Reise ins Ungewisse

Vor einem Jahr haben sich vier muslimische Verbände zu einem Koordinierungsrat zusammengeschlossen, um als fester Ansprechpartner für die Politik zu fungieren. Doch was hat sich seit der Gründung des Rates bisher wirklich getan? Antworten von Zoran Arbutina

Vor einem Jahr haben sich vier muslimische Verbände zu einem Koordinierungsrat zusammengeschlossen, um als fester Ansprechpartner für die Politik in Deutschland zu fungieren. Doch was hat sich seit der Gründung des Rates bisher wirklich getan? Antworten von Zoran Arbutina

Islamkonferenz in Berlin; Foto: AP
Steht der Koordinierungsrat stellvertretend für alle Muslime in Deutschland? - Islamkonferenz in Berlin.

​​Mit großem Öffentlichkeitsinteresse wurde vor rund einem Jahr der Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland (KRM) gegründet. Der KRM ist ein Spitzenverband von vier Islamischen Organisationen in Deutschland. Dazu gehören der Zentralrat der Muslime, der Islamrat, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) und der Verband der Islamischen Kulturzentren (VKIZ).

Lange Zeit konnten sich deutsche Politiker bequem im Sessel zurücklehnen und mit Unschuldsmiene beteuern: 'Wir würden zwar gerne mit den Muslimen reden, bloß mit wem?' Da die verschiedenen muslimischen Organisationen untereinander zerstritten waren, hatte der Staat keinen repräsentativen Gesprächspartner.

Notwendigkeit eines einheitlichen Dialogpartners

Um ernst genommen zu werden, mussten die islamischen Verbände über ihren eigenen Schatten springen und sich zu einer Einheit zusammenschließen. So ging die Initiative zur Gründung des KRM letztlich vom deutschen Staat aus, bestätigt Bekir Alboga, Dialogbeauftragter von DITIB und bis vor kurzem noch der Sprecher des Koordinierungsrates.

Bekir Alboga; Foto: dpa
"Der Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland wird den interreligiösen Dialog weiter fördern" - Bekir Alboga, ehemaliger KRM-Sprecher.

​​"Man hat uns jahrelang gesagt, bilden Sie eine Einheit, und kommen Sie als ein einheitlicher Ansprechpartner", so Alboga. "Man kann erst dann mit Ihnen darüber sprechen wie man zum Beispiel den islamischen Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen einführen könnte."

So kam es zur Gründung des Koordinierungsrates. Und angesichts der bestehenden Differenzen wird schon diese Tatsache als Erfolg gewertet, meint auch Ali Kizilkaya, Vorsitzender des Islamrates und für die kommenden sechs Monate Sprecher des Koordinierungsrates:

"Es ist erst mal sehr wichtig und ein historisches Ereignis, dass so ein Zusammenschluss zustande gekommen ist. Das alleine ist schon ein großer Erfolg", so Kizilkaya.

Islamischer Religionsunterricht im Fokus

Andererseits habe man im vergangenen Jahr die Möglichkeit gehabt, sich näher kennen zu lernen um gemeinsame Positionen zu bestimmen und sich auszutauschen, wie zum Beispiel beim Thema Religionsunterricht.

Lehrerin für islamischen Religionsunterricht in Stuttgart; Foto: AP
Islamunterricht an deutschen Schulen als zentrales Anliegen des KRM

​​Der islamische Religionsunterricht an öffentlichen deutschen Schulen ist derzeit das Hauptanliegen des Koordinierungsrates. Politisch ist das unumstritten, allerdings müssen zuerst entsprechende Landesverbände gegründet werden, die als anerkannte Religionsgemeinschaften den Unterricht mit den Landesregierungen regeln können, denn für die Bildung sind die einzelnen deutschen Bundesländer verantwortlich.

