Abschied von der Oase der Privilegierten

Maher Galal ist überzeugt: Die Militärregierung wird ihre Macht niemals freiwillig abgeben. Als Sohn eines Generals kennt er das korrupte Parallelsystem, das sich die ägyptischen Militärs geschaffen haben. Jahrelang profitierte er selbst davon. Nun wünscht er sich eine gerechte Gesellschaft. Von Marlene Schröder

Irgendwann begann Maher Galal, sich zu wundern. Zum Beispiel, wenn andere Jugendliche ihren Geburtstag bei McDonald's feiern mussten, weil sie keinen Zugang zu einem schicken Privatclub hatten. Oder als sein Freund Ahmed das Geld für teure Medikamente nicht auftreiben konnte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Galal noch nie in seinem Leben für Medikamente Geld bezahlt.

Es ist eine unscheinbare kleine Karte, die Galal den Zutritt in eine Parallelwelt sichert: Sein Ausweis für Militärangehörige. Darauf sind auch der Name, der Rang und das Foto seines Vaters sichtbar. Dieser Ausweis bedeutet für Galal eine ganz Reihe von Annehmlichkeiten, Vergünstigungen und Sonderbehandlungen.Die reichen von exklusiven Freizeit-Clubs, über kostenlose Medikamente und separate Krankenhäuser bis hin zu günstigen Konditionen beim Wohnungskauf.

Plakathuldigung für Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi; Foto: AP
Die schöne heile Welt des Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi: Nach dem Rücktritt Mubaraks übernahm der ehemalige Verteidigungsminister an der Spitze des Obersten Militärrats die Macht im Staat.

​​Und all das nur, weil Galal als Sohn eines ägyptischen Generals geboren wurde. Seinen echten Namen möchte Galal nicht veröffentlicht sehen, da er um die Sicherheit seiner Familie fürchtet. Schließlich sind im vergangenen Jahr viele, die sich gegen das Regime eingesetzt haben, getötet worden. Und einige scharfe Kritiker wurden in Militärprozessen verurteilt.

Ein umfassendes System der Macht

Seit die dominierende Stellung der Nationaldemokratischen Partei nicht mehr besteht, ist das ägyptische Militär die bestimmende politische Kraft. Doch auch zuvor war es nicht einfach nur eine Armee, sondern ein umfassendes System der Macht, das alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringt. Im Machtgefüge des Staates spielt es traditionell eine enorme Rolle: Seit dem Sturz der Monarchie 1952 waren sämtliche Präsidenten hochrangige Mitglieder der Armee. Und auch in vielen Wirtschaftszweigen mischt die Armee seit langem mit.

Galal kennt das nicht anders. Doch die umfassende Macht der Armee hatte er bislang positiv gesehen. Neben vielen anderen Institutionen des Staates, die er für sehr unvollkommen hielt, war die Armee für ihn ein glänzendes Symbol für Stärke, Ordnung und Disziplin. "Ich dachte, es sei die beste Institution des Landes", sagt er. Wenn sein Vater nach Hause kam und Galal seine Uniform ansah, empfand er tiefen Respekt. Die Militärs sah er als "Beschützer des Landes".

Obwohl Galal sich immer für einen moralisch denkenden Menschen hielt, fiel es ihm schwer, seine eigenen Privilegien als solche wahrzunehmen. Fast alle seine Freunde waren entweder reich oder stammten aus Militär-Familien.

Einheiten der ägyptischen Armee vor der Militärakademie in Kairo; Foto: AP
"Die beste Institution des Landes": Neben vielen anderen Institutionen des Staates, die Maher Galal für sehr unvollkommen hielt, war die Armee für ihn ein glänzendes Symbol für Stärke, Ordnung und Disziplin.

​​Durch die Freizeit-Clubs der Armee sind die Nachkommen der Militärs unter sich. Es gibt etliche sportliche Einrichtungen, es finden dort Hochzeiten oder auch Trauerfeiern statt. Und die an Luxushotels erinnernden Club-Areale sind kleine Oasen der Stille im sonst so belebten Kairo.

Galal machte dort häufig seine Hausaufgaben und war Mitglied im Schwimmteam. Für einen geringen Monatsbeitrag nutzte er das moderne und voll ausgerüstete Fitness-Studio, konnte dort an großen Bildschirmen fernsehen und hatte private Trainer zur Verfügung.

Wenn Galal heute darüber nachdenkt, hält er die Luxus-Einrichtungen aber für wenig ausschlaggebend dafür, dass es so schwer ist, sich von der privilegierten Situation als Militär-Angehöriger zu trennen. Es ist eher die politische Gesamtsituation, meint Galal. Je ungerechter und willkürlicher ein System ist, desto mehr hat jeder einzelne den Eindruck, um das eigene Überleben kämpfen zu müssen.

