Zünglein an der Waage

Jahrelang galten Syriens Drusen als treue Bündnispartner Assads. Doch ihr Ruf nach ausreichendem Schutz vor extremistischen Gruppen blieb in Damaskus ungehört. Wegen ihrer zunehmenden Distanz zum Baath-Regime drohen sie nun zwischen die Fronten zu geraten. Von Firas Maksad

Von Firas Maksad

Trotz des seit drei Jahren tobenden Bürgerkriegs in Syrien gelang es Präsident Baschar al-Assad bislang, sich die Loyalität der meisten religiösen Minderheiten Syriens zu sichern. Insbesondere bei den Christen, Alawiten und Schiiten genießt der Diktator weiterhin Rückhalt. Es scheint, dass diese Minderheiten, die fast ein Viertel der syrischen Bevölkerung ausmachen, das Assad-Regime einer ungewissen politischen Zukunft des Landes vorziehen, denn sie fürchten, dass extremistische Kräfte siegreich aus dem Bürgerkrieg in Syrien hervorgehen könnten. Einzig die Gemeinschaft der Drusen geht allmählich auf Distanz zum Baath-Regime in Damaskus.

Die Mehrheit der Drusen lebt in der südlichen Provinz As-Suwayda nahe der syrisch-jordanischen Grenze. Ihre wachsende Opposition gegen das Assad-Regime und ihre große Feindschaft gegenüber den radikalen Gruppierungen verleiht dieser einflussreichen Bevölkerungsgruppe eine Sonderstellung in der syrischen Gesellschaft. So sind die syrischen Drusen heute in der Lage, die internationale Allianz gegen den Islamischen Staat (IS) und Al-Qaida zu unterstützen und damit die Kräfteverhältnisse im Syrienkonflikt zu ändern.

Seit dem Ausbruch der syrischen Revolution lag die Schwierigkeit darin, die politische Loyalität der Drusen klar zu verorten, insbesondere weil sie dazu tendieren, ihre politischen Überzeugungen nicht offen zu bekunden. Und genau wie die Mehrheit der Syrer, die in den vom Assad-Regime kontrollierten Gebieten wohnen, fürchten sich die Drusen ebenfalls davor, ihre Opposition gegen die Herrschaft Assads preis zu geben. Dennoch wandten sich kürzlich einige Führer der drusischen Gemeinde an arabische Medienvertreter und machten ihre ablehnende Haltung des Assad-Regimes publik. Das ist insofern bemerkenswert, als drusische Geistlichen sich bis dato offiziell lobend über den syrischen Präsidenten geäußert hatten.

Schleichende Entfremdung

Was die Drusen am meisten verärgert, ist die Weigerung Assads, ihnen die notwendigen Waffen zur Verteidigung ihrer Städte gegen die brutalen Übergriffe der Al-Qaida-loyalen Al-Nusra-Front zu liefern. Seit dem Ausbruch des Volksaufstands gegen das Regime im Jahre 2011 hat die syrische Regierung allein den Assad-treuen Kräften im Land, unter ihnen auch den regimetreuen drusischen Milizen, Waffen zur Verfügung gestellt.

Konfliktparteien im syrischen Bürgerkrieg; Foto: DW
Überlagerter Konflikt: Genau wie andere konfessionelle und ethnische Minderheiten in Syrien geraten auch die Drusen zunehmend ins Visier der rivalisierenden Konfliktakteure im syrischen Bürgerkrieg.

Doch weil die Intensität der Angriffe zunahm, erhob eine beträchtliche Zahl der Drusen, die eine Bewaffnung für sich forderte, den Vorwurf, dass die regimetreuen Milizen die Drusen nicht in dem Maße beschützen, wie es ihnen ursprünglich zugesagt worden sei. Während eines Begräbnisses drusischer Kämpfer am 17. August 2014 hielt ein drusischer Geistlicher eine aufrüttelnde Rede, in welcher er von Damaskus die Lieferung schwerer Waffen forderte. Außerdem drohte er offen damit, diese sich woanders zu besorgen, falls Assad dieser Forderung nicht nachkäme. Durch diesen ungewohnt kämpferischen Appell trat die beginnende Entfremdung zwischen der drusischen Geistlichkeit und dem syrischen Regime deutlich zu Tage.

