Kein Prophet namens Muhammad?

"Licht ins Dunkel der Anfänge des Islam" fordert Karl-Heinz Ohlig, Herausgeber des Bandes "Der frühe Islam", dessen Autoren den Anspruch erheben, unter Rückgriff auf "zeitgenössische Quellen" die tatsächliche Entstehung des Islam nachzeichnen zu können. Daniel Birnstiel hat das Buch gelesen.

Im Urkoran sei, so die Autoren, "Muhammad" anfänglich kein Name, sondern ein "Prädikat des Messias Jesus" gewesen

​​"Der frühe Islam" ist nach Christoph Luxenbergs Buch "Die Syro-Aramäische Lesart des Koran" und dem gleichfalls von Karl-Heinz Ohlig herausgegebenen Sammelband "Die dunklen Anfänge" nunmehr das dritte Buch in kurzer Folge, das bemüht ist, vorherrschende Meinungen zur Entstehung des Islam zu revidieren.

Die Autoren vertreten die Ansicht, der Islam habe seinen Anfang als eine christliche Häresie genommen, die sich in Ostiran unter Christen entwickelt habe, die ursprünglich aus Mesopotamien (v.a. Hatra) deportiert wurden.

Nach dem Zusammenbruch des Sassanidenreiches im Jahre 622 n.Chr. hätten diese die Macht übernommen und ihre Christologie nach Damaskus und Jerusalem gebracht, wo gegen Ende des 7. Jahrhunderts unter dem Herrscher Abd al-Malik aus Iran mitgebrachte Texte aus dem Syrischen in eine syro-aramäisch-arabische Mischsprache übertragen worden seien.

Dieser Urkoran sei dann im Laufe des 8., eventuell auch 9. Jahrhunderts erweitert worden. "Muhammad" sei dabei ursprünglich kein Name, sondern ein "Prädikat des Messias Jesus" gewesen. Erst während des 8./9. Jahrhunderts habe die Entwicklung zu einer eigenen Religion stattgefunden; dabei sei dieses Prädikat zum Namen des arabischen Propheten umgedeutet worden.

Die frühislamische Geschichte, wie sie sich in der islamischen Traditionsliteratur des 9. Jahrhunderts findet, sei eine Re-Interpretation, viele der frühen Kalifen späte Erfindung, da sie sich nicht inschriftlich belegen ließen.

Palästina als Ursprungsort des Islam?

Diese "historisch-kritische Rekonstruktion" wirkt dabei in mancherlei Hinsicht wie eine Neuauflage von John Wansbroughs Spätdatierung des Korans ins frühe 9. Jahrhundert und erinnert an die Thesen von Patricia Crone und Michael Cook, wonach der Islam nicht auf der arabischen Halbinsel, sondern vielmehr in Palästina entstanden sei.

Anders hingegen der Konsensus der Islamwissenschaft: Hier wird der islamische Traditionsbericht als im Großen und Ganzen historisch korrekt betrachtet und von der historischen Existenz Muhammads ausgegangen. Dieser sei um das Jahr 570 n.Chr. in Mekka auf der arabischen Halbinsel geboren worden und nach einem Berufungserlebnis um 610 n.Chr. als Prophet aufgetreten.

Nach Ablehnung und Verfolgung durch seinen Stamm, die Quraisch, sei er schließlich im Jahr 622 n.Chr. nach Medina ausgewandert, wo er das erste islamische Staatswesen errichtete.

Dass er von dort aus innerhalb von zehn Jahren nicht nur Mekka, sondern fast die gesamte Halbinsel eroberte, gilt in der Islamwissenschaft als ebenso unstrittig wie die Existenz der ersten Kalifen, unter deren Führung der Fruchtbare Halbmond, Nordafrika und Iran erobert wurden.

Genauso wenig umstritten ist die Endredaktion des Korans als Sammlung der an Muhammad ergangenen Offenbarungen unter dem dritten Kalifen, Uthman.