Schutz vor staatlicher Willkür

"Privilegien waren für mich auch ein Schutz vor staatlicher Willkür", sagt Galal. Wenn zum Beispiel ein Polizist auf der Straße auf ihn zukam und Galal befürchtete, er wolle ihm Ärger machen, konnte er schlicht und ergreifend seinen Militärausweis vorzeigen. "Auch wenn der Polizist zuvor unhöflich war, ist er dann sofort sehr respektvoll und lässt einen in Ruhe", sagt Galal.

Ohne den Militärausweis hätte Galal keinerlei Handhabe, sich gegen staatliche Willkür zur Wehr zu setzen. "Wir haben 30 Jahre lang mit Korruption und Diktatur gelebt", sagt Galal. Hoffnung auf Veränderung hatte er bis zum vergangenen Jahr nicht. Er dachte, alles würde bis ans Ende seines Lebens so weitergehen. "Wenn das Leben so ist, dann braucht man Privilegien, um weiterzuleben. Ohne sie geht man unter", sagt Galal. Wer keinerlei Sonderstatus hat und arm ist, hat es extrem schwer.

Die Massenproteste im vergangenen Jahr haben Galal verändert. Statt weiter zu versuchen, sich innerhalb eines korrupten Systems zu behaupten, begann er, das System insgesamt in Frage zu stellen. Er diskutierte viel mit Gleichgesinnten, machte sich Gedanken über ein neues Ägypten. Sein großes Vorbild wurde Mohamed ElBaradei, ehemaliger Leiter der Internationalen Atomenergiebehörde – der einzige ägyptische Politiker, den Galal als ehrlich wahrnimmt.

Der ägyptische Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei; Foto: AP/dapd
Hoffnungsträger für viele "Tahrir-Revolutionäre" und säkulare Intellektuelle: der ägyptische Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei

​​Galal demonstrierte, beteiligte sich an Sprechgesängen, die den Militärrat als "Lügner" bezeichneten. Denn auch nachdem der ehemalige Machthaber Hosni Mubarak die Macht an den Militärrat übergeben hatte, protestierte Galal weiter. "Es gibt keinen Unterschied zwischen den beiden, es ist dasselbe Regime", sagt Galal. Allerdings merkte er, dass die Gesellschaft nicht mehr im Ganzen mitzog. Immer weniger Menschen beteiligten sich an den Demonstrationen. Die Gesellschaft war wieder gespalten.

Symbol für Willkür und Ungerechtigkeit

Obwohl Galal sich so vehement für ein freies, demokratisches Ägypten einsetzt, muss er erst einmal einen Moment nachdenken, als er gefragt wird, ob er bereit sei, seine Privilegien aufzugeben. "Ich will ein gerechtes System, in dem alle Menschen gleich behandelt werden und es keine Sonderrechte gibt", sagt er dann. Was aber wenn die Situation so bleibt wie sie ist? "Dann will ich nicht, dass meiner Familie etwas passiert oder mein Leben in Gefahr ist." Es klingt, als hoffe er auf eine Veränderung, die seine Privilegien überflüssig macht.

In das ägyptische Militär setzt Galal allerdings keinerlei Hoffnung für die Zukunft seines Landes. Es ist für ihn zu einem Symbol für Willkür und Ungerechtigkeit geworden. Dem herrschenden Militärrat wirft er vor, die Macht nicht viel schneller an eine zivile Regierung übergeben zu haben, sondern willkürlich zu herrschen. Er macht ihn für Tötungen von Demonstranten und für Militärprozesse verantwortlich.

"Sie werden die Macht niemals freiwillig abgeben", sagt Galal über den herrschenden Militärrat. Die Präsidentschaftswahlen boykottiert er. "Sie werden einen Präsidenten bestimmen, der eine Marionette ist", sagt Galal. Die Liste der Gründe anderer Ägypter, das Militär dennoch zu unterstützen, ist lang. Einige denken, man müsse der Armee als der einzigen starken Institution, die noch übrig ist, beistehen, da Ägypten sonst mit ihr untergehe. Andere unterstützen die Armee aus patriotischen Gründen.

Auch gibt es immer noch Ägypter, die meinen, das Militär habe die "Revolution" beschützt. Doch einen der Gründe lehnt Galal ganz besonders ab: Die Ansicht, man müsse Geduld haben, da die Militärs doch versprochen hätten, die Macht abzugeben. "Wir haben 30 Jahre lang gewartet", sagt Galal. Er ist mit seiner Geduld am Ende.

Marlene Schröder

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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de