Die Tankstelle der Welt

Geopolitisch hat die Golf-Region in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Der entscheidende Faktor sind dabei die Öl- und Gasvorräte sowie die ambivalenten Beziehungen zum Iran. Christian Koch zeichnet den Aufstieg der sechs Monarchien des Golf-Kooperationsrates nach.

Sheikh-Zayed-Straße in Dubai; Foto: AP
Eine beispiellose wirtschaftliche Entwicklung: Selbst Dubais größte Schnellstraßen können mit dem rasanten Wachstum der Metropole nicht mithalten.

​​Aufgrund ihrer wachsenden strategischen Bedeutung ist die Golfregion in den vergangenen Jahrzehnten zum Brennpunkt der Weltpolitik geworden und steht im Mittelpunkt der globalen Diskussion um Sicherheit und Stabilität. Keine andere Region steht zugleich so im Fokus der Weltmedien wie das Gebiet, das die Mitgliedsstaaten des Golf-Kooperationsrates (GCC) umfasst (Bahrain, Kuwait, Oman, Katar, Vereinigte Arabische Emirate, Saudi-Arabien) sowie — außerhalb dieser Organisation — Iran und der Irak.

Während die Sorge um die Situation im Nahen Osten früher meist vom arabisch-israelischen Konflikt genährt wurde, kann man hiervon heute nicht mehr sprechen. Statt dessen lässt sich behaupten, dass sich der Schwerpunkt des Konflikts ostwärts in Richtung der Golfregion verlagert hat. Denn tatsächlich war es die Golfregion, die im Zentrum aller größeren Krisen der letzten Jahrzehnte gestanden hat.

Eine Oase der Entwicklung und des Fortschritts

Seit der Iranischen Revolution im Jahr 1979, einem Ereignis, das auch noch fast 30 Jahre später die Sicherheitslage in der Region entscheidend prägt, erlebte die Golfregion den acht Jahre andauernden Iranisch-Irakischen Krieg, die Invasion Kuwaits durch den Irak im Jahr 1990 und schließlich die US-amerikanische Invasion des Irak im Jahr 2003 mit dem Sturz Saddam Husseins und seines Regimes.

Während der Irak noch immer darum kämpft, eine stabilere politische Lage im Inneren herbeizuführen, hält das Gerangel um das iranische Atomprogramm die Welt in Atem und trägt weiterhin das Potenzial für einen weiteren Konflikt in sich. Deshalb werden diese beiden Länder auch weiterhin Schlüsselstaaten sein, wenn es um die Sicherheit der Region geht.

Die Golfregion ausschließlich als von Krieg und Instabilität geprägt zu sehen, wird dem ganzen Bild jedoch nicht gerecht. Sicher trifft es für einen großen Teil der Region zu — der von Afghanistan über den Irak bis nach Libanon reicht — doch bilden die Staaten des GCC dagegen geradezu eine Oase der Entwicklung und des Fortschritts, was zugleich deutlich positivere Zeichen für die Zukunft erkennen lässt, als dies in der Vergangenheit der Fall war.

Haushaltüberschuss von 3 Billionen Dollar

Der anhaltend hohe Preis primärer Energieträger verschaffte den Staaten der GCC im Jahre 2006 Einnahmen von 350 Milliarden Dollar, für 2008 werden 450 Milliarden erwartet, und das nach eher konservativen Schätzungen. Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IMF) erreichte der kumulierte Leistungsbilanzüberschuss von 2003 bis 2007 die Höhe von 700 Milliarden Dollar und wird bis 2009 auf 900 Milliarden ansteigen. Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts beträgt durchschnittlich über 5 Prozent und der Außenhandelsüberschuss übersprang 2005 die Zahl von 250 Milliarden Dollar.

Der iranische Präsident Ahmadinedschad und der saudische König Abdallah; Foto: AP
Politik des Dialogs und der Kooperation: Die Golfstaaten verfolgen eine neue Strategie, um künftige regionale Konflikte zu vermeiden.

​​Allein in den letzten drei Jahren gab es einen Anstieg des nominalen Bruttoinlandprodukts um 74 Prozent. Eine Studie von McKinsey schätzt, dass der Leistungsbilanzüberschuss, der von 2005 bis 2025 erarbeitet werden wird, runde 3 Billionen Dollar betragen wird; eine Summe, die mehr als zur Hälfte in der Region selbst reinvestiert werden wird.

Diese beispiellose Entwicklung — dafür reicht es, sich die unglaublichen Bauprojekte anzusehen, die die Landschaft in fast unmittelbarer Weise verändern — gründet sich in der Rolle der Golfregion als Tankstelle der Welt. Unter all den Vorhersagen zur Zukunft der Energieversorgung — und von ihnen wimmelt es zur Zeit ja nur so — sticht eine immer wieder besonders ins Auge, und zwar die von der herausgehobenen Bedeutung der Golfregion.

