Aufstieg und Niedergang der iranischen Protestbewegung

Der Dokumentarfilm "Die Grüne Welle" von Ali Samadi erzählt das Drama um die iranischen Präsidentschaftswahlen 2009 nach und offenbart dabei ungewollt die Schwächen der Opposition gegen die Hardliner um Ahmadinejad und Khamenei. Von Stefan Buchen

​​ Der Dokumentarfilm "Die Grüne Welle" des in Köln lebenden iranischstämmigen Regisseurs Ali Samadi hat das Verdienst, die dramatischen Ereignisse der Proteste im Sommer 2009 im chronologischen Zusammenhang nachzuerzählen, von der weit verbreiteten Hoffnung auf politischen Wandel im Iran durch Wahlen bis hin zur brutalen Niederschlagung der Massenproteste gegen die Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinejad.

Mit diesem Spannungsbogen, der die Monate vom Mai bis zum Herbst 2009 umfasst, ruft Samadi den Verlauf der schwersten innenpolitischen Krise in der Geschichte der Islamischen Republik in Erinnerung.

Dabei versucht er nicht zu kaschieren, dass er sich mit der Protestbewegung und ihren Zielen identifiziert; er weckt noch einmal Empathie mit starken Emotionen und offenbart mit den Mitteln des Films ungewollt die Schwächen der Opposition: zu spontan, zu gefühlsbetont, zu unklar in den politischen Zielen und zu unorganisiert, um dem rücksichtslosen Gegenschlag der Staatsmacht standzuhalten.

Intellektuell überlegen, politisch machtlos

Heute, mit dem zeitlichen Abstand eines Jahres, wirkt diese Fixierung naiv. Samadi lässt die klugen Stimmen vieler namhafter Regimekritiker zu Wort kommen, die das Drama kommentieren, aber diese Kritiker sind allesamt im Exil, abgeschnitten von den Ereignissen im Iran und ohnmächtig, in den Lauf der Dinge einzugreifen.

Ali Samadi; Foto: www.thegreenwave-film.com
Identifiziert sich mit der Grünen Protestbewegung: Der in Köln lebende Regisseur Ali Samadi liefert mit seinem Film "The Green Wave" eine chronologische Darstellungen der Proteste des letzten Jahres.

​​ Samadi behauptet, dass das Volk nicht mehr auf den Revolutionsführer Ali Khamenei hört, der in einer denkwürdigen Freitagspredigt eine Woche nach den Wahlen für den Hardliner Ahmadinejad Partei ergreift und das Ende der Proteste fordert.

Bei genauerem Hinsehen erkennt man jedoch, dass gerade diese Predigt die durchaus zahlreichen Regimetreuen im Iran, vor allem den großen Sicherheitsapparat aus Polizei und paramilitärischen Einheiten, mobilisiert und das Signal gibt, die "Grüne Welle" mit Gewalt zu ersticken.

Narrative Ergänzungen

Samadi konnte aufgrund der Zensur nicht im Iran drehen. Deshalb hat er auf Amateurfilmmaterial zurückgegriffen, das die Anhänger der "Grünen Welle" mit Handykameras selbst gedreht haben. "Diese Bilder waren sehr fragmentarisch", berichtet der Regisseur. "Es waren nur die Bruchstücke eines Puzzles. Ich habe gemerkt, dass ich damit allein keinen Film hätte machen können."

Aus diesem Grund reicherte Samadi den Film mit zwei fiktiven Protagonisten an, einer jungen Frau und einem jungen Mann, die als Comicfiguren dargestellt werden. Ihre Schilderungen der "Grünen Welle" beruhen auf Blogeinträgen vieler unterschiedlicher Personen, aus denen Samadi die beiden Biografien gebastelt hat.

​​ Dieses Stilmittel, das an den israelischen Animationsfilm "Waltz mit Bashir" erinnert, hat den Vorteil, Aspekte des Dramas zu beleuchten, die anders kaum hätten dokumentiert werden können: den Einsatz randalierender Agents provocateurs des Regimes, deren Aufgabe es war, die Demonstranten als Chaoten zu diskreditieren, den Tumult in den Krankenhäusern, die überfüllt waren mit Toten und Schwerverletzten und die grausame Folter in den Gefängnissen, vor allem in dem berüchtigten Kerker Kahrizak.

Defizite der Mischform

Aber diese Comicpassagen haben auch eine Kehrseite, denn sie brechen den rein dokumentarischen Charakter des Films und werfen Fragen nach Authentizität und Glaubwürdigkeit auf, da niemand in der Lage ist, Ursprung und Wahrhaftigkeit der Blogeinträge zu überprüfen.

Samadi rechtfertigt sein Vorgehen anhand der Szene in der Folterkammer Kahrizak. "Der Blog über Kahrizak, den ich zitiere, berichtet von den überfüllten Zellen, davon, dass die Gefangenen keine Luft mehr bekamen, noch bevor die Regierung und das Staatsfernsehen zugeben mussten, dass solche Verbrechen tatsächlich dort begangen wurden. Das spricht für die Glaubwürdigkeit der Schilderungen", meint Samadi.

Was wollen die Anhänger der "Grünen Welle"? Sie warfen dem Regime Wahlbetrug vor und wollten die Wiederwahl Ahmadinejads deshalb nicht akzeptieren. Aber auf eine Wiederholung der Wahl ließ sich das Regime nicht ein.

Und was dann? Auffällig ist jedenfalls, dass die Protagonisten des Films sich häufig in blumige, vage Metaphern flüchten wie "Wir gehören einer Nation an, die seit 150 Jahren auf der Suche nach ihrer verloren gegangenen Stimme ist", oder "Ich liebe diese grünen Schals und Armbänder. Sie bedeuten, dass die Leute nicht gleichgültig sind."

​​ "Die Forderung nach Rede- und Meinungsfreiheit" hat Samadi als einen Minimalkonsens der Protestbewegung ausgemacht. Aber lässt sich darauf tatsächlich eine politische Bewegung aufbauen? Will die Opposition den Regimewechsel oder will sie die Islamische Republik beibehalten?

Diese Frage kann der Film gar nicht beantworten, weil seine Helden es selbst nicht wissen. "Die Zahl derer, die nicht mehr an die Reformierbarkeit des Systems glauben, ist nach den gefälschten Wahlen gestiegen", meint der Filmemacher.

Aber Einigkeit herrscht in diesem entscheidenden Punkt keineswegs, schon gar nicht zwischen den Führungsfiguren der "Grünen Welle", allesamt Zöglinge des Systems, und der Basis, die "nieder mit der Diktatur" ruft.

Optimistischer Verweis auf die Geschichte

Vorläufig ist die "Grüne Welle" gescheitert. Samadi betont die Vorläufigkeit und verweist auf die Erfahrungen in anderen Diktaturen, beispielsweise im Polen der 1980er Jahre: "Der Streik in der Danziger Werft war 1980. Das Regime fiel neun Jahre später."

Den Film schließt der Regisseur denn auch mit einem optimistisch-poetischen Zitat aus einer Wahlkampfrede des früheren reformorientierten Präsidenten Khatami, einer der Galionsfiguren der "Grünen Welle": "Es ist kurz vor Sonnenuntergang und ich liebe den Morgen."

Khatami darf seit den Wahlen nicht mehr öffentlich auftreten. Wenn man in seinem Bild bleiben möchte, gehen die Anhänger der "Grünen Welle" jetzt durch eine dunkle, eisige Winternacht. Und niemand weiß, wie lange diese Nacht dauern wird.

Stefan Buchen

© Qantara.de 2010

Redaktion: Lewis Gropp/Qantara.de

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