Im Jahre "eins" ist das Vorhaben, einen einheitlichen islamischen Religionsunterricht zu schaffen, jedoch noch nicht ausgereift. Ihr Ziel hat der Koordinierungsrat jedoch noch nicht aus den Augen verloren. In den kommenden Monaten werde man eine Satzung verabschieden, so dass Koordinationsräte auch auf Länderebene gegründet werden könnten. Dann werde die Öffentlichkeit auch deutlich mehr von der Arbeit des Rates erfahren, meint Alboga.

Neue Qualität durch Koordinierungsrat

Durch die Gründung des Koordinierungsrates hat das politische und das gesellschaftliche Wirken der Muslime in Deutschland eine neue Qualität bekommen. Sie sprechen nicht mehr mit unzähligen Einzelstimmen, sondern versuchen durch Presseerklärungen oder öffentlichen Stellungnahmen des Rates eine einheitliche Position zu formulieren. Wichtig ist dabei, dass alle Organisationen gleichberechtigt sind, Entscheidungen werden durch Konsensus getroffen.

Ein erklärtes Ziel der Muslime in Deutschland ist es von der deutschen Politik als ernstzunehmender Partner akzeptiert zu werden. Auch das soll durch den Koordinierungsrat erfolgen, damit ein Dialog auf gleicher Augenhöhe, erfolgreich sein kann.

Doch leider ist dieser Zustand noch nicht erreicht – mit Ausnahme der Islamkonferenz, meint Ali Kizilkaya: "Das ist sehr bedauerlich. Wir wollen als mündige Bürger und als Teil dieser Gesellschaft anerkannt werden. Wenn das geschieht, wird das die Integration der Muslime in Deutschland nachhaltig beschleunigen, denn zu Integration gehören Vertrauen und Anerkennung."

Vertretung aller Muslime?

Seit seiner Gründung wird der Koordinierungsrat jedoch auch deshalb kritisiert, weil nur ein Fünftel der Muslime in Deutschland durch ihn vertreten seien. Auch sind einige Politiker und Experten der Auffassung, dass einige Organisationen antidemokratische Tendenzen zeigten.

Diese Kritik sei jedoch unberechtigt, beteuert Kizilkaya, der als früherer Generalsekretär der vom Verfassungsschutz beobachteten und als islamistisch eingestuften Gemeinschaft Mili Görüs besonders im Fokus der Kritik steht.

Auch er bekenne sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und lehne Gewalt ab. Kizilkaya betont, dass der Koordinierungsrat etwa 85 Prozent der Moscheegemeinden vertrete und damit die überwiegende Mehrheit der in Deutschland organisierten Muslime:

"Wer ein Anliegen hat, der organisiert sich, und die Muslime, die ein Anliegen haben, ihre Religion zu praktizieren – und als Religionsgemeinschaft auch zu ihren Recht zu kommen – haben sich bereits organisiert", so Kizilkaya.

Der Staat könne sich seinen Ansprechpartner nicht nach seinen Wünschen formen. Es gebe zwar gesetzliche und verfassungsmäßige Rahmenbedingungen, die erfüllt sein müssten, es könne aber nicht angehen, dass sich die Politik nur ihre Wunschpartner suche. Dies sei mit dem Rechtsstaat nicht mehr vereinbar, meinte Kizilkaya.

Auch den muslimischen Vertretern im Koordinierungsrat ist bewusst, dass die deutsche Mehrheitsgesellschaft immer noch viele Ängste gegenüber dem Islam hege und dass viele Vorurteile noch abgebaut werden müssen.

Deswegen sei der Dialog sowohl mit den christlichen Kirchen, als auch mit dem säkularen Teil der Gesellschaft ein unverzichtbarer Bestandteil des Engagements des KRM, betont auch Bekir Alboga:

"Interkulturelle und interreligiöse Zusammenarbeit ist eine der tragenden Säulen unseres friedlichen Miteinanders. Und daher wird der Koordinationsrat der Muslime in Deutschland den interreligiösen Dialog weiter fördern."

Zoran Arbutina

© DEUTSCHE WELLE 2008

Qantara.de

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