Wer trifft, darf auch zu Allah beten

Es scheint, als würde der Islam allein als Bedrohung wahrgenommen. Doch wenn Fußballer zu Allah beten, ist das ein umjubeltes Glaubensbekenntnis. Ein multikulturelles Paradies sind Fußballplätze deshalb noch lange nicht, schreibt Claus Leggewie in seinem Essay.

Franck Ribéry; Foto: AP
Muslim ist Ribéry, seit er zum Glauben seiner algerischen Frau übergetreten ist.

​​Deutschlands Fußballanhänger jubeln einem "Gaudi-Moslem" zu, schreibt der "Focus". Dass der Islam etwas mit Freude zu tun haben könnte, erfährt man hier zu Lande selten. Die Angst vor dem Islam gehört wohl zur teutonischen Grundausstattung, wobei sich auch das besser situierte und gebildete Bürgertum in Hysterie übertrifft.

Gaudi bereitet der Ausnahmespieler beim FC Bayern, Frank Ribéry, wegen seiner Tore, Dribblings und Übersteiger, mit Streichen im Trainingslager und im Fernsehen, wenn er eine Torwand zerlegt. Moslem ist Ribéry, seit er zum Glauben seiner algerischen Frau übergetreten ist. Und vor dem Spiel, wenn auch der "wiedergeborene" Lucio zum Christengott fleht und der katholische Schlesier Miroslav Klose zum Polengott, betet Frank alias Bilal zu Allah. Auf der Wiesn' soll er nur Mineralwasser zu sich nehmen. Und auf seiner Homepage prangt das Motto: Immer an Gott glauben.

Wenn Ribéry zu Allah betet ​​

Was erlauben Ribéry? "Bild" trat mit dem Bayern-Star in den interreligiösen Dialog ein: "Ihr muslimischer Name ist Bilal. Was verbirgt sich dahinter?" "Da muss ich mal kurz meine Frau anrufen . . . (Ribéry schnappt sich sein Handy, spricht kurz, legt wieder auf.) . . . es bedeutet 'der Erste, der zur Zeit der Propheten zum Gebet aufgerufen hat'." "Beten Sie auch in der Kabine?" "Nein, das richtige Gebet spreche ich zu Hause. Oder vor Spielen halt im Hotel. Dann folgt das kleine Gebet auf dem Platz." - "Was ist mit dem Ramadan? Fasten Sie?" "Das ist eine schwierige Sache für einen Profi-Fußballer.

Franck Ribéry und Zinédine Zidane; Foto: AP
Überzeugte Muslime: Frankreichs Kicker-Idole Zidane (vorne im Bild) und Ribéry

Früher war es einfacher, heute muss ich da etwas variieren, wenn ich spiele oder trainiere. In solchen Situationen kann ich es mir nicht erlauben, keine Flüssigkeit zu mir zu nehmen. Auch jetzt im September werde ich das so machen: An freien Tagen werde ich fasten, wenn ich spiele, dann nicht." Das Interview stammt aus dem September 2007.

Doch die Tatsache, dass Ribéry ein (wie man sieht etwas "schlampiger") Moslem ist, hat sich auf den Plätzen kaum herumgesprochen. In Fußball-Blogs kursieren Gerüchte, er sei Türke oder Zwangskonvertit. Schlägt er seine Frau, zwingt er seine Töchter in die Burka, finanziert er Koranschulen? Solche Vorwürfe bekommt der Imam um die Ecke, nicht der Fußballgott, der seine Anhänger in Verzückung versetzt. Er könnte sogar einen Gebetsraum in der Allianz-Arena verlangen.

Islam ist ein Teil Fußballdeutschlands

Warum also geht der fremde Glaube bei einem Fußballstar durch, der bei anderen Muslimen Verdacht erregt? Das muss erstens mit dem Verehrungspotenzial zu tun haben, das Fußballgötter gleich welchen Glaubens an sich haben, also mit dem Ausnahmecharakter des Profifußballs, der ja viele Regeln außer Kraft setzt und übliche Widerstände überwindet. Wichtig ist zweitens, dass auch ein Bilal auf dem grünen Rasen "Leistung bringt". ​​

Solange die stimmt, wird multikultureller Mannschaftssport auch in rassistischen Gesellschaften geduldet, und es ist dann nur ein Randaspekt, dass multikulturell gleich multireligiös ist - in der französischen Equipe tricolore genau wie bei Energie Cottbus. Beides unterliegt einer säkularen Rangordnung: Wer Tore schießt, vorbereitet und verhindert, darf auch beten.

Franck Ribéry mit seiner Familie; Foto: dpa
"Was bedeutet Ihr muslimischer Name Bilal?" - "Da muss ich mal kurz meine Frau anrufen...!" - Franck Ribéry mit seiner Familie

Zum praktischen Polytheismus der Stadien trägt drittens das Regelwerk bei, das bei aller Wettbewerbsorientierung des Fußballs auf den Konsens abzielt, dass man einen Gegner schlägt, ihn aber nicht ernsthaft schädigt. Weil Fairness angesagt ist, gilt Fußball bei "Ausländer-Vereinen" wie Türkiyemspor Berlin oder FC Kosova als wichtigstes Kontaktmedium mit der Mehrheitsgesellschaft - man macht mit und bleibt trotzdem unter sich. "Auf'm Platz" wird die Ambivalenz ausgetragen und geglättet.

Fußballplatz ist kein Multikulti-Paradies

Die Schwelle zur Diskriminierung überschreiten nur "Fans", die offene Rassisten sind oder denen ein Spiel ohnehin gleichgültig ist. Bei ihnen schlägt antagonistische Gewalt, die Fußball an sich hat, aber in der Regel domestiziert wird, in offene Vernichtungswut um und das könnte selbst einem Gaudi-Moslem gefährlich werden. Im Übrigen ist kein Fußballplatz ein Multikulti-Paradies: Rassistische Beleidigungen und Fremdenfeindlichkeit sind gang und gebe - auf dem Rasen genau wie auf den Tribünen und Stehplätzen.

Dennoch lehrt Ribérys religiöses Understatement im Erfolgsteam FC Bayern, wie man auch in interreligiösen Konflikten den Ball flach halten kann. Muslime sind keine Aliens, und der Islam ist ein Teil (nicht nur) Fußballdeutschlands. Es wäre schön, wenn die Ribéry-Fans ein Stück ihrer Toleranz gegenüber Andersgläubigen in das Alltagsleben mitnehmen würden, wo sie Minarett und Kopftuch begegnen. Auch dort muss man Ambivalenz managen.

Claus Leggewie

© Kölner Stadt Anzeiger 2009

Claus Leggewie, geb. 1950, ist Soziologe und Politologe. Er ist Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen und befasst sich mit Religionskonflikten in westlichen Gesellschaften.