Die Goethe-Institute im kulturellen Dialog

Johannes Ebert, Regionalbeauftragter des Goethe-Instituts für Nahost/Nordafrika, bekräftigt zwei Jahre nach dem 11. September die Bedeutung eines langfristigen Kulturdialogs bei der Vermeidung von Konflikten und plädiert dabei für einen Dialog zwischen Individuen.

Johannes Ebert, Regionalbeauftragter des Goethe-Instituts für Nahost/Nordafrika, bekräftigt zwei Jahre nach dem 11. September die Bedeutung eines langfristigen Kulturdialogs bei der Vermeidung von Konflikten und plädiert für einen Dialog zwischen Individuen.

„Musik ist eine gemeinsame Sprache, die wir alle verstehen können. Sie ist besser als Blut und Krieg!“

Sechs Monate nach dem 11. September 2001 richtete der ägyptische Popstar Mohammed Mounir diese klare Aussage über Kunst und interkulturellen Dialog an 15.000 junge Ägypter in der Stadt Assiut, die viele Jahre lang für Ausländer geschlossen war, da die Regierung die Angriffe von Extremisten fürchtete. An seiner Seite auf der Open Air Bühne stand der österreichische Musiker Hubert von Goisern, der vom Goethe-Institut, dem Deutschen Kulturzentrum in Kairo, eingeladen worden war, mit der ägyptischen Popikone aufzutreten. Mounirs euphorisches Plädoyer für interkulturelle Toleranz beeindruckte nicht nur die jungen Assiutis, sondern ist auch ein gutes Beispiel für das symbolische Potential der künstlerischen Zusammenarbeit zwischen Ost und West.

Goethe Institut Kairo
Goethe Institut Kairo

​​Nach dem 11. September 2001 betonten viele Politiker und Intellektuelle, die die Mängel der konventionellen Sicherheitspolitik in den gespannten Beziehungen zwischen dem Nahen Osten und dem „Westen“ erkannten, die Rolle von ausländischer Bildungsarbeit und Kulturpolitik, um ein besseres Verständnis zu erreichen und damit zur Vermeidung von Konflikten beizutragen. Selbst Samuel Huntington äußerte in seiner umstrittenen Studie, dass der kulturelle Austausch das gegenseitige Misstrauen zwischen zwei potentiell feindlichen Zivilisationen verringern könnte. Johannes Reissner, Forschungsstipendiat bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, einer deutschen Denkfabrik für Außenpolitik, vertritt die Ansicht, dass diese Art von Dialog sinnvoll ist, wenn er dazu dient, um

  • mehr über andere Zivilisationen und Kulturen herauszufinden;
  • bewusst zu machen, dass Ansichten und Meinungen vom eigenen kulturellen Umfeld geformt werden;
  • die Kommunikation und den Diskurs über Werte und Normen zu verbessern.

„Dialog mit dem Islam“ ist der verbreitete Ausdruck, unter dem alle Anstrengungen auf diesem Gebiet zusammengefasst werden. Dieser Ausdruck ist natürlich in mehrfacher Hinsicht irreführend:

    1. Ein wirklicher Dialog ist nur möglich zwischen Einzelpersonen, aber nicht zwischen Religionen oder Ideologien.
    2. Die Gesellschaften des Ostens sind genauso komplex wie die des Westens. Der Islam ist – wenn überhaupt – nur ein Merkmal der Identität des Durchschnittsägypters, -libanesen oder indonesiers. Den Islam als Hauptmerkmal dieser Identitäten herauszustellen, erzeugt ein Zerrbild in der Tradition von Edward Saids Konzept des „Orientalismus“.
    3. In ähnlicher Weise vernachlässigt die Konzentration auf den Islam als vermeintliche Antriebskraft innerhalb der östlichen Gesellschaften andere wichtige einflussreiche Faktoren, wie z.B. die Auswirkungen der Globalisierung, die Verteilung des Reichtums zwischen Nord und Süd und andere politische Charakteristika.