Im Folgenden werden einige der in dem Band "Der frühe Islam" vorgetragenen Hauptthesen vorgestellt.

Araber gleich Aramäer?

Sowohl Volker Popp wie auch Karl-Heinz Ohlig stellen die These auf, Arabien habe ursprünglich in Mesopotamien gelegen, und die Begriffe "Araber" und "arabisch" bezögen sich ursprünglich auf die Aramäer. Erst später seien diese Begriffe von aus der arabischen Halbinsel kommenden Stämmen angenommen und auf die heutigen Araber und das heutige Arabien rückübertragen worden.

Diese These lässt jedoch wichtige Fakten außer Acht. So belegen in heutigem Sinne arabische Namen und Götter eindeutig nicht nur die Existenz einer arabischsprachigen Bevölkerung in Hatra im 2./3. Jahrhundert n.Chr., sondern bereits ab dem 9. Jahrhundert vor Christus die Anwesenheit von - im heutigen Sinne - arabischen Stämmen unter den von den Assyrern als Aribi, Arabaya u.ä. bezeichneten Nomaden der Syrischen Wüste.

Dieser Begriff wurde auch für im Iran lebende, wahrscheinlich nichtsemitische Nomaden verwendet, so dass davon auszugehen ist, dass dieser Begriff Nomaden ohne jegliche Identifizierung ihrer ehtnischen oder sprachlichen Herkunft bezeichnete.

Vor allem aber diente dieselbe semitische Wurzel im Südarabischen bereits im 2. Jahrhundert vor Christus zur Bezeichnung nomadischer Stämme von der Halbinsel, so dass der Begriff "Araber" nicht erst im 7. oder 8. Jahrhundert nach Christus auf die Araber im heutigen Sinne übertragen worden sein kann.

Grammatikalische Besonderheiten

Auf ebenso wackligen Füßen steht eines der Hauptargumente für Popps These von einer christlichen, chiliastischen Bewegung in Marw: Die Pahlavi-Legende "APD'LMLIK-i-MRWânân" (Popps Wiedergabe) auf dort geprägten Münzen, die bisher als Abd al-Malik Bin Marwân (Abd al-Malik, Sohn des Marwân) gelesen und mit dem gleichnamigen Kalifen identifiziert wurde, versteht er als "Abd al-Malik von den Leuten aus Marw".

Für ihn ist dies der Beweis, dass Marw eines der Zentren eines aus Mesopotamien deportierten, altgläubigen Christentums war.

Die Lesung von "i-MRWânân" als "von den Leuten aus Marw" ist jedoch nicht möglich, da das mittelpersische Suffix -ân nicht zur Ableitung von Herkunftsbezeichnungen verwendet wird. Die Lesung "Sohn des Marwân" hingegen ist nicht nur möglich, vielmehr ist diese Schreibung der einzige Weg, dies im Pahlavi wiederzugeben.

Weiterhin muss man sich fragen, warum jemand seine Herkunft ausgerechnet an seinem Heimatort betonen soll, und wie eine christliche "Häresie" dort unbemerkt hätte existieren können, war Marw doch bereits im 4. Jahrhundert Sitz eines Bischofs und später Erzbistum der Apostolischen Kirche des Ostens, gemeinhin fälschlich als Nestorianer bezeichnet!

Ebenso fragt man sich, wie Popp zu der Überzeugung gelangt, der Titel "amîr al-mûminîn" bedeute nicht "Befehlshaber der Gläubigen", sondern vielmehr "Befehlshaber aller Sicherheitsbeauftragten", in dem er eine Art Landpfleger sieht.

Die entsprechende mittelpersische Wiedergabe auf den arabo-sassanidischen Münzen lautet "AMÎR-i-Wurroyishnikân" (Popps Wiedergabe), wobei "wurroyishnikân" nur "gläubig" bedeuten kann und von "wurroyishn", d.h. "Glaube", abgeleitet ist.

