Müzeyyen liebt Weihnachten

Vorbilder hatten die Dreessens keine, als sie ihre christlich-muslimische Familie gründeten. Dafür aber reichlich Widerstand von Verwandten. Daheim flogen die Fetzen weniger beim Thema Glauben, als vielmehr in der Kindererziehung. Heute geht es in Gladbeck entspannter zu. Von Hedwig Gafga

Vorbilder hatten die Dreessens keine, als sie ihre christlich-muslimische Familie gründeten. Dafür aber reichlich Widerstand von Verwandten. Daheim flogen die Fetzen weniger beim Thema Glauben, als vielmehr in der Kindererziehung. Heute geht es in Gladbeck entspannter zu. Von Hedwig Gafga

Thomas Dreesen und seine Frau Müzeyyen; Foto: Iris Wolf
Intensives religiöses Familienleben: Thomas Dreesen und seine Frau Müzeyyen

​​ Die Prognosen für diese Ehe standen schlecht. Als ein Vertrauter, stellvertretend für Thomas Dreessen, beim türkischen Vater förmlich um die Hand der Tochter anhielt, wurde der Vater bleich und die Tochter verließ durch einen Hinterausgang fluchtartig den Raum. Für einige Wochen tauchte sie bei einer Freundin unter.

Um jeden Preis wollte die Familie verhindern, dass ihre Tochter mit einem christlichen Deutschen die Ehe einginge. Ein Imam, dem das Paar von ihrer Heiratsabsicht erzählte, warnte: "Eure Kinder kommen in die Hölle." Auch viele deutsche wie türkische Bekannte betrachteten die Beziehung skeptisch.

Für jede Mauer gibt es eine Tür

"Mögen Sie türkischen Tee?", erkundigt sich Thomas Dreessen, 56, ein Theologe mit rundlichem Gesicht, grauschwarzem Bart und freundlichen braunen Augen hinter einer Hornbrille. Seine Frau Müzeyyen, 48, gießt Tee in kleine Gläser. Ihr kurzes schwarzes Haar hat einen dunkelroten Schimmer. Über T-Shirt und grauer Hose trägt sie eine Schürze.

Auf einem Foto hinter ihr stecken die drei Kinder des Paares die Köpfe zusammen, direkt gegenüber hängt noch ein Familienbild: Eltern und Kinder, eng beieinander stehend. Seit der dramatischen Brautwerbung sind mehr als 25 Jahre vergangen. Die beiden älteren Kinder sind bereits in der Ausbildung, die jüngste Tochter Yasmin lebt noch zu Hause.

Müzeyyen Dreessen will den Worten, die der Imam vor vielen Jahren aussprach, die Schärfe nehmen. Mit der "Hölle" habe er den Zwiespalt gemeint, in den Kinder von Eltern verschiedener Religionen geraten könnten.

Auch ihr Mann nimmt den Imam in Schutz: "Seine Warnung ist berechtigt. Manche Paare konkurrieren miteinander um die richtige Religion. Oder sie verzichten ganz auf Religion. Für uns gilt das nicht." Er schaut hinüber zu seiner Frau, die am Herd steht. Außerdem, sagt sie, habe der Imam noch etwas hinzugefügt. "Für jede Mauer, die der Prophet gesetzt hat, gibt es eine Tür." Soll heißen: Einen Ausweg gibt es doch.

Deutsch-türkische Beziehungen

In ihrer Wohnung in einem dreistöckigen Haus in Gladbeck mischen sich östlicher und westlicher Lebensstil. Die Schuhe bleiben draußen im Hausflur, drinnen stehen für Besucher Filzpantoffeln in jeder Größe bereit.

Eine arabische Miniatur und eine christliche Ikone; Foto: Iris Wolf
Arabische Miniatur und christliche Ikone: In der Gladbecker Wohnung der Dreesens mischen sich östlicher und westlicher Lebensstil.

