Gemäßigte Aufregung

Islamistische Gefahr aus dem al-Kaida-Netzwerk oder Angeberei? Seit im Frühjahr ein Video mit Drohungen gegen die Regierung aufgetaucht ist, muss Österreich erkennen, dass es über die Muslime im eigenen Land nur wenig weiß. Von Paul Jandl

Drei Türken vor der Karlskirche in Wien; Foto: dpa
Drei Türken vor der Karlskirche in Wien - die Kirchtürme ähneln Minaretten

​​Schon der Name der Organisation sollte bedrohlich klingen: Als Stimme einer "Globalen Islamistischen Medienfront" wollte Mohammed M. der österreichischen Regierung Angst machen. In einem im Frühjahr als Drohbotschaft verbreiteten Video wurden die Politiker aufgefordert, österreichische Soldaten aus Afghanistan abzuziehen. Man solle nicht die Sicherheit des eigenen Landes zerstören, forderte der Sohn aus Ägypten zugewanderter Eltern.

Seit dem Auftritt von Mohammed M. rätselt man, was dieser im September verhaftete 22-jährige radikale Muslim eher sein könnte: ein notorischer Wichtigtuer oder tatsächlich der erste mit al-Kaida verbundene Terrorist auf österreichischem Boden.

Wie ein gefährlicher islamistischer Schläfer allerdings hat sich der junge Mann mit dem wild wuchernden Bart bisher jedenfalls nicht verhalten. Den Medien wollte er sich schon früher als Sprecher einer radikalen "Islamischen Jugend Österreich" andienen, und er hat gelegentlich davon fabuliert, dass ihn die CIA entführen wolle.

Stereotypien der Wahrnehmung

Jetzt sitzt der Wiener Islamist gemeinsam mit seiner Frau im Gefängnis. Monate kann es dauern, bis das bei Lauschangriffen zusammengetragene Material ausgewertet ist. Ob tatsächlich Bombenanschläge geplant waren, ist offen.

Während man sich weltweit spätestens seit dem 11. September 2001 mit dem Islam auseinandersetzt, haben diese Debatten in Österreich erst mit den kuriosen Videobotschaften des Mohammed M. Brisanz erhalten. Von Hasspredigern war bisher nichts zu hören, und scharfe Töne gab es eher aus der Ecke des antiislamischen Populismus.

Mit Slogans wie "Daham statt Islam" ("Daheim statt Islam") mischt sich die Politik der österreichischen Rechten unter den üblichen Bodensatz an Fremdenfeindlichkeit.

Dass es in Österreich auch eine diffuse Angst vor einer höchstens in ihren Stereotypen wahrgenommenen Kultur gibt, ist dabei nicht zu leugnen. Die islamischen Migranten sind zwar in den Städten präsent, doch dass man äußerst wenig über sie weiß, ist in den letzten Monaten deutlich geworden.

Mehrheit der Muslime gegen Gewalt

Hilft es da, dass eine soeben am Soziologischen Institut der Universität Wien veröffentlichte Studie zeigt, dass 99 Prozent der jungen österreichischen Muslime Gewalt als Mittel zur Verbreitung der Religion ablehnen? Immerhin 5 Prozent haben zumindest Verständnis für den Einsatz kämpferischer Mittel.

Österreich und der Islam, das ist ein historisch verwickeltes, allerdings nicht nur unfreundliches Verhältnis. Schon aus geografischen Gründen war die k. u. k. Monarchie ein pluralistisches Gebilde.

Zählten zeitgenössische Quellen vor 1878 gerade einmal zehn Muslime auf dem Staatsgebiet, so musste man sich spätestens 1878, nach der Okkupation Bosniens und der Herzegowina, mit dem Islam beschäftigen. Einem Islam allerdings, der sich in seinen aufgeklärten Traditionen wesentlich vom Fundamentalismus saudischer Prägung unterscheidet.

Anerkannte Religion

Was in Österreichs Geschichte folgte, waren liberale Bestimmungen und ein 1912 nochmals festgeschriebenes "Islamgesetz". Länger schon als in vielen anderen Ländern zählt der Islam zu den offiziellen Religionen, auch wenn er hier nur eine von insgesamt zwölf anerkannten Glaubensrichtungen ist.

400 000 Muslime leben heute im Land, 130 000 davon sind schon in Österreich geboren. Vielfach sind es abgeschlossene Gemeinschaften, die in den tristeren Gegenden Wiens wohnen, wie etwa dem fünfzehnten Bezirk, wo Zuwandererfamilien aus der Türkei, aus Bosnien, Albanien, Ägypten oder Pakistan fast schon die Bevölkerungsmehrheit stellen. 46,2 Prozent der Bewohner im Viertel hinter dem Westbahnhof sind Migranten.

Wenn hierzulande über den muslimischen Bevölkerungsteil diskutiert wird, dann dort, wo er nicht als ins Stadtbild integriertes Prekariat auftritt, sondern wo er sich selbstbewusst gibt. Bereits seit 1979 gibt es im Wiener Bezirk Floridsdorf, nahe der Donau, eine große Moschee mit weithin sichtbarem Minarett.

Dass den Wienern die vom Tonband kommende Stimme des Muezzins zu laut war, darüber ließ sich reden. Doch sonst gab es kaum Aufregung um den für eine damals kleine religiöse Minderheit errichteten Bau.