Dies ist ein Begriff, der in religiösen Texten des Zoroastrismus vorkommt. Dessen Vorstellungen aber glaubt Popp sonst in Koran und Islam häufig wieder zu finden, v.a. in seinem Beitrag "Der Einfluss persischer religiöser Raster auf Vorstellungen im Koran".

Syrische Vorlage für den Koran

Der Autor des Buches "Die syro-aramäische Lesart des Koran", Christoph Luxenberg, versucht in seinem Beitrag nachzuweisen, dass verschiedene Schreibungen früher Koranmanuskripte eine Vorlage in syrischer Schrift voraussetzen.

Die vorgebrachten Begründungen überzeugen jedoch kaum. So ist es mehr als fraglich, ob seine Lesung von šay' "Sache, etwas" als ša'n "Angelegenheit, Sachverhalt" aufgrund eines retroflex geschriebenen Buchstaben y, in dem er ein syrisches n sieht, wirklich mehr Sinn macht.

Dass "Angelegenheit" semantisch umfassender sei als "Sache, etwas" ist nicht nachvollziehbar, wie ja auch ein Satz "Gott hat über jeden Umstand Macht" weit weniger "umfassend" ist als eine Aussage "Gott hat über jede Sache Macht". Nicht umsonst hat sich ja auch šay' in vielen arabischen Dialekten zum Indefinit- und Fragepronomen "etwas, was" entwickelt.

Rückgriff auf das Aramäische

Gewagte Behauptungen, wie etwa, dass die Verstärkungspartikel la-, wie anscheinend auch die Negation , aus dem Aramäischen entlehnt sein soll, trotz Beleg in allen semitischen Sprachzweigen, wecken große Zweifel an Luxenbergs semitistischen und sprachwissenschaftlichen Fähigkeiten.

Mehr als einmal hat man den Eindruck, dass seine Feststellungen nicht Ergebnis einer Neulesung sind, sondern umgekehrt, der Text so interpretiert wird, dass er das gewünschte Ergebnis liefert.

Besonders auffallend ist dabei der Rückgriff auf aramäische Schreibertraditionen jeglicher Art, als ob die verschiedenen aramäischen Dialekte beliebig miteinander vertauschbar seien. Ein Urkoran in syrischer Schrift kann somit keinesfalls als bewiesen gelten.

Mündlich tradierte Texte

Ein ähnliches Gefühl der gezielten Verwendung sprachlicher Fakten auf eine Weise, dass sie eine vorgefasste Meinung stützen, erfasst einen bei der Lektüre des Beitrags von Markus Groß.

Er argumentiert, dass sich mündlich tradierte Texte im Allgemeinen nicht auf einen einzigen Urtext zurückführen lassen; beim Koran jedoch würden die Textvarianten auf alternative (Ver)Lesungen eines einzigen zugrunde liegenden, autoritativen Textskeletts (rasm) zurückgehen.

Zwar ist die Zahl der Varianten, die auf alternativen Vokalisierungen bzw. Konsonantenlesungen desselben Gerüsts zurückgehen, groß; jedoch gibt es – und das wird hier verschwiegen – viele Varianten, die eben einen anderen rasm erfordern. Darüber hinaus kann gar nicht festgestellt werden, inwieweit viele der Lesungen mit gleichem rasm erst nach Etablierung eines Kanons als Exegesemittel sekundär entstanden sind.

Groß behauptet ferner, ein echter ästhetischer Genuss des Korantextes sei objektiv nicht möglich, andererseits werden neuere literaturwissenschaftliche Arbeiten, die Kompositionsstrategien ebenso wie die Funktion verschiedener Stilmittel im Koran herausgestellt haben (wie etwa Neal Robinsons "Discovering the Qur’an"), nicht herangezogen.