​​ Im Wohnzimmer fällt der Blick zuerst auf eine Reproduktion des Abendmahlbildes von Leonardo da Vinci, die über einem ovalen Esstisch hängt, andere, kleinere Bilder zeigen Motive der religiösen Mystik, auf einem Bild des persischen Malers Rashid al-Din reiten Jesus und Mohammed einträchtig nebeneinander her.

"Lasst die Dolmas nicht kalt werden", Müzeyyen schiebt einen Teller mit gefüllten Paprika und Joghurt herüber und gießt Tee nach. Reden, kochen, Gäste bewirten, sie bewerkstelligt das gleichzeitig. Die Tochter einer türkischen Einwandererfamilie wuchs früh in die traditionelle Frauenrolle hinein, lernte kochen und bei Tisch bedienen.

Mit der Mutter und den zwei Brüdern war sie als Achtjährige aus ihrem Heimatdorf am Schwarzen Meer dem Vater nach Duisburg gefolgt. Bald übersetzte sie bei Behörden und Arztbesuchen für die Mutter und für türkische Bekannte. Das Haus aber verließ sie noch als erwachsene Frau zumeist in Begleitung.

Als sie ihren Mann bei ihrer Arbeit in der evangelischen Gemeinde kennenlernte, wo sie mit Müttern und Kindern aus Einwandererfamilien arbeitete, waren Ehen zwischen Deutschen und türkischen Einwanderern noch rar.

Die Dreessens hatten keine Vorbilder, wie eine christlich-muslimische Familie aussehen könnte, und Kirchen wie Moscheen standen einer solchen Ehe skeptisch bis ablehnend gegenüber. Insbesondere die Heirat einer muslimischen Frau mit einem andersgläubigen Mann war und ist in traditionellen muslimischen Kreisen verpönt, weil nach alter Väter Sitte der Mann die Religionszugehörigkeit der Familie bestimmt.

Hohe Hürden

Ehe auf Probe im Jahr 1984? "Nicht in einer islamischen Familie. Das wäre für meine Eltern noch schlimmer gewesen als die Ehe mit einem Deutschen", meint Müzeyyen. Also beschlossen der Theologe und die gelernte Kauffrau, kaum hatten sie sich ineinander verliebt, zu heiraten.

Als die Tochter nach dem Heiratsantrag einmal ihre Familie besuchte, wurde die Tür verschlossen. Die Familie beschwor sie: "Geh nie wieder zu dem Mann zurück. Du wirst in einem halben Jahr auf der Straße landen. Deutsche Männer wechseln ihre Frauen wie ihre Hemden."

Sie blieb bei ihrem Entschluss. Das Paar schaltete Vermittler ein. Damals gab es in Duisburg schon ein christlich-muslimisches Netzwerk, zu dem angesehene Fürsprecher aus beiden Religionen gehörten. Sie erklärten den in ihren Grundfesten erschütterten Eltern, eine Ehe zwischen einem Christen und einer Muslimin sei keine Schande. Ihnen gelang es, den Eltern die Zustimmung zur Hochzeit abzuringen.

Geschichten aus Bibel und Koran

Mit mehr als 500 Gästen feierten sie ein Fest, zu dem auch die meisten türkischen Verwandten kamen. Nur der kirchlichen Feier blieben diese fern. Der evangelische Gottesdienst aber war der Braut wichtig, weil sie "die Ehe vor Gott schließen wollte" und es eine muslimische Segnung für Christ und Muslimin noch nicht gab.

"Wir gingen zusammen in die Kirche", erzählt sie aus der Anfangszeit der Ehe. Umgekehrt empfand auch ihr Mann die Moschee als "einen wunderbaren Ort, an dem ich die Demut vor Gott spüre".

Kerzenleuchter in der Wohnung der Dreesens; Foto: Iris Wolf
Bewusst gelebte Religiösität: Die Dreesens erfanden ein abendliches Familienritual, erzählen seitdem eine Geschichte aus Bibel oder Koran, und beten gemeinsam das "Vaterunser".

