Ernüchternde Bilanz

Ein Jahr nach seinem Wahlsieg kann Irans Präsident Rohani zwar mit dem Durchbruch bei den Atomgesprächen einen Erfolg verbuchen, den ihm kaum jemand zugetraut hätte. Zugleich aber bleibt die Wirtschaftslage des Landes schwierig. Auch an der misslichen Lage der Menschenrechte hat sich kaum etwas geändert. Von Ulrich von Schwerin

Von Ulrich von Schwerin

Als vor einem Jahr der gemäßigte Geistliche Hassan Rohani die Präsidentenwahl bereits in der ersten Runde für sich entschied, hofften viele im Iran wie auch im Westen auf eine Neuausrichtung der Politik. Sein Vorgänger Mahmud Ahmadinedschad hatte das Land mit seiner radikalen Rhetorik, seinen exzentrischen Ansichten zum Islam und seiner erratischen Wirtschaftspolitik innerlich gespalten und international isoliert. Vor diesem Hintergrund gelang es Rohani mit dem Versprechen einer Politik der Mäßigung, Reformer und Moderate hinter sich zu vereinen und auf Anhieb 51 Prozent der Stimmen zu gewinnen.

Ein Jahr nach seinem Sieg hat Rohani zwar einerseits mehr erreicht, als selbst Optimisten zu hoffen gewagt hätten, andererseits aber auch manche Hoffnung seiner Wähler enttäuscht. Positiv zu vermerken ist zunächst, dass es Rohani tatsächlich gelungen ist, mit Duldung des Revolutionsführers Ayatollah Ali Khamenei nach Jahren des Misstrauens eine Annäherung an den Westen zu erreichen, die im vergangenen September während seines Besuchs bei der UN-Vollversammlung in einem historischen Telefongespräch mit US-Präsident Barack Obama gipfelte.

Neue Dynamik in den Atomverhandlungen

Damit nicht genug, schaffte es Rohani, den festgefahrenen Atomverhandlungen neuen Schwung zu geben. Nach nur drei Gesprächsrunden gelang es seinem eloquenten Außenminister Mohammad Dschavad Zarif, mit der Gruppe der fünf UN-Vetomächte und Deutschland Ende November in Genf ein Interimsabkommen auszuhandeln, mit dem für zunächst sechs Monate im Gegenzug für die Zulassung verschärfter Kontrollen und die Einfrierung der Urananreicherung die in dem Konflikt verhängten Finanz- und Wirtschaftssanktionen gelockert wurden.

US-Präsident Barack Obama telefoniert am 27.03.2014 aus dem Weißen Haus in Washington mit Hassan Rohani; Foto: Reuters
Zaghafte Annäherung und historischer Schritt: US-Präsident Barack Obama telefonierte am 27. September mit Irans Präsident Rohani, nachdem dieser vor der UN-Vollversammlung versichert hatte, dass vom Iran "keine Bedrohung" ausgehe. Laut Obama war dies der erste direkte Kontakt zwischen beiden Ländern seit der Islamischen Revolution von 1979.

Auch wenn die letzte Verhandlungsrunde im Mai keine Fortschritte brachte, zeigen sich alle Beteiligten – trotz teils harter Kritik aus den eigenen Reihen – weiter entschlossen, wie geplant bis Ende Juli ein langfristiges Abkommen auszuhandeln. So betonte Rohani vor kurzem, der Iran werde "sein Bestes tun, um eine endgültige Einigung zu erreichen". Um die Differenzen zu überwinden, wurde zugleich eine Reihe bilateraler Gespräche organisiert. Besonders das Treffen zwischen Vertretern Teherans und Washingtons am 9. und 10. Juni in Genf hatte historische Qualität.

Keine grundlegenden Reformen

Während Rohani also in der Außenpolitik wichtige Erfolge zu verzeichnen hat, ist seine Bilanz im Innern weniger glänzend. Im Wahlkampf hatte er sich mit der Übernahme von Forderungen wie der Stärkung der Pressefreiheit und der Frauenrechte die Unterstützung des Reformlagers um den früheren Präsidenten Mohammad Khatami ebenso wie von dessen einflussreichen Vorgänger Ali Akbar Hashemi Rafsandschani gesichert, nachdem dieser selbst nicht zur Wahl zugelassen worden war. Doch einmal im Amt machte Rohani rasch klar, dass grundlegende Reformen nicht auf seiner Agenda stehen.