Seine These, die frühe Koranorthographie stelle aufgrund ihrer fehlenden Eindeutigkeit eine Art Geheimschrift da, wirkt merkwürdig in Anbetracht der Tatsache, dass vorislamische Inschriften in arabischer Schrift trotz ihres reichlich profanen Inhalts in Sachen Eindeutigkeit genauso defektiv sind.

Die Bedeutung von "Muhammad"

Der Islam habe seinen Anfang als eine christliche Häresie genommen, die sich in Ostiran unter Christen entwickelt habe, lautet eine Grundthese des Bandes

​​Auch die im Band mehrfach vorgetragene Kernthese, wonach muhammad kein Name sondern christologisches Prädikat sei, erweist sich letztendlich als kaum fundiert.

So sieht Popp darin ein ugaritisches Lehnwort in der Bedeutung "erwählt, auserwählt". Als Beleg für diesen Wortsinn verwendet er die Übersetzung von ugaritisch m.h.m.d als "the best, choicest". Was jedoch rein gar nichts mit "erwählt sein" zu tun hat!

Ohlig hingegen sieht als Alternative hierzu ein syrisches Wort mahmed "der Gelobte", welches arabisch dann mehmad gelesen und gesprochen worden sein soll. Tatsächlich aber ist die Wurzel hmd im Syrischen gar nicht belegt, Ohligs syrisches Wort erweist sich als nicht existent.

Die Bedeutung dieser Wurzel im Nordwestsemitischen, nämlich "begehren", wird zwar von Groß genannt, doch auch er gibt die Wurzel fälschlicherweise als im Syrischen existent an, wozu er noch eine falsch gebildete Partizipialform stellt. Sein Argument für eine Entlehnung von Hebräisch mahmād "Gegenstand der Begierde" aus dem Ugaritischen ist ohne Basis.

"Muhammad" gleich "Jesus"?

Einzig im Südsemitischen, also im Arabischen und Südarabischen, hat die Wurzel hmd die Bedeutung "loben, preisen". Hier findet sie auch zur Bildung von Eigennamen Verwendung, ein Name m.h.m.d ist in safaitischen und sabäischen Inschriften aus vorislamischer Zeit belegt.

​​Eindeutig als Eigenname findet sich muhammad auf arabo-sassanidischen Münzen aus den Jahren 686 und 701 n.Chr., also zeitgleich mit der Inschrift vom Felsendom, in der Luxenberg in einer Neulesung in einem anderen Buch den Beweis des christologischen Prädikats gefunden haben will.

Allerdings wird weder hier noch andernorts Jesus namentlich mit muhammad identifiziert oder auch nur im selben Satz genannt. Luxenbergs Lesung stellt alles andere als einen Beweis dar.

Andererseits findet sich das muslimische Glaubensbekenntnis in zweisprachigen Papyri auf Griechisch wieder. Hier wird ein mamet als apostolos theou, also Gesandter Gottes, bezeichnet. Es ist schwer darin etwas anderes als einen Eigennamen zu sehen.

Der gestellten Forderung, Licht in die dunklen Anfänge des Islam zu bringen, kommt das besprochene Buch somit nicht nach.

Die durchaus berechtigte Kritik einer bisherigen Quellen(ver)lesung v.a. zeitgenössischer christlicher Schriftsteller im Sinne der islamischen Tradition erweist sich als Farce angesichts der von den Autoren mindestens ebenso wenig neutralen Verwendung der Quellen und deren (Ver)Lesung im Sinne der eigenen Theorien.

Der "erwählte" oder "gelobte" muhammad-Jesus bleibt einstweilen ein weit verfehlter Gegenstand revisionistischen Begehrens.

Daniel Birnstiel

Daniel Birnstiel hat in Jerusalem Sprachwissenschaft, Indogermanistik, Semitistik, und Aegyptisch studiert und promoviere derzeit in Cambridge in Semitischer Philologie mit einer Dissertation zur Korangrammatik.

© Qantara.de 2007

Karl-Heinz Ohlig (Hg.): Der frühe Islam. Verlag Hans Schiler, Berlin 2007

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