Daher sollte der Ausdruck „Dialog mit dem Islam“ weiter gefasst werden und stets andere wichtige Merkmale innerhalb von Gesellschaften berücksichtigen, wie z. B. historische Reibungen, die Reaktionen auf die Modernisierung und die Effektivität von kulturellen und Erziehungsstrukturen. Wenn er in dieser Weise interpretiert wird, kann der „Dialog mit dem Islam“ eine wichtige und nachhaltige Rolle in der Vermeidung von Konflikten spielen.

Deutschlands Kulturpolitik steht in Zusammenhang mit den umfassenderen Zielen der Außenpolitik: „Sie unterstützt und dient unseren allgemeinen außenpolitischen Zielen und Bestrebungen – Friedenssicherung, Konfliktvermeidung, Anerkennung der Menschenrechte und die Förderung von Partnerschaften und Zusammenarbeit.“ In diesem Rahmen arbeitet das Goethe Institut, Deutschlands größte Organisation auf dem Gebiet des kulturellen und pädagogischen Austauschs, schon seit mehr als vierzig Jahren im Nahen Osten und anderen islamischen Ländern. Schwerpunkt ist der Kulturaustausch in den Künsten, Geistes- und Naturwissenschaften, sowie die Förderung der deutschen Sprache durch die Zusammenarbeit mit Ministerien und Bildungseinrichtungen. Zusätzlich liefert das Goethe-Institut Informationen über Deutschland und verbessert allgemein den Zugang zu Informationsquellen. Letzteres ist besonders in den Ländern wichtig, in denen die Informationsstrukturen immer noch nicht leicht zugänglich sind.

Im Mai 2002 ernannte das Deutsche Auswärtige Amt Herrn Dr. Gunter Mulack zum ersten Beauftragten für den Dialog mit der islamischen Welt. In 2002 wurde ein Budget von fünf Millionen Euro für Dialogprojekte in Zusammenarbeit mit verschiedenen unabhängigen und Mittlerorganisationen bereitgestellt, wie z. B. dem Goethe-Institut, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und anderen. Im Zentrum der Aufmerksamkeit standen Projekte, die dazu dienten, die Zivilgesellschaft in islamischen Ländern zu stärken, sowie Projekte in Zusammenarbeit mit der jungen oder zukünftigen Elite dieser Nationen . Derartige Dialogprogramme werden in 2003 mit einem etwas gekürzten Budget weiter unterstützt. Die Kürzung der finanziellen Unterstützung für solche Programme kann kontraproduktiv sein, denn die meisten Maßnahmen auf dem Gebiet von Kultur und Bildung, insbesondere jene, die darauf abzielen, Meinungen zu ändern oder Strukturen zu beeinflussen, benötigen eine langfristige Perspektive.

Schon lange vor dem Unglück des 11. September führten die Goethe-Institute in islamischen Ländern einen intensiven Dialog. In den frühen neunziger Jahren trug eine Reihe von Konferenzen in Jakarta bereits die Überschrift „Der Dialog mit dem Islam“ und vereinte eine große Zahl deutscher Wissenschaftler und wichtiger ulama, islamischer Rechtsgelehrter, um über östliche und westliche Werte zu diskutieren. Die Ereignisse des 11. September haben nun zu einem noch intensiveren und neu ausgerichteten Dialog geführt, sowie zu neu entwickelten Projekten und Projektformen, um dem wachsenden Misstrauen und der Angst zwischen Ost und West zu begegnen, die durch die Kriege in Afghanistan und Irak verstärkt wurden.

