Im Gürtel der Diktaturen

Zentralasien wird von Despotie und Korruption beherrscht. Hier hat die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) eine historische Chance verpasst, meint Marcus Bensmann in seinem Kommentar.

Fahnen der Mitgliedsstaaten der OSZE; Foto: OSZE
Die OSZE hätte nach dem Kollaps der Sowjetunion offensiv für demokratische Reformen auf deren früheren Gebiet eintreten müssen, so Marcus Bensmann

​​Demokratie, Menschenrechte und offene Bürgergesellschaft - diese Errungenschaften haben in den postsowjetischen Gesellschaften Zentralasiens an Strahlkraft verloren. 15 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion befindet sich die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) dort in der Defensive.

Nicht ohne eigenes Verschulden. Zu lange haben sich die demokratischen Regierungen des Westens von den Reformversprechen der Diktatoren einschläfern lassen.

Glaubwürdigkeit und Achtung wurden so verspielt, sowohl bei den Herrschenden und den Oppositionellen als auch den Bürgern. Hinzu kam, dass die kaukasischen und zentralasiatischen Staaten anfänglich geopolitisch weitgehend ignoriert wurden.

Ein demokratisches Russland, so die Konzeption Europas und Amerikas, würde nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion schon auf die Nachbarstaaten ausstrahlen. Ein fataler Irrtum. Der russische Präsident Wladimir Putin schmiedet zusammen mit China einen Staatenbund gegen westlichen Einfluss und Demokratisierungsbemühungen.

Keine demokratischen Experimente!

Südlich der russischen Grenze hat sich ein Gürtel von Diktaturen entwickelt. In den zentralasiatischen Mitgliedstaaten der OSZE herrschen korrupte und autokratische Regime, in denen weder Menschenrechte noch Rechtsicherheit gelten. Die herrschenden Familien und Klane haben sich die Reichtümer der Region zur persönlichen Beute gemacht.

In Turkmenistan am Kaspischen Meer lässt sich der dortige Präsident Sapamurad Nijasow in einem absurden Personenkult bejubeln. In Usbekistan regiert der dortige Präsident Islam Karimow mit Folter und Massenverhaftung. Auch die herrschende Elite in Kasachstan, das dank der hohen Ölpreise einen Wirtschaftsboom erlebt, will von Demokratie nichts mehr wissen.

Nursultan Narsarbajew; Foto: dpa
Ein zweifelhafter Wahlsieger - Kasachstans autoritärer Staatspräsident Narsarbajew.

​​Der amtierende Präsident Nursultan Nasarbajew ließ sich erst Anfang Dezember mit satten 91 Prozent in einem zweifelhaften Wahlgang bestätigen und verbot nach dem Wahlsieg weiterhin oppositionelle Zeitungen.

Kasachstan duldet zwar im Vergleich zu der drangsalierten usbekischen Gesellschaft größere Freiräume der eigenen Bürger, aber klar ist auch hier: Keine demokratischen Experimente!

Und der wirtschaftlich angeschlagene Gebirgsstaat Kirgisien taumelt nach einem Umsturz, der als demokratische Revolution getarnt wurde, der Anarchie entgegen. Diese Situation dient den Herrschenden in Zentralasien als warnendes Beispiel gegen weitere Demokratisierung.

Die Deklaration von Helsinki

Die OSZE hat ihren Ursprung in der "Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit" (KSZE). Hier schufen sich während des Kalten Krieges Staaten des Westens und des Ostblocks ein Instrument des Dialogs. Die Deklaration von Helsinki diente seit 1975 vielen Menschenrechtlern in der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten als Basis für mutige Aktionen.

Denn erstmals verpflichteten sich die Ostblockstaaten, persönliche Freiheitsrechte zu achten. Zwar wurden trotz der Deklaration zahlreiche Dissidenten verfolgt und verhaftet, aber es gab nun eine Verhandlungsgrundlage für kontaktbereite westliche Staaten. Die Ideen von Demokratie und Menschenrechten zeigten Wirkung und trugen zum Ende der Sowjetunion und des Ostblocks bei.