Moschee-Debatten

Nicht ganz dreißig Jahre nach der Fertigstellung der ersten Moschee in Österreich allerdings haben es die neuen Gebetshäuser nicht gerade leichter. Im Tiroler Ort Telfs hat es im Vorjahr heftige Debatten um eine Moschee mit einem fünfzehn Meter hohen Minarett gegeben.

In einem Wiener Randbezirk hat sich vorsorglich eine Bürgerinitiative gebildet, um zu verhindern, dass ein islamisches Gebets- und Kulturzentrum um zwei Stockwerke erweitert wird. "Moschee ade" nennen die Aktivisten ihre Website, auf der auch zu lesen ist: "Wo der Halbmond aufgeht, geht das goldene Wienerherz unter!"

Bei einer großen Demonstration gegen den in einer alten Fabrik untergebrachten Treffpunkt türkischer Muslime, der alles andere als eine Moschee ist, gab es rege Beteiligung der rechten Szene. Da ist es auch keine De-Eskalation, wenn prominente Landespolitiker der christlich-konservativen ÖVP davon sprechen, dass Minarette "artfremd" seien.

Manch einer aus der ÖVP möchte gerne den christlichen Gott in der Verfassung des Landes verankert wissen. Das würde Österreich dann vielleicht zu einem Herrgottswinkel unter weit säkulareren Staaten machen. Längst steht etwa in Frankreich der katholische Religionsunterricht nicht mehr auf den Schulplänen.

Dass allerdings die 1500 Moscheen des Landes die Probleme gelöst hätten, lässt sich auch nicht sagen. In Österreich gibt es bisher zwei Moscheebauten, demnächst wird in der Nähe von Wien eine dritte dazukommen. Ein Minarett wird es dort nicht geben.

Noch lange nicht angekommen

Auch wenn es heute in Österreich ein funktionierendes System aus islamischen Schulen und Gemeindezentren gibt, sind die Immigranten in der neuen Heimat noch lange nicht angekommen.

Liberale Muslime, wie etwa der in Wien lehrende islamische Religionspädagoge Ednan Aslan, beklagen eine kulturelle Immobilität. Die soziale Deklassierung durch eine mangelnde Schulbildung verschärfe noch den Graben zwischen zwei Welten. In Europa habe der Islam nur dann eine Chance, wenn er sich nicht gegen eine Säkularisierung stelle, sagt Aslan in den Debatten, die nach den islamistischen Drohvideos entstanden sind.

Anfällig für eine politische Radikalisierung sind vor allem muslimische Migranten der zweiten Generation. Ihre gesellschaftlichen Perspektiven sind schmal, sie sind von politischen Organisationen besonders leicht zu rekrutieren. Es ist zu vermuten, dass auch Mohammed M., Österreichs bisher einziger radikaler Islamist, eher kein politischer Kopf ist. In Wien-Fünfhaus hat der Schulabbrecher mit seiner sechsköpfigen Familie in einer vierzig Quadratmeter großen Substandard-Wohnung gelebt.

Österreich wird wohl auch weiterhin ein Einwanderungsland bleiben. Der jüngst wieder erschienene Migrationsbericht zeigt die Veränderungen der letzten Jahre.

Hatten 2001 rund 14 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund, so sind es 2007 über 16 Prozent. Die meisten Zuwanderer leben in Wien. Bereits ein Drittel der Stadtbewohner ist nicht in Österreich geboren.

Wer allerdings reflexartig die Balkanisierung des Landes fürchtet, der kann beruhigt werden. Die Mehrzahl der neuen Bürger kommt nicht mehr aus klassischen Gastarbeiterländern, sondern aus der EU. Die stärkste Gruppe von Zuwanderern bilden die Deutschen.

Kann es sein, dass in Österreich der Kampf der Kulturen bisher weniger scharf ausgefallen ist als anderswo? Selbst das Kopftuch war bisher kein Streitthema. Eher im Gegenteil. Als die Stadt Wien vor kurzem die neue offizielle Arbeitskleidung ihres Reinigungspersonals präsentierte, war auch ein Dienstkopftuch für muslimische Frauen dabei.

Paul Jandl

© Neue Zürcher Zeitung

Qantara.de

Muslimische Interessenvertretung in Europa
Eine für alle?
In einigen europäischen Ländern gibt es einen großen islamischen Verband, der alle Muslime vertreten soll. Dabei gibt es unterschiedliche Konzepte der Repräsentation. Ein Vergleich von Nimet Seker

Islam-Debatte in Österreich
"Die müssen unsere Spielregeln lernen"
Der Kleinkrieg der Kulturen tobt auch in Wien: Jörg Haider zieht in den Kreuzzug gegen Minarette, die Wertedebatte greift um sich und der Verdacht legt sich ganz offiziell auf alle Muslime. Von Robert Misik

IHF-Menschenrechtsbericht
Muslime in Europa – eine "Landkarte" der Diskriminierung
Die Internationale Helsinki-Föderation (IHF) hat jüngst einen Bericht über Muslime als Opfer von Intoleranz in der EU veröffentlicht. Darin heißt es, die Diskriminierung gegen Muslime habe seit den Anschlägen vom 11.09. weiter zugenommen.