Reichtum an Bodenschätzen

Die Golfregion beherbergt zwei Drittel der nachgewiesenen weltweiten Ölreserven, verantwortet mehr als ein Viertel der globalen Ölproduktion und sorgt für annähernd ein Drittel des weltweit konsumierten Erdöls. Die International Energy Agency rechnet mit einer Zunahme der globalen Öl-Nachfrage von 84 Millionen Barrel im Jahr 2005 auf 116 Millionen Barrel im Jahr 2030, was bedeutet, dass der Anteil der Ölproduktion in der Golfregion im Verhältnis zum gesamten Verbrauch in der Welt auf 33 Prozent im Jahr 2020 steigen wird.

Doch nicht nur im Ölbereich, sondern auch in Bezug auf das Erdgas ist mit einer anhaltenden Dominanz der Region zu rechnen, gehören doch Iran und Katar zu den drei Staaten mit den größten Gasreserven der Welt. Steigende Energienachfrage macht die Staaten der Golfregion zu den einzigen, die über genügend Kapazitäten verfügen, den Bedarf zu befriedigen, vor allem, wenn es um die schnell wachsenden Volkswirtschaften Asiens geht.

Druck auf die Monarchien

Schließlich geht es aber auch um eine politische, soziale und kulturelle Komponente, die zu erwähnen ist. Im Nahen Osten, der gekennzeichnet ist durch konservative politische Systeme und autokratische Regierungen, ist nur in den Staaten der GCC eine bedeutsame politische Entwicklung zu beobachten, wo Parlamente ihre Funktionen wahrnehmen, Pressefreiheit ausgedehnt wird und wo Frauen immer stärker zur Entwicklung der eigenen Gesellschaft beitragen.

Sicher, nach wie vor ist die Golfregion noch weit entfernt vom demokratischen Ideal, das als Ziel anzustreben ist, doch die Kombination aus einer großen, jungen Bevölkerung mit immer größeren Bildungschancen zwingt auch die Golfmonarchien zu größerer Offenheit und Repräsentation.

Das Ergebnis dieser Gleichung besteht darin, dass die arabischen Golfstaaten realisieren, wie viel sie, in Folge der beschriebenen Entwicklungen, zu schützen und auch zu verlieren haben, sollte sich der Teufelskreis aus Konflikten in der Region weiter fortsetzen.

Sicherheit in der Golfregion — eine weltweite Aufgabe

Die Sicherheit in der Region ist keineswegs nur eine innere Angelegenheit der betreffenden Länder, sondern eine globale Herausforderung, bei der man es mit einer ganzen Reihe unterschiedlichster Faktoren zu tun hat: von der Energiesicherheit über den Terrorismus, der Waffenproliferation, Grenzstreitigkeiten, politischer Entwicklung bis zu den Menschenrechten, um nur einige der wichtigsten zu nennen.

Was das Problem noch komplizierter macht, ist, dass wir es nicht nur mit einem Wechselspiel der unmittelbar beteiligten, regionalen Akteure (die sechs GCC-Staaten, Iran, Irak und dem Jemen) zu tun haben, sondern auch mit einer Interaktion zwischen diesen und den Staaten der weiteren geografischen Nachbarschaft (Afghanistan, Pakistan, Indien, Syrien, die Türkei, Israel und Somalia), wie schließlich auch mit der internationalen Gemeinschaft (die USA, Europa und, immer mehr, auch asiatische Staaten wie China und Japan).

Die multilaterale Komponente

In dieser Umgebung versuchen die GCC-Staaten ihre eigene Rolle zu finden und eine Politik des Dialogs und der Kooperation zu fördern, die einmal als Basis dienen kann für verbesserte und strukturiertere Sicherheitsbeziehungen sowohl innerhalb der Region wie außerhalb.

Unter diesem Gesichtspunkt werden sowohl die Handlungen und politischen Konzepte der USA wie die des Iran mit viel Misstrauen aufgenommen, ist doch beiden Staaten die Neigung gemein, ihre hegemonialen Ansprüche auf Kosten anderer Staaten durchzusetzen.

Was der Golfregion dabei helfen könnte, ihre Schwierigkeiten zu überwinden, ist die Einbeziehung der Europäischen Union, seiner Mitgliedsstaaten und einiger asiatischer Staaten, in anderen Worten: größere internationale Beteiligung am politischen Prozess.

Nur diese multilaterale Komponente sorgt für ein komplexeres, und damit sichereres Beziehungsgeflecht. Diese Komponente wurde bisher vermisst. Doch angesichts der großen strategischen Bedeutung der Golfregion in Bezug auf alle oben angesprochenen Fragen mag dies genau die Richtung sein, in der sich die Entwicklung in den nächsten Jahren bewegen wird.

Christian Koch

© Christian Koch / Qantara.de 2008

Übersetzung aus dem Englischen: Daniel Kiecol

Dr. Christian Koch ist Direktor der Internationalen Studien am Gulf Research Center in Dubai.

Qantara.de

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