Bekenntnis zu Europa?

Mit der europäischen Muslim-Charta plädieren die Unterzeichner für die Integration der Muslime in das europäische Wertesystem. Das Projekt stößt auf ein geteiltes Echo. Daniela Schröder berichtet aus Brüssel.

Mit der europäischen Muslim-Charta plädieren die Unterzeichner für die Integration der Muslime in das europäische Wertesystem. Initiiert wurde die Charta von der Föderation islamischer Organisationen in Europa. Das Projekt stößt auf ein geteiltes Echo. Daniela Schröder berichtet aus Brüssel.

Innenansicht der größten Moschee Europas; Foto: AP
Die europäische Muslim-Charta ist als Startpunkt einer gemeinsamen Initiative von sunnitischen Verbänden in Europa gedacht.

​​Ein Angebot zum Dialog soll sie sein, das Bild des Islam als kulturelle Bedrohung korrigieren, aber auch das Gespräch der muslimischen Gruppen untereinander fördern. Die erste gemeinsame Werte-Charta von sunnitischen Islam-Verbänden aus ganz Europa und der Türkei skizziert das moderne islamische Selbstverständnis der Unterzeichner.

Ziel der neuen Erklärung ist es, die Integration der Muslime in die westlichen Gesellschaften zu stärken und darzustellen, welchen kulturellen Beitrag der Islam in Europa leisten kann, erklärte die in Brüssel ansässige Föderation der islamischen Organisationen in Europa (FIOE). Die Aktion werde von mehr als 400 Gruppen aus 28 europäischen Ländern, inklusive der Türkei, getragen und repräsentiere bis zu ein Viertel der auf geschätzte 20 Millionen dort lebenden Muslime, so ein Vertreter der FIOE.

In der 26 Punkte umfassenden Charta plädieren die Unterzeichner für die Zusammenarbeit aller Muslime in Europa, bekennen sich zur Gleichberechtigung von Männern und Frauen und verurteilen im Namen des Islam verübte Gewalt.

Aktive Teilnahme an politischen Prozessen

"Als europäische Bürger sehen es die Muslime in Europa als ihre Pflicht an, sich für das Gemeinwohl der Gesellschaft einzusetzen", heißt es in der Charta. In diesem Punkt sollten die Muslime nicht weniger Engagement zeigen als beim Einfordern ihres Rechts auf das Praktizieren ihrer Religion. Auch zur aktiven Teilnahme an politischen Prozessen fordert die Charta auf.

Viele Europäer empfinden die vom Islam vertretenen Werte als unvereinbar mit der eigenen Kultur. Im Namen des Islam verübte Attentate in europäischen Ländern haben das gespannte Verhältnis verschärft. "Was in Madrid, London und Holland passiert ist, zeigt, dass etwas getan werden muss, um diejenigen zu stoppen, die den Islam missverstehen", sagte FIOE-Präsident Shakib Benmakhluf nach der Unterzeichnung der Charta in Brüssel.

Für Munzir Ahmad vom Arabisch-Islamischen Zentrum für Kultur und Zivilisation in Athen ist die Erklärung ein entscheidender Schritt, um das Verständnis für den Islam zu fördern. "Dies ist eine Botschaft an die europäischen Staaten und an die Regierungen Europas ernsthafte Kontakte zu den in Europa lebenden Muslimen zu knüpfen", so Ahmad.

Die ersten Reaktionen aus der Europäischen Union auf die neue Islam-Charta fielen verhalten bis begeistert aus. Die EU-Kommission sei bereit, mit allen religiösen Gemeinschaften in Europa intensiv über "europäische Werte" zu diskutieren, so der Chef-Sprecher der Europäischen Kommission.

Klärung offener Fragen

Pater Hans Vöcking, Islam-Experte und deutscher Vertreter bei der Kommission der Bischofskonferenzen der EU sagte, das 26-Punkte-Programm sei in erster Linie ein Gesprächsangebot an die Europäer.

"Im Dialog kann man dann auch feststellen, was denn wirklich mit den verschiedenen Begriffen gemeint ist, die in dem Text gebraucht werden", so Vöcking. Fragen wie das Verständnis der Scharia etwa seien inhaltlich nicht geklärt. Auch sei nicht klar, ob die Charta eine Seinsgleichheit zwischen Mann und Frau als Gleichheit vor Gott oder auch als Gleichheit vor dem Recht begreife.

Die in der Erklärung angesprochenen Konzepte von Jihad und von der Rolle der Frau seien "etwas schwammig", findet auch Sara Silvestri, Islam-Expertin der City Universität London. Während das Dokument sehr umfassend sei und allgemein erkläre, wie sich die Prinzipien des Islam mit den demokratischen Systemen Europas vereinbaren ließen, dürfe die Charta nicht als repräsentativ für das Selbstverständnis aller in Europa lebenden Muslime gesehen werden.

Möglicher Selbstklärungsprozess

Die FIOE sei keine Graswurzel-Bewegung, sondern eine politisierte Elite, der vor allem Muslime aus der arabischen Welt angehören, so Silvestri. "Die meisten europäischen Muslime kennen weder die Organisation noch die neue Charta und würden auch ihre Thesen nicht unterstützen."

Andere Islam-Forscher erhoffen von dem Dokument daher einen möglichen Selbstklärungsprozess der muslimischen Gruppen in Europa. Auch die Unterzeichner selbst sehen die Charta nicht als das Ziel, sondern als den Startpunkt ihrer Initiative, sagte Aboulkheir Breigheche, Imam aus dem italienischen Trient:

"Allerdings war es höchste Zeit, dass die Muslime in Europa sagen, wer sie sind und was sie wollen." Unterschiedliche Meinungen seien normal, doch "extremistische Ideen und die Intoleranz von denen, die sich nicht integrieren wollen, das akzeptieren wir nicht."

Daniela Schröder

© Qantara.de 2008

Die neue Islam-Charta soll in alle europäischen Sprachen übersetzt werden. Eine arabische und eine französische Version existieren bereits.

Daniela Schröder arbeitet als freie EU-Korrespondentin in Brüssel.

Qantara.de

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