Ein Zeitfenster für die Wiedervereinigung

Noch vor kurzem hatte die türkisch-zypriotische Führung eine eigene diplomatische Vertretung in Israel eröffnet; inzwischen haben aber türkische und griechische Zyprer den politischen Willen für eine Wiedervereinigung der Insel erkennen lassen. Susanne Güsten berichtet aus Istanbul.

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Zyperns Präsident Dimitris Christofias, links, und der politische Führer der türkischen Zyprern Mehmet Ali Talat, rechts. Die neuen Friedensgespräche auf der Insel könnten auch türkische EU-Hoffnungen stärken.

​​Als Demetris Christofias und Mehmet Ali Talat nach ihrem Treffen im Niemandsland der geteilten Insel Zypern vor die Kameras traten, um über ihre Entscheidung zur Einleitung neuer Friedensverhandlungen zu berichten, da begann eine neue Ära im östlichen Mittelmeer. Zum ersten Mal seit der Teilung Zyperns 1974 werden der griechische und der türkische Sektor zur selben Zeit von Politikern geführt, denen an einer Wiedervereinigung der Insel auf der Grundlage der politischen Gleichberechtigung der beider Volksgruppen gelegen ist.

Diese historische Chance kommt so schnell nicht wieder, sind sich Experten auf beiden Seiten der Demarkationslinie einig. Die EU als gemeinsamer Bezugspunkt beider Inselteile kann einen großen Beitrag dazu leisten, dass diese Chance nicht vertan wird.

"Es gibt keinen Mr. No mehr" – auf diese Formel bringt der Istanbuler Politikwissenschaftler Cengiz Aktar die neue Lage auf Zypern. Über Jahrzehnte wurde die Rolle des "Mr. No" von Rauf Denktasch gespielt, dem langjährigen Volksgruppenführer der türkischen Zyprer.

Politischer Eiertanz

Denktasch strebte eine "Zwei-Staaten-Lösung" – also eine endgültige Teilung – der Insel an, weil er der Meinung war, dass Türken und Griechen nach den brutalen Auseinandersetzungen der sechziger und siebziger Jahre nie mehr in einem gemeinsamen Staat leben könnten. Mit der Ausrufung der "Türkischen Republik Nordzypern" 1983 wollte Denktasch diesen Prozess befördern, doch sein "Staat" im Nordteil der Insel wird bis heute nur von der Türkei anerkannt.

Mauer in der Haupstadt Zyperns Nikosia; Foto: dpa
Vierunddreißig Jahre Teilung: Die Mauer trennt den türkischen von dem griechischen Teil Nikosias.

​​Denktasch musste vor drei Jahren dem Reformer und EU-Anhänger Talat weichen, worauf die Rolle des "Mr. No" von einem Politiker auf der griechischen Seite der Grünen Linie übernommen wurde: dem griechisch-zyprischen Präsidenten Tassos Papadopoulos. Er brachte es fertig, im Jahr 2004 zunächst in der Schweiz an der Ausarbeitung eines UN-Friedensplan mitzuwirken, um wenige Wochen später seinen Landsleuten zu empfehlen, eben jenen Plan bei einer Volksabstimmung abzulehnen.

Die griechischen Zyprer folgten ihrem Präsidenten – die Wiedervereinigung scheiterte ein weiteres Mal. Papadopoulos musste sich seitdem auch in der EU den Vorwurf gefallen lassen, die internationalen Vermittler "hereingelegt" zu haben, wie es der frühere EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen formulierte.

Ein kleines, bedeutsames Zeitfenster

Im Februar diesen Jahres wurde Papadopoulos bei der Präsidentenwahl im griechischen Sektor von dem Kommunisten Christofias abgelöst. Christofias, der wie sein Gegenüber Talat aus dem nordzyprischen Kyrenia – türkisch: Girne – stammt, erklärte die Bemühungen um eine rasche Wiedervereinigung mit dem türkischen Teil zur obersten Priorität. Die Griechen befürchten, dass die Teilung endgültig werden könnte, wenn nicht bald gehandelt wird.