Nach dem Zusammenbruch wurden die sowjetischen Nachfolgestaaten und die Staaten Osteuropas automatisch Mitglied in der OSZE. Doch niemand achtete in den 90er Jahren darauf, deren Geschäftsgrundlage zu ändern.

War angesichts der nuklearen Bedrohung diplomatische Zurückhaltung gegenüber der Sowjetunion lebensnotwendig, so hätte die OSZE nach deren Kollaps offensiv für demokratische Reformen auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion eintreten müssen.

Das Prinzip der Einstimmigkeit wurde jedoch beibehalten, das eine Sanktionierung von Menschenrechtsverletzungen in den Reihen der Mitgliedstaaten praktisch unmöglich macht. Nur während des Bürgerkrieges in Jugoslawien konnte diese Selbstblockade aufgehoben werden.

Verpasste Chancen

Immerhin wurde mit ODIHR, dem Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte, 1990 ein Instrument geschaffen, um etwa die Wahlen in den Mitgliedstaaten zu beobachten. In all den Jahren hat ODIHR in eifriger Regelmäßigkeit die Urnengänge in Zentralasien beschrieben. Und ihre Berichte dokumentieren zahllose Fälschungen und Verstöße.

Keine der in Zentralasien durchgeführten Wahlen hat auch nur ansatzweise etwas mit der demokratischen Willensbildung der BürgerInnen zu tun. Nur: Diese Zeugnisse von Manipulation und Wahlfälschung haben keinerlei politische Konsequenzen.

Diese selbst auferlegte Vorsicht ist kontraproduktiv. Die zentralasiatischen Gesellschaften und deren Regierungen drängten in den 90er Jahren nach Europa. Mit einer klaren Strategie, gestützt auf ein lukratives Angebot zur wirtschaftlichen Aufbauhilfe, hätte die OSZE die Chance gehabt, einen dynamischen Reformprozess in Zentralasien in Gang zu setzen.

Stattdessen sah man zu, wie sich die postsowjetischen Herrschaftseliten in den zentralasiatischen Kunststaaten ihre nun unangefochtenen Machtstrukturen aufbauen konnten.

Gefahr einer Destabilisierung der Region

So konnten die Herrschenden in Zentralasien einfach Demokratie gegen Stabilität ausspielten. Die Diktatoren feierten sich als Garanten gegen das Schreckgespenst des Islamismus, gegen den staatlichen Zerfall und - seit dem 11. September 2001 - gegen den Terrorismus.

Die Herrschenden rechtfertigten den Demokratiemangel zudem mit der zentralasiatischen Mentalität, die nichts gemein habe mit den westlichen Vorstellungen von Individuum und Pluralismus. Dem Bürger in Usbekistan scheint es demnach zu gefallen, von korrupten Polizisten gefoltert und um Hab und Gut gebracht zu werden.

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kontakt@qantara.de Nachdem in Russland durch die steigenden Rohstoffpreise das staatliche und wirtschaftliche Selbstbewusstsein wuchs, entwickelte Moskau sich zu einer Schutzmacht der zentralasiatischen Diktatoren. Die ohnehin schon zahnlose OSZE wird von dem wieder erstarkten Russland bedrängt, auch noch die bisher nur in Ansätzen erfüllte Mahnerrolle aufzugeben.

Dabei hat sich besonders in Usbekistan gezeigt, wie gefährlich schon jetzt die diplomatische Leisetreterei der OSZE ist. Die 14-jährige OSZE-Mitgliedschaft hat die usbekische Regierung nicht daran gehindert, am 13. Mai die eigene Bevölkerung in Andischan niederzuschießen.

Dieses Massaker war der blutigste Exzess eines brutalen und korrupten Regimes, das sich unter der wohlwollenden Patronage der westlichen Demokratien im Herzen Zentralasiens entwickeln konnte. Nun besteht die Gefahr, dass der unwidersprochene Terror der Herrschenden in Taschkent die gesamte Region zwischen Kaspischem Meer und chinesischer Grenze zu destabilisieren droht.

Die OSZE sollte endlich aufwachen und gegen die dunkle Koalition von Diktatoren in den eigenen Reihen offensiv agieren.

Marcus Bensmann

© die tageszeitung 2006

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