​​ Er mochte die Atmosphäre des Raumes und ging allein deshalb gelegentlich dorthin, wenn auch nur als Zuschauer. Nach der Geburt des Sohnes war die enge Beziehung zwischen Tochter und Eltern wiederhergestellt. "Das Eis schmolz, als meine Eltern merkten, dass ich mit unserem Sohn Türkisch sprach", berichtet die Ehefrau.

Zu Hause gestalteten die Eltern ein intensives religiöses Familienleben. Sie erfanden ein abendliches Familienritual, erzählten eine Geschichte aus Bibel oder Koran oder ein Märchen, und beteten gemeinsam das Vaterunser. "Wenn du nicht da warst, hab ich die 'Fatiha' gebetet, die erste Sure des Koran, und das Vaterunser", sagt Müzeyyen.

Wegen der Heirat mit ihr hatte er seinen ursprünglichen Berufswunsch Pfarrer aufgegeben: "Liebe vor Karriere". Damals konnte ein Pfarrer noch nicht mit einer andersgläubigen Frau verheiratet sein. Er arbeitete im "Haus der offenen Tür" in Duisburg-Nord und als Sozialsekretär der westfälischen Landeskirche, später wurde er Referent für evangelische Jugendarbeit.

In der Zeit, als die Kinder aufwuchsen, engagierte sich Müzeyyen Dreessen ehrenamtlich in der muslimischen Gemeinde vor Ort, sie gründete Frauengruppen und repräsentierte die Gemeinde nach außen, eine Frau ohne Kopftuch, dazu mit einem Christen verheiratet. Das passte nicht allen Mitgliedern der türkischen Ditib-Gemeinde, aber sie blieb zehn Jahre lang dabei.

Festliche Weihnachtsfeiern

Ein Thema lässt die Sätze zwischen den Eheleuten wieder hin- und herfliegen: die Religionen, genauer die großen Feste. Leicht hört es sich an, als könnten sie so noch bis in alle Ewigkeit miteinander reden.

"Weihnachten", meint die Ehefrau, "das hätte ich für mein Leben erfinden müssen, wenn ich es hier nicht kennengelernt hätte. Ich liebe diese Zeit, die Kerzen, das Zusammensein, den Fisch, den mein Mann Heiligabend zubereitet."

Sogleich fängt Thomas Dreessen an, vom islamischen Opferfest zu reden, das an die Geschichte von der geplanten Opferung Isaaks und seiner Errettung erinnert, die Koran und Bibel überliefern. Durch die Religion seiner Frau sei die Geschichte für ihn zentral geworden. Sie habe ihn gelehrt, "dass man seine Kinder nicht opfern soll, auch nicht den eigenen Interessen".

Die individuellen Wege der Mystiker

"Mama, wärst du traurig, wenn ich Christin würde?", hat die ältere Tochter sie kürzlich gefragt, bevor sie sich taufen ließ. "Nein", habe sie geantwortet, "dein Vater ist doch auch getauft, und ich liebe ihn." Die anderen Kinder, der Sohn und die jüngste Tochter, haben sich noch nicht für eine Religion entschieden.

Yasmin sagt: "Ich bin weder da noch da ganz zu Hause. Ich bin in keine Schachtel zu packen." Den Eltern ist nicht bange, dass ihr Kind sich vielleicht keiner Religion anschließt. Sie halten es mit den Mystikern, die auf individuelle religiöse Wege vertrauen.

Es ist schon spät, als Thomas Dreessen anmerkt: "Sie haben nicht nach der Beerdigung gefragt." Der christliche Ehemann und die muslimische Frau haben sich darüber bereits Gedanken gemacht. Bislang trennt eine Hecke die muslimischen Grabfelder von den anderen. Damit werden sich die Dreessens nicht zufriedengeben. Sie werden etwas Neues erfinden, etwas Gemeinsames. Zu gegebener Zeit.

Hedwig Gafga

© Chrismon 2010

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

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