''Ich glaubte an einen Gott voll der Rache''

Ed Husain, ehemaliges Mitglied der islamistischen Gruppierung Hizb at-Tahrir, hat als erster Islamist ein Enthüllungsbuch über die Funktionsweise einer islamistischen Gruppe aus der Innenperspektive heraus vorlegt. Susannah Tarbush hat es gelesen.

Dossier von Susannah Tarbush

​​In den zwei Jahren seit den Bombenanschlägen auf das Londoner U-Bahnnetz, bei denen 52 Menschen ums Leben kamen und 700 weitere verletzt wurden, sind zahlreiche Publikationen, Essays und Bücher über britische Muslime erschienen. Doch keines hat derart für Furore gesorgt wie Ed Husains Buch "The Islamist". Husain ist ein ehemaliges Mitglied und College-Führer der islamistischen Gruppierung Hizb at-Tahrir.

Die Gruppierung, die sich für die Wiedereinführung des Kalifatsstaats einsetzt, ist im gesamten Nahen Osten verboten, ebenso wie in einigen anderen Ländern, etwa in Deutschland oder in Dänemark. Im Jahr 2005 wollte auch der damalige britische Premierminister Tony Blair die Gruppe verbieten, ihm wurde jedoch davon abgeraten. Der Untertitel des Buches, das im Penguin-Verlag erschien, gibt deutlich Auskunft über den Inhalt: "Warum ich mich dem radikalen Islamismus in England anschloss, was ich dort sah und warum ich ausstieg".

Husain (sein Vorname Ed ist die Kurzform von Mohammed) ist der erste britische ehemalige Islamist, der ein Enthüllungsbuch über die Funktionsweise einer islamistischen Gruppe aus der Innenperspektive heraus vorlegt.

Terrorismus im Blick der Öffentlichkeit

Der Terroranschlag auf den Flughafen von Glasgow vom 29. Juni sowie die beiden vereitelten Autobombenanschläge in der Londoner City haben das Thema Islamismus in Großbritannien erneut in die Öffentlichkeit gerückt. Die Terrorwarnstufe wurde auf das höchste Level angehoben. Mehrere Gerichtsverhandlungen und Verurteilungen mutmaßlicher Terroristen und die Entlarvung zahlreicher angeblicher geplanter Anschläge zeigen die Ernsthaftigkeit der Bedrohung. Einige Muslime wie Husain sehen eine starke Verbindung zwischen islamistischer Ideologie und Terror, erkennen aber auch gleichzeitig Missstände in der Außenpolitik an, andere hingegen sehen allein in der britischen Außenpolitik die Schuld für die derzeitige Situation.

Unter den Nichtmuslimen ist Husains Buch vor allem von denjenigen beachtet und gelobt worden, die selbst bereits vor den Gefahren des Islamismus gewarnt haben. In der britischen muslimischen Gemeinschaft, die etwa zwei Millionen Menschen umfasst, begegnete man dem Buch mit eher gemischten bis ablehnenden Gefühlen. Man warf Husain vor, negative Vorurteile gegen Muslime zu bestärken, Islamophobikern in die Hände zu spielen, einen Keil zwischen die britische Linke und die muslimische Gemeinschaft zu treiben und für die Regierung zu arbeiten.

Husain erhielt Drohungen, auch Morddrohungen. Außerdem wird der Vorwurf erhoben, das Buch sei bereits überholt, da es sich nur mit dem britischen Islamismus in der ersten Hälfte der 1990er Jahre befasse und die Veränderung innerhalb der Hizb at-Tahrir nicht berücksichtige. Husain glaubt, dass sich die Gruppe inzwischen in mindestens zwei Splittergruppen geteilt hat – eine moderate und eine radikalere.

Er bezweifelt, dass Hizb at-Tahrir von ihren Ansichten zu einem allmächtigen islamischen Staat, der sich der militärischen Gewalt gegen die westliche Welt und Israel verschrieben hat, abgerückt ist.

Persönliche Odyssee

Husain ist ein intelligenter und sensibler Autor, der seine persönliche Odyssee in beeindruckender Art und Weise beschreibt. Geboren wurde er 1975 innerhalb der bangladescher Gemeinde von Tower Hamlets, East London.

​​Als Teenager entfernte er sich allmählich von der spirituellen Gläubigkeit seiner Eltern und engagierte sich in politischen islamischen Gruppen, was zum Konflikt mit den Eltern führte und Husain sogar dazu brachte, für kurze Zeit sein Elternhaus zu verlassen. Der Einfluss verschiedener Autoren auf junge Muslime bereitet Husain Sorge. Während seiner eigenen Oberschulzeit an einer staatlichen Schule gab man ihm im Religionsunterricht Gulam Sarwars Buch "Islam: Beliefs and Teaching" zu lesen.

Dies war seine erste Berührung mit dem politischen Islam und Organisationen wie der Muslim Bruderschaft oder der Jamat-el-Islam. Auf seinem Weg hin zum radikalen Islamismus wurde er geprägt von den Schriften dreier längst verstorbener Autoren: dem Pakistaner Abul Ala Mawdudi, dem Ägypter Sayyid Qutb – dessen Buch zum Dschihad gegen islamische Staatsmänner aufruft – und dem in Haifa geborenen Taquiddin al-Nabhani, dem Gründer von Hizb at-Tahrir.

Während seiner Zeit an der Universität, in der er eine islamische Gesellschaft anführte, hätten "britische Werte wie Demokratie, Toleranz, Respekt, Kompromiss und Pluralismus" keine Bedeutung für ihn gehabt.

"Ihr Gott war nahbar"

Husain wandte Hizb at-Tahrir den Rücken zu, nachdem ein Muslim einen schwarzen christlichen Studenten erstochen hatte. Husain hatte das Gefühl, Hizb at-Tahrir habe eine Atmosphäre geschaffen, die derartige Verbrechen ermöglichte. Außerdem verliebte er sich in eine muslimische Kommilitonin, die seine Frau wurde. "Ihr Gott war nahbar, liebend, besorgt, gnädig und voll Vergebung. Ich hingegen glaubte an einen Gott voll der Rache, einen kontrollsüchtigen Herrscher, einen Bestrafer." Zur gleichen Zeit wurde der charismatische syrische Prediger Omar Bakri Mohammed, dem Husain sehr nah gestanden hatte, von Hizb at-Tahrir ausgeschlossen und gründete die Gruppe al-Muhadschirun.

Omar Bakri war eine treibende Kraft unter denjenigen, die junge britische Muslime radikalisierten, wofür man ihn im Jahr 2005 aus Großbritannien auswies. Vom Libanon predigt er jetzt via Internet zu seinen Anhängern in England. Entscheidend für Husains Abwendung vom radikalen Islamismus waren seine Erfahrungen, die er machte, als er gemeinsam mit seiner Frau als Englischlehrer für die britische Regierung arbeitete, zunächst in Syrien (wo er mit dem spirituellen Islam in Berührung kam) und dann in Saudi-Arabien (wo er bestürzt war über den Wahhabismus).

Trotz der vielen unterschiedlichen Meinungen zu Husains Buch ist es gut, dass dieses Buch erschienen ist und eine solche Debatte auslöste. Das Buch hat Hizb at-Tahiri in die Bedrängnis gebracht, klarzustellen, wofür die Gruppe steht. Und es hat ein neues Licht auf den Islamismus im Allgemeinen geworfen, denn immer mehr Muslime beteiligen sich nun an öffentlichen Diskussionen in den Medien.

Susannah Tarbush

© Qantara.de 2013

Aus dem Englischen von Rasha Khayat