Christofias will sich zusammen mit Talat darum bemühen, das in den vergangenen Jahrzehnten gewachsene Misstrauen zwischen den beiden Inselteilen abzubauen. Seit griechische Extremisten im Sommer 1974 in Nikosia gegen die Regierung des damals vereinten Staates Zypern putschten, um den Anschluss der Insel an Griechenland durchzusetzen, und die Türkei daraufhin ihre Truppen auf den vorwiegend türkisch besiedelten Nordteil Zyperns schickten, hat es keine bessere Ausgangsposition für Friedensbemühungen gegeben.

Mit der geplanten Wiedereröffnung der Ledra-Straße im Zentrum der geteilten Hauptstadt Nikosia, einer seit den Kämpfen der frühen sechziger Jahre gesperrten Einkaufsmeile, wollen Christofias und Talat ihren Einigungswillen unterstreichen. Im Juni wollen Türken und Griechen neue Verhandlungen über die Wiedervereinigung aufnehmen. Doch auch angesichts des guten Willens auf beiden Seiten dürfte es aber schwierig werden, die Vorstellungen von Griechen und Türken unter einen Hut zu bekommen.

Türkische Zyprerinnen bei einer Friedensdemonstration; Foto: AP
"Wir wollen Frieden", so steht es in Griechisch und Türkisch auf den Bannern . Dieser Wunsch scheint heute erfüllbarer denn je.

​​Während die Griechen verhindern wollen, dass die Türkei als Schutzmacht der türkischen Zyprer im neuen Staat gewissermaßen mitregiert, werden die türkischen Zyprer als Minderheit auf der Insel – 200.000 Türken stehen 900.000 Griechen gegenüber – versuchen, wasserdichte Garantien zur Sicherung ihrer Autonomie im neuen Zypern durchzusetzen.

Kurzfristig geht es den türkischen Zyprern vor allem um internationale Anerkennung. Die jüngsten Besuche von Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder und der Grünen-Chefin Claudia Roth im türkischen Teil Nikosias wurden von türkischer Seite ebenso als diplomatische Erfolge gefeiert wie die geplante Eröffnung einer türkisch-zyprischen Vertretung in Israel.

Ankara kommt nur über Zypern nach Europa

Solche symbolhafte Demonstrationen einer eigenen türkisch-zyprischen Identität gehören aber eher zur Vergangenheit als zur Zukunft, wenn man den Ankündigungen von Christofias und Talat glauben kann.

Eine gemeinsame Zukunft beider Inselteile in der EU – das sei trotz der Erinnerung an die schmerzliche Vergangenheit jetzt das Ziel beider Volksgruppen, sagt der Politologe Joseph Joseph (sic) von der University of Cyprus im griechischen Teil Nikosias. Die Rolle der EU wird in den anstehenden Verhandlungen deshalb sehr wichtig sein, zumal auch für die Türkei der eigene Weg zur angestrebten Mitgliedschaft über Nikosia führt.

Für Ankara sei der Zypern-Konflikt zu einem "Mühlstein" geworden, den man liebend gerne los werde, sagt der türkische Kolumnist Semih Idiz. Deshalb ist auch die Türkei an Fortschritten in den geplanten neuen Verhandlungen interessiert. Denn sollte sich auf der Insel in den kommenden Monaten etwas bewegen, könnte Ankara seine Weigerung aufgeben, türkische Häfen für griechisch-zyprische Schiffe zu öffnen.

Dies wiederum würde die Freigabe von acht gesperrten Verhandlungskapiteln in den türkischen EU-Beitrittsgesprächen ermöglichen. "Sollte die Sackgasse auf Zypern überwunden werden, würde sich eine der besten Ausreden für die Türkei-Gegner in der EU in Luft auflösen", sagt der Istanbuler Politologe Aktar.

Susanne Güsten

© Qantara.de 2008

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