nachricht, dass nun auch das letzte Verfahren gegen Mitarbeiter der berüchtigten Firma Blackwater, die jetzt Xe Service heißt, eingestellt wurde. Die Firma steht seit einem Zwischenfall im September 2007 in der Kritik. Damals hatten Blackwater-Mitarbeiter im Westen Bagdads nahezu unprovoziert in die Menge geschossen, während dort ein Konvoi mit US-Diplomaten vorbeifuhr. Sie erschossen 17 Zivilisten. Auch dieser Fall findet sich mit vielen anderen in den Unterlagen wieder.

Schiitische Todesschwadronen

Für die meisten Iraker bringt die Veröffentlichung der Wikileaks-Protokolle jedoch keine neuen Erkenntnisse. Das, was dort steht oder gezeigt wird, war ihr Alltag, vor allem in den schlimmen Terrorjahren 2006 und 2007, aus denen die meisten der Dokumente stammen. Doch zum ersten Mal können sie sagen, "siehst du, so war es".

Abdelqadr hat sich schon einige Seiten heruntergeladen, die die Situation an den Checkpoints betreffen. Er hofft herauszufinden, wer ihn damals festhielt, mit dem Messer bedrohte, ihn schließlich ausraubte und ohne Geld, Handy und Winterjacke wieder laufen ließ.

Schiitische Milizen im Irak; Foto: dpa
Schiitische Milizionäre konnten lange Zeit nahezu unbehelligt Anschläge verüben.

​​ Zur Zeit der blutigen Auseinandersetzung zwischen Schiiten und Sunniten in Bagdad trieben vor allem Todesschwadronen ihr Unwesen überall in der Stadt. Illegale Kontrollposten kontrollierten die Identität der Vorbeifahrenden. Hatte man einen "falschen" Namen, riskierte man kurzerhand erschossen zu werden.

Nicht wenige Bagdader legten sich deshalb gleich zwei Ausweise zu, einen mit einem schiitischen und einen mit einem sunnitischen Namen. Abdelqadr hatte nicht genug Geld, um sich einen zweiten Ausweis leisten zu können. Die Angst, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, sitzt auch heute bei verbesserter Sicherheitslage noch tief drinnen. Der 48-Jährige Sunnit meidet noch immer schiitische Wohnviertel.

Verantwortung von Nuri al-Maliki

Der irakische Premierminister al-Maliki; Foto: dpa
Nuri al-Maliki steht in der Kritik, den schiitischen Todesschwadronen freie Hand gelassen zu haben.

​​ Die Frage der Todesschwadronen beschäftigt derzeit auch die irakische Regierung. Der noch amtierende Premierminister Nuri al-Maliki muss sich vorwerfen lassen, dass auch er nicht unschuldig sei an dem Blutbad zwischen Schiiten und Sunniten. Zwar brachen die Auseinandersetzungen, was manche gar einen Bürgerkrieg nannten, zur Amtszeit seines Vorgängers, Ibrahim al-Jaafari, aus. Doch fällt die blutigste Zeit in die Regentschaft Malikis.

Der Eindruck vieler Bagdader, Maliki habe zwar keine aktive Rolle in dem Konflikt gespielt, die schiitischen Todesschwadronen aber gewähren lassen, verfestigt sich durch die Wikileaks-Protokolle. Schließlich setzten diese mit brutaler Gewalt den Regimewechsel zugunsten der Schiiten durch, machten die "Drecksarbeit", während der Regierungschef die Macht politisch zementierte.

In der Folge übernahmen Schiiten nahezu alle führenden Positionen im Land. Die Posten wurden oft genug aus religiöser Überzeugung und nicht nach Qualifikation vergeben. Radikal wurden die Saddam-treuen Vorgänger aus ihren Ämtern gedrängt. Auch heute ist dieser Prozess noch im Gange, wenn auch unblutiger als noch vor drei Jahren.

Schwierige Regierungsbildung

Julian Assange mit Guardian-Titel; Foto: AP
Bereits zum Afghanistan-Krieg ließ Wikileaks-Gründer Julian Assange rund 76.000 geheime Dokumente der US-Armee und der Marines veröffentlichen lassen.

​​ Entsprechend hart fiel die Kritik aus dem Büro des irakischen Premiers an den Veröffentlichungen aus. Ein Sprecher Malikis warf Wikileaks-Gründer Julian Assange vor, er wolle in die Regierungsbildung eingreifen. Seit mehr als sieben Monaten nach den Parlamentswahlen am 7. März wird versucht, eine regierungsfähige Koalition zustande zu bringen. Maliki behauptet, er wäre einer Lösung nahe gewesen, die ihn im Amt hält.

Jetzt will sein Rivale Ijad Allawi, der mit zwei Sitzen Vorsprung die Wahlen knapp gewann, jedoch bis jetzt nicht ausreichend Koalitionspartner fand, eine gerichtliche Untersuchung der Verwicklungen Malikis in die Todesschwadronen erwirken.

Ob diese tatsächlich zustande kommt, ist indes äußerst fraglich. Die Gerichtsbarkeit im Irak steht im Ruf, nicht unabhängig, sondern regierungstreu zu sein. Das Todesurteil gegen Saddams ehemaligen Außenminister und zeitweiligen Stellvertreter, Tarik Aziz, ist hierfür der neuerliche Beweis.

Birgit Svensson

© Qantara.de 2010

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

Qantara.de

Wikileaks-Enthüllungen
Die schmutzige Wahrheit des Krieges
Die Veröffentlichung der über 90.000 geheimen Dokumente des US-Militärs durch die Internet-Plattform Wikileaks hat weltweit Debatten über den Afghanistan-Krieg entfacht. Dabei enthüllen die Dokumente kaum neue Fakten, aber sie verändern unsere Wahrnehmung von modernen Kriegen. Ein Kommentar von Britta Petersen

Interview mit dem irakischen Vizepräsidenten Adil Abdul Mahdi
"Wir brauchen mehr Respekt vor der Verfassung"
Adil Abdul Mahdi ist ein Schwergewicht der irakischen Politik in der Post-Saddam-Ära. Schon im ersten, von US-Administrator Paul Bremer eingesetzten Regierungsrat war der Schiit Stellvertreter des mächtigen Schiitenführers Abdul Aziz al-Hakim. Im Qantara-Interview mit Birgit Svensson äußert sich der irakische Vizepräsident über die Verschlechterung der Sicherheitslage und die stagnierende Regierungsbildung.

Siebter Jahrestag des Sturzes von Saddam Hussein
Der Irak und die Büchse der Pandora
Es waren Bilder, die um die Welt gingen: Der Sturz der übergroßen Saddam-Statue in Bagdad am 9. April 2003 läutete eine neue politische Ära im Zweistromland ein. Doch der Euphorie über die neu gewonnene Freiheit folgte bald Ernüchterung. Nagih Al-Obaidi informiert.

Politische Gewalt im Irak
Strategiewandel für eine neue Sicherheitsarchitektur
Angesichts der zunehmenden Gewalt und der anhaltenden Instabilität im Irak ist es an der Zeit, dass der Westen nach einer umfassenden regionalen Lösung des Konflikts suchen sollte, meint Chris Luenen vom Global Policy Institute in London.