Gewiss, in der Medien-, Kultur- und Bildungspolitik hat sich mit der Abberufung konservativer Hardliner manches verbessert gegenüber der Amtszeit Ahmadinedschads, als das engstirnige Kulturverständnis der Bassidschi-Milizen zum gesellschaftlichen Leitbild erhoben worden war. Auch hat sich Rohani wiederholt gegen das Verbot von Zeitungen, die strenge Durchsetzung der Kleiderordnung sowie überhaupt gegen die Intervention des Staates in Moral- und Glaubensfragen ausgesprochen. Doch oft hat er es bei bloßen Appellen und eher symbolischen Schritten belassen.

Aufrufe seiner Wähler, den Reformer Mohammad Reza Aref mit einem Kabinettsposten dafür zu belohnen, dass er sich kurz vor der Wahl zu seinen Gunsten aus dem Rennen zurückgezogen hatte, ignorierte Rohani ebenso wie Appelle, sich für die beiden inhaftierten Anführer der "Grünen Bewegung" von 2009, Mir Hossein Mussavi und Mehdi Karrubi, einzusetzen. Auch sonst scheute der Präsident, sich hinsichtlich der Bürgerrechte mit den konservativen Hardlinern im Justiz- und Sicherheitsapparat anzulegen.

Anhängerinnen Ahmadinedschads in Teheran demonstrieren für eine strengere Einghaltung des Schleierzwangs; Foto: Tabnak
Für eine Restauration der Ära Ahmadinedschad: Anfang Mai 2014 hatten sich Hunderte Anhänger von Mahmud Ahmadinedschad vor dem iranischen Innenministerium in Teheran versammelt. Diese Gegner des gemäßigten Präsidenten Hassan Rohani verlangten nach einer restriktiveren Kulturpolitik und strengerer Sittenregelung für Frauen.

Entsprechend hat sich in punkto Meinungsfreiheit und Menschenrechte nur wenig geändert: Seit Rohanis Amtsantritt wurden wiederholt Zeitungen wegen missliebiger Artikel geschlossen, kritische Journalisten werden weiter unter Druck gesetzt, die Zensur im Internet hält unvermindert an. Im April warf zudem die gewaltsame Niederschlagung von Protesten im berüchtigten Trakt 350 des Teheraner Evin-Gefängnisses ein Schlaglicht auf die unverändert schwierige Situation der dort inhaftierten politischen Gefangenen.

Hinzukommt eine seit Jahren beispiellose Welle von Hinrichtungen: Im vergangenen Jahr wurden UN-Angaben zufolge im Iran mindestens 500 Menschen hingerichtet, vielfach nach Prozessen, die nicht internationalen Maßstäben entsprachen. In vielen Fällen wurden die Todesurteile mit Drogendelikten begründet, doch ist dies oft nur vorgeschoben. Zudem werden auch immer wieder politische Gefangene exekutiert, zuletzt Anfang Juni ein Mann wegen angeblicher Verbindungen zu den Volksmudschahedin.

Bescheidene Wirtschaftserfolge

Nun würden viele Iraner die anhaltende Missachtung ihrer Bürgerrechte gewiss eher hinnehmen, wenn es Erleichterungen im Alltag gäbe. Doch hier sind Rohanis Erfolge bisher bescheiden: Zwar hat er mit dem Interimsabkommen die Freigabe eines Teils der eingefrorenen Öleinnahmen erreicht, auch wurde etwa der Verkauf von Flugzeugteilen wieder erlaubt. Der drastische Verfall der Währung wurde seit Rohanis Amtsantritt gestoppt und die Inflationsrate leicht gesenkt, doch bleibt sie mit rund 35 Prozent weiterhin hoch und das Vertrauen in den Rial gering.

Zudem bleiben das vor zwei Jahren verhängte Ölembargo und die einschneidenden Finanz- und Handelsbeschränkungen unvermindert in Kraft. Selbst im Fall einer endgültigen Einigung im Atomstreit wird es Jahre dauern, bis sie vollends aufgehoben sind. Dies weiß auch Rohani, weshalb er versucht, die Staatsausgaben zu senken, in dem er die Subventionen für Strom, Kraftstoff und Grundnahrungsmittel zurückfährt. In der Folge klagen aber selbst viele Angehörige der Mittelschicht, dass sie sich selbst Standardprodukte wie Hühnchen nicht mehr leisten können.

Noch können die Iraner hoffen, dass es Rohani gelingt, dem Land mit dem Abschluss eines dauerhaften Atomabkommens den Weg zurück in die internationalen Handels- und Finanzsysteme zu ebnen und damit der Wirtschaft neuen Schwung zu verleihen. Die Hoffnung, dass der Präsident die Gesellschaft vom Würgegriff des Justiz- und Sicherheitsapparats befreit und sich für mehr Meinungsfreiheit, Bürgerbeteiligung und den Schutz der Menschenrechte einsetzt, hat sich dagegen wohl – wieder einmal – als Illusion erwiesen.

Ulrich von Schwerin

© Qantara.de 2014

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de