Bauen, was noch niemand gesehen hat

Die Stararchitektin Zaha Hadid erhielt 2004 als erste Frau den bekannten Prizkerpreis, der auch als "Nobelpreis für Architektur" bezeichnet wird. Melanie Weidemüller traf die Künstlerin und Diva bei einem Pressetermin in London.

Zaha Hadid; Foto: AP
Die 1950 in Bagdad geborene Stararchitektin Zaha Hadid

​​Kommt sie, oder sagt sie in letzter Minute ab? Maximal eine halbe Stunde hat sie angekündigt, keine Einzelinterviews. Zaha Hadid, soviel weiß man aus Berichten und Anekdoten, ist ein Popstar der Architektur und genauso kapriziös wie ihre Entwürfe:

Gebaute Skulpturen, die der Schwerkraft zu trotzen scheinen, genauer, statisch perfekte Konstruktionen, die gefährlich instabil scheinen, weil sie nicht unseren Vorstellungen und Sehgewohnheiten entsprechen. Mit Zeichnungen und Modellen solch postmoderner Gebilde wurde Hadid bereits berühmt, als man diese noch für "unbaubar" hielt.

Das erste realisierte Hadid-Gebäude entstand 1993 in der Provinz: Die Vitra-Feuerwache in Weil am Rhein, der deutschen Kleinstadt an der Schweizer Grenze. Seitdem machen die internationalen Besucher der "Art Basel" gern mal schnell in der Mittagspause rüber, um Hadids Erstling zu besichtigen.

Plötzlich ist sie da – und alle Klischees sind wahr: Die Stilettos, die schwarze Designer-Kluft, das ständige Handy-Gefingere, die ehrfürchtige Entourage aus jungen Projektleitern und eine Ausstrahlung, die binnen Sekunden wechseln kann zwischen Charme, Arroganz, latentem Genervtsein und offener Ruppigkeit.

Sympathisch ist das nur bedingt, beeindruckend ist, was in den folgenden dreißig Minuten über die Projektionsleinwand läuft: ein Schnelldurchgang durch die während der letzten 15 Jahre gebaute Welt der Zaha Hadid. Objekte, Interieurs, Bühnenbilder, Ausstellungsarchitekturen, Bahnhöfe, Hotels, Museen, Industriekomplexe.

Kein Zweifel: Diese "Architektin" ist eine grenzenlose Gestalterin, für die Kunst, Architektur und Design ebenso nahtlos ineinander übergehen wie Forschung, Lehre und Praxis – und die die ganze Welt nach ihren Vorstellungen in Hadid-Design verwandeln würde, wenn man sie nur ließe.

Später Beginn

Die Zeit des Bauens kam für die heute 56-Jährige spät. Geboren 1950 in Bagdad als Tochter eines Unternehmers und oppositionellen Politikers, kam Zaha Hadid Ende der 70er Jahre nach London, studierte an der renommierten Architectural Association School of Architecture und gründete, nach drei Monaten im OMA-Office bei Rem Koolhaas, 1980 ihr eigenes Büro.

Bekannt wurde sie mit ihrem Ausstellungsdesign für die MOMA-Schau zum Dekonstruktivis (1988), übte sich in spacigen Interior Designs, etwa für ein Restaurant in Japan, und in den 90ern gewann sie endlich auch Wettbewerbe und fand öffentliche und private Auftraggeber weltweit.

Die Vitra-Feuerwache in Weil am Rhein; Foto: © Wikimedie Creative Common Licence
Die Vitra-Feuerwache in Weil am Rhein

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Symbolisch markiert ihre "Mind Zone" für den Millennium-Dome in London den Beginn des globalen Hadid-Baubooms der letzten Jahre. Seit 2000 entstanden – unter anderem – eine Tramstation in Straßburg, eine Brücke in Abu Dhabi, eine Universität in Mexiko, ein Fährterminal in Salerno, das Rosenthal Center for Contemporary Art in Cincinnati, das erste Museum für zeitgenössische Kunst in Rom.

Die bekanntesten Bauten zeigen, was ihre Entwürfe so einzigartig macht: Hadid baut, als würde sie das Bauen neu erfinden. 2002 wurde die Bergisel-Skischanze bei Innsbruck eröffnet. Wie ein eleganter Dinosaurierhals ragt das schräge, 90 Meter lange Gebilde aus Beton und Stahl in die Luft; von dem spektakulären Café und der Aussichtsterrasse in 40 Meter Höhe sehen die Besucher von oben auf die über Innsbruck schwebenden Ski-Springer.

Symbiose zweier Welten

Funktion und Form bestmöglich zu verbinden und dabei technischen, sozialen und ästhetischen Ansprüchen zu genügen – zwei jüngste Beispiele für dieses Credos findet man in Deutschland, derzeit das Land mit der höchsten Dichte an Hadid-Gebäuden. 2005 eröffnete das "Phaeno Science Center" in Wolfsburg.

BMZ-Werk in Leipzig; Foto: © Wikimedia Creative Common Licence
Zentrale des BMW-Werks in Leipzig

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Ebenfalls 2005 eingeweiht und bereits mehrfach preisgekrönt: Die neue Zentrale des BMW-Werks in Leipzig für 650 Angestellte.

Hadids Innovation bestand darin, die traditionelle Trennung zwischen Planung, Produktion und Verwaltung aufzuheben: Die Zentrale als Scharnier, Schnittstelle, Gehirn des Fabrikkomplexes, wo alle Produktions- und Kommunikationsströme sich kreuzen.

Architektonisch bedeutet das: Hadid verzichtete auf exklusive Bereiche und entwarf ein "Open Space Büro" mit offener Kantine für alle Mitarbeiter, durch das an offenen Transportbändern die Fahrzeugteile über den Köpfen schweben, vom Karosseriebau zur Lackiererei und zurück zur Endmontage. Sozial bedeutet es die Symbiose zweier Welten und Statusgruppen, der "Blaumänner" und "Krawattenträger".

Zaha Hadid ist derzeit wohl auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs. Ihre Bauprojekte haben die Dimension von Masterplänen für ganze urbane Wohn- und Industrie-Komplexe erreicht: "One North" in Singapur (im Bau), "Zorrozaurre" in Bilbao, "Olebeaga" in Spanien, Pekings "Soho City" in China oder, der jüngste Wettbewerbssieg, der Masterplan für das Stadtviertel Kartal in Istanbul.

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Die Pressemappe listet dreißig Preise und Auszeichnungen auf, darunter den als "Nobelpreis für Architektur" bekannten Prizkerpreis, den sie 2004 als erste Frau gewann, sowie eine Lehrtätigkeit in London, Harvard, an der Columbia University, aktuell Professuren in Wien und Yale.

2006 widmete ihr das Guggenheim New York eine erste umfassende Retrospektive; der Kunstmarkt reißt sich um Objekte, Modelle und Zeichnungen.

Die Hadid-Dia-Show endet mit dem Ausblick auf ihr "ideal house" für die Kölner Möbelmesse, wo die Architektin erneut als Designerin auftritt – denn "Architektur und Design sind für mich letztlich eins".

Als ihr Kollege Naoto Fukasawa, per Videokonferenz aus Japan zugeschaltet, mit asiatischer Höflichkeit seine Sicht auf die kühnen Visionen der Stararchitektin schildert, hat Hadid die Konferenz bereits verlassen. Termine ...

Melanie Weidemüller

© Melanie Weidemüller 2007

Qantara.de

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