Gegen die Selbstzensur in Kunst und Musik

Ruba Saqr singt ihre selbst geschriebenen Folksongs genauso authentisch wie ihre mystisch-islamisch inspirierten Gesangsimprovisationen. Sie ist eins der viel versprechendsten musikalischen Talente Jordaniens. Martina Sabra hat sie in Amman getroffen.

Foto Ruba Saqr; Foto: privat
"Lasst uns unsere Songs einfach produzieren und dann schauen, was passiert!", so die 33-jährige Ruba Saqr.

​​ Manche nennen sie die jordanische Joan Baez. Andere fühlen sich von ihr an die algerisch-französische Liedermacherin Suad Massi erinnert. Die 1975 geborene Ruba Saqr hat nichts gegen derartige Vergleiche. Doch sie möchte als das gesehen werden, was sie ist: "In erster Linie bin ich Ruba Saqr. Ich habe meine eigenen Geschichten zu erzählen, zu meiner eigenen Musik."

Zu diesen eigenen Geschichten von Ruba Saqr zählt unter anderem die Sufi-Tradition ihrer Familie, die sie jüngst in einem musikalischen Programm verarbeitet hat. Gemeinsam mit ihrer Mutter, der Dichterin Zulikha Aburisha und der Pianistin Zeina Azouqa präsentiert Saqr seit dem Sommer 2008 unter dem Titel "Three Women Only" islamisch-mystisch inspirierte Lieder und Stimmimprovisationen.

Wurzeln der islamischen Mystik

Religiöse und nichtreligiöse Zuhörer reagieren gleichermaßen begeistert auf die Texte und die stimmlichen Improvisationen. "Ich bin selbst nicht fromm, aber die islamische Mystik gehört zu meinen Wurzeln", erzählt Saqr.

"Mein Großvater war ein Sufi-Scheich aus Syrien. Meine Großmutter war eine seiner Schülerinnen. Da ich als Kind viel Zeit bei ihr verbrachte, bin ich quasi mit der Tradition aufgewachsen. Als Jugendliche habe ich mich eine Zeitlang weniger damit befasst. Aber irgendwann begann ich, meine Verwandten zu interviewen, um mehr über die Familiengeschichte zu erfahren."

Ruba Saqrs große Stärke ist ihre Unmittelbarkeit. Wenn sie mit ihrer klaren, glockenhellen Stimme die kleinen und großen Gefühlskatastrophen des Alltags besingt – vom Liebeskummer über religiöse Zweifel bis hin zum Schrecken angesichts einer Bombenattacke – dann passt emotional keine Handbreit zwischen sie und ihre Zuhörer.

Übertriebene Angst vor Repressionen?

"Ich bin eine traurige Lilie in Deinem Garten/ein Fenster, offen im Wind/ein Kinderspielzeug, in eine Blutlache getaucht", heißt es in einem ihrer Lieder. Saqrs Texte basieren auf klaren, einprägsamen Bildern.

"Wenn ich einen Song mache, kommt zuerst das Gefühl", erklärt Ruba Saqr ihre Arbeitsweise. "Ich schreibe meist ein Lied, wenn mir etwas Besonderes passiert. Dann bleibe ich zu Hause und schließe mich ein, bis der Song fertig ist. Ich arbeite dabei nie vom Kopf her. Meine Texte kommen aus dem Herzen."

Ruba Saqr während eines Konzerts; Foto: Martina Sabra
Ruba Saqr im August 2008 bei einem Konzert in Amman. Im Jahr zuvor gewann sie den UNESCO-Musikpreis für "Best Innovative Performance Bridging Traditional and Contemporary Traditions".

​​ Das Wichtigste beim Liederschreiben sei, sich selbst inhaltlich keine Fesseln anzulegen. "Manche gesellschaftskritischen oder politisch engagierten Texte sind gar nicht besonders gewagt. Doch die Autoren haben eine Riesenangst, anzuecken", erklärt Saqr. "Ich glaube, die angeblichen Bedrohungen existieren oft nur in der Phantasie. Meist ist die Angst vor der Zensur übertrieben."

Ruba Saqr wünscht sich mehr Mut: "Lasst uns unsere Songs einfach produzieren und dann schauen, was passiert!"

Beschränkte Möglichkeiten in der Heimat

Die 33-jährige Ruba Saqr ist in der jordanischen Musikszene kein Neuling. Ihre ersten Auftritte mit Folk, Rock und Heavy Metal absolvierte sie bereits Ende der achtziger Jahre in Amman. 1997 präsentierte sie beim angesehenen jordanischen Jerash-Festival zum ersten Mal eigene Kompositionen. Später tourte sie solo und in wechselnden Formationen durch Jordanien, die arabische Welt und hatte einzelne Gigs in Europa.

Doch trotz der kontinuierlichen musikalischen Arbeit und des positiven Feedbacks vieler Kollegen und Produzenten konnte sich Ruba Saqr lange Zeit nicht dafür entscheiden, Musik zu ihrem Hauptberuf zu machen. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie als Journalistin.

"Zum einen waren Teile meiner Familie nicht damit einverstanden, dass ich öffentlich als Musikerin auftrete", erklärt sie. "Zum anderen hatte ich in Jordanien nicht die technischen Möglichkeiten, um ein Album in international kompatibler Qualität zu produzieren. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen von der Musik zu leben."

Erfolgreiche musikalische Förderung

Dass Ruba Saqr mittlerweile doch ihren Brotjob an den Nagel gehängt hat und sich ganz der Musik widmet, hat vor allem mit "Music Matbakh" (Musik-Küche) zu tun, einem ambitionierten Projekt des British Council in Amman.

Blick auf Jordaniens Hauptstadt Amman; Foto: dpa
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​​ Im Rahmen dieses Projektes erhielt Saqr im Jahr 2006 erstmals die Gelegenheit, mit internationalen arabischstämmigen Musikern wie z.B. dem marokkanischen Rapper BIGG zusammenzuarbeiten.

"Obwohl die Gruppe von außen zusammengestellt wurde und wir uns nicht gänzlich auf eigene Faust zusammengefunden haben, war es doch eine tolle Erfahrung", erzählt Saqr. "Ich habe zum ersten Mal gemerkt, was ich alles kann und dass ich eigentlich nichts anderes machen will als Musik."

Ein weiterer ermutigender Faktor ist die Tatsache, dass sich auch die technische Infrastruktur in Jordanien allmählich entwickelt. Ruba Saqr will nun alle Kraft auf ein Projekt verwenden, auf das ihre Fans schon lange warten: ihre erste CD. Das Album soll im Frühjahr 2009 erscheinen.

Martina Sabra

© Qantara.de 2008

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