Ein weiteres Indiz für diesen offensichtlichen Bruch mit Damaskus ist die Forderung der Drusen, den Leiter der Sicherheitsabteilung ihrer Provinz, Wafiq Nasser, abzusetzen. Die Drusen machen ihn für die Verhaftung eines bekannten Geistlichen verantwortlich, der sich geweigert hatte, an den obligatorischen Feierlichkeiten zur Wiederwahl von Präsident Assad teilzunehmen. Nach dessen Verhaftung tauchten Videos im Internet auf, in denen Bewaffnete die drusische Flagge hissten, Schüsse in die Luft abfeuerten und lautstark die Entlassung Nassers forderten. Diese wütenden Proteste weckten Reminiszenzen an die Anfangsphase der syrischen Revolution.

Drusenführer Walid Dschumblat zu Besuch bei Syriens Präsident Baschar al-Assad in Damaskus; Foto: dpa/picture-alliance
Auf Distanz zum Assad-Regime: Der libanesische Drusenführer Walid Dschumblat hatte einerseits mehrfach Assad zum Rücktritt aufgefordert, andererseits paktiert er mit einem der wichtigsten Bündnispartner des Regimes in Damaskus, der libanesischen Hisbollah.

Um ihre Solidarität zu bekunden, erklärten zudem einige Angehörige der regimetreuen drusischen Milizen ihre Verbundenheit mit dem Geistlichen. Nichtsdestotrotz weigerte sich das Assad-Regime weiterhin Nasser abzusetzen, was das Verhältnis zu den Drusen zusätzlich belastete.

Assad braucht die Drusen

Wie groß diese Entfremdung zwischen dem Baath-Regime und den Drusen inzwischen geworden ist, zeigte sich während des Begräbnisses der getöteten drusischen Soldaten im August 2014, an dem Tausende Drusen in der Stadt As-Suwayda teilnahmen. Bemerkenswert war, dass nur wenige syrische Fahnen, aber viele Symbole der Drusen zu sehen waren.

Diese Ereignisse versetzten das Assad-Regime derart in Unruhe, sodass es am 2. September 2014 zwei ihm ergebene drusische Persönlichkeiten damit beauftragte, folgende Botschaft an die Führung der Drusen zu richten: "Ihr fordert vom Staat Schutz und Verlässlichkeit – und der Staat fordert von euch Loyalität!"

Assad braucht die Drusen. Ihre Gebiete stellen eine strategische Mauer dar, die Damaskus von den Provinzen trennt, die von den oppositionellen Gruppen im Süden des Landes kontrolliert werden. Dennoch ist die internationale Allianz, die den IS bekämpft, bislang nicht dazu bereit, die Pattsituation im syrischen Bürgerkrieg zugunsten einer Unterstützung der Drusen zu ändern. Und daher wird Assad sich auch nicht gezwungen sehen, seinen Kurs gegenüber den Drusen zu korrigieren. Die syrischen Drusen aber dürften weiterhin unter diesem Belagerungszustand leiden – zwischen den Fronten eines tyrannischen Gewalt-Regimes, auf dessen Schutz sie weiterhin angewiesen sind und den oppositionellen Extremisten, von denn sie befürchten, vernichtet zu werden.

Firas Maksad

© Qantara.de 2015

Firas Maksad ist Direktor des “DC political consultancy Global Policy Advisors (GPA)” und Professor an der University of Maryland School of Government & Politics.

Übersetzt aus dem Arabischen von Mariam Eichbüchler