Die Herausforderungen für kulturellen Austausch mit islamischen Ländern sind vielseitig. In ihrer Arbeit begegnen die Goethe Institute Fragen wie z. B.: Wie können wir mit der Tatsache umgehen, dass viele Muslime den „Westen“ als dekadent und unmoralisch ansehen? Wie begegnen wir dem Vorwurf der „Doppelmoral“ des Westens in der Nahostpolitik? Wie können wir diesem Dialog die notwendige Glaubwürdigkeit verleihen, insbesondere im Hinblick auf die Tatsache, dass ein wahrer Austausch nur zwischen zwei gleichen Partnern möglich ist? Wie können wir einen offenen Dialog mit Muslimen führen, die islamische Werte als unveränderlich und universal ansehen? Wir können wir dabei helfen, Bildungssysteme zu verbessern, die im letzten Bericht des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen über die arabische Welt heftig kritisiert worden waren? Wie können wir dazu beitragen, den Zugang zu Informationen zu erleichtern? Mit wem und für wen arbeiten wir in den islamischen Ländern, um einen Diskurs über Werte und Vorurteile zu führen? Wie können wir das Verständnis der islamischen Welt in Deutschland verbessern?

Bibliothek des Goethe Instituts Kairo
Bibliothek des Goethe Instituts Kairo

​​Man muss eindeutig feststellen, dass Institutionen wie das Goethe Institut nicht „den Schaden wiedergutmachen können, der durch die Verteilung von Macht und Machtlosigkeit, von Reichtum und Armut in der Welt“ verursacht wird. Jedoch sind die Goethe Institute in vielen islamischen Ländern physisch und dauerhaft präsent – was ein sehr nützliches Merkmal ist, und vielleicht sogar das wichtigste für einen wirklichen Dialog. Allein im Nahen Osten und in Afrika gibt es elf deutsche Kulturzentren, die ein regionales Forum für den Austausch zwischen Intellektuellen, Künstlern, Studenten und Schülern aus Deutschland und auch aus arabischen und islamischen Ländern darstellen. Sie liefern Informationen über Deutschland und Europa und initiieren eine Debatte über Werte, wodurch sie das ästhetische und intellektuelle Verständnis fördern. Die Goethe-Institute können offene und zugleich geschützte Räume für eine freie Diskussion und den Zugang zu Informationen sein.

Einige Prinzipien des „Dialogs mit dem Islam“ versprechen einen gewissen Erfolg für einen offenen und fairen Austausch:

  • Es ist notwendig, ein deutliches und vorurteilsfreies Bild des pluralistischen Charakters der deutschen und europäischen Gesellschaften zu zeichnen. Dieses Bild kann sogar klarer und leichter zugänglich sein, wenn es in Zusammenhang mit eigenen Erfahrungen der Partner steht. Beispiele dafür sind Diskussionen zwischen Parlamentarierinnen verschiedener europäischer Länder und des Nahen Ostens in den Goethe-Instituten von Kairo und Beirut, oder Vorlesungen über den Islam in Deutschland als Ausdruck der Vielfalt europäischer Gesellschaften. Filmvorführungen mit Untertiteln auf Arabisch oder Dari, der Austausch von Schriftstellern oder – um ein konkretes Beispiel zu geben – ein Film über Deutschland von zwei jungen ägyptischen Regisseuren, sind weitere gute Beispiele für die vielseitigen Aktivitäten in dieser Hinsicht. Das Magazin „fikrun wa fann“ (Art and Thought), über aktuelle kulturelle Trends und Diskussionspunkte zwischen Deutschland und der islamischen Welt, wird von vielen gelesen und trägt zu einer differenzierten Wahrnehmung des „Westens“ bei.
  • Es ist nicht Aufgabe der Goethe-Institute, einen interreligiösen Dialog zu führen, sondern mit den Partnern vor Ort Themen zu bestimmen, die im gemeinsamen Interesse liegen. Somit wird eine Diskussion über Werte initiiert. Seminare und Konferenzen über „die Auswirkungen der Globalisierung“, „die Herrschaft des Gesetzes“ oder den „Einfluss von Fernsehserien und Seifenopern auf die Wahrnehmung von Ost und West“ betreffen alle verschiedenen Gesellschaftsschichten und intellektuellen Trends. Der islamische Gesichtspunkt ist hierbei nur ein Merkmal des Diskurses und kann daher auf einem neutraleren Boden diskutiert werden.
  • Dialog findet nicht zwischen Gesellschaften, sonder zwischen Einzelpersonen statt. Der Austausch zwischen Schülern, Studenten, Journalisten, Wissenschaftlern, Künstlern und Intellektuellen spielt eine wichtige Rolle für einen Dialog jenseits von Konferenzen und politischen Diskussionen. Organisierte Besuche in Deutschland für Bibliothekare, Redakteure, Intellektuelle, Journalisten und Kunstmanager, unterstützt von den Goethe-Instituten, liefern beiden Seiten neue Ideen und fördern ein besseres Verständnis.
  • Um die Strukturen und das Know-how auf verschiedenen Gebieten zu verbessern, bieten die Goethe-Institute – neben ihren umfangreichen Sprachprogrammen - Workshops, Seminare und Vorlesungen für unterschiedliche Zielgruppen an, wie z. B. Künstler, Studenten und Bibliothekare. Hierbei entsprechen die Unterrichtsmethoden, wie auch in den Deutschkursen und den Lehrerfortbildungsprogrammen, demokratischen Bildungswerten.
  • Produktionen auf dem Gebiet der Schönen Künste sind sehr wichtig. Programme der darstellenden und bildenden Künste können tatsächliche Herausforderungen der Gesellschaften reflektieren, die einen Einfluss auf die Gefühle und auf Muster der sozialen Interaktion haben, und dadurch eine solide Grundlage für interkulturellen Austausch schaffen. Künstler sind Multiplikatoren von Ideen und Idole für jüngere Generationen.
  • Wirkliche und wahre Information ist eines der Fundamente des Dialogs. Internet Chats, Informationspunkte und Netzwerke können den Zugriff auf Informationsquellen insbesondere für junge Leute erleichtern. Die Bibliotheken der Goethe Institute und die momentane Schaffung eines Netzwerks von Informationspunkten in einigen Ländern des Nahen Ostens werden zu einem neuen Informationsnetzwerk beitragen.
  • Zukünftige Eliten, junge Leute im allgemeinen sowie islamische Gruppen, die an einem offenen Austausch interessiert und offen dafür sind, sollten bevorzugte Partner für die Projekte des „Dialogs mit dem Islam“ sein. Bislang gibt es nur wenige Erfahrungen im Austausch mit Vertretern des politischen Islams, doch dies kann ein Ziel für die Zukunft sein.

Achtzehn Monate nach dem Konzert in Assiut beendete Mohammed Mounir eine 15-Städte Tour durch Deutschland zusammen mit Hubert von Goisern. Das erste Zusammentreffen der Musiker in Assiut hatte einen nachhaltigen Effekt. Es ist klar, dass kulturelle und Bildungsprojekte Zeit bedürfen, um sich auf Gesellschaften auszuwirken. Ein Beispiel aus der deutschen Geschichte zeigt, wie wichtig derartige Projekte sein können: Vor vierzig Jahren wurde der Elysée Vertrag unterzeichnet, um Feindseligkeiten zwischen Frankreich und Deutschland zu überwinden. Dies war der Ausgangspunkt für einen intensiven kulturellen Dialog und Jugendaustausch zwischen den beiden Ländern, ohne den der Vertrag wahrscheinlich immer noch bloß ein Stück Papier wäre und nicht das Fundament für eine der stärksten Partnerschaften innerhalb der Europäischen Union. Es ist offensichtlich, dass der Dialog zwischen Europa und der islamischen Welt unter anderen Bedingungen und in viel kleinerem Maßstab stattfindet. Aber die Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland zeigt, dass der Austausch von Bürgern und kultureller Dialog eine entscheidende Rolle dabei spielen kann, die Geschichte zu ändern.

Johannes Ebert

Übersetzung aus dem Englischen von Martina Häusler

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors

Johannes Ebert ist Institutsleiter des Goethe Instituts Kairo/Alexandria sowie Regionalbeauftragter für Nahost/Nordafrika

Der Beitrag wurde erstmals veröffentlicht in:
German Foreign Policy in Dialogue
A Quarterly E-Newsletter on German Foreign Policy
Volume 4, Number 11, September